Kinderbetreuung Wettbewerb um die kleinen Köpfe
Mehr Erzieher, beitragsfreie Jahre für die Eltern - in der Kinderbetreuung befinden sich die Länder in einem rasanten Bieterwettbewerb.
Magdeburg l Eine „große Nummer“ sollte es werden. So bezeichnete der damalige Sozialminister Norbert Bischoff (SPD) im Juli 2012 das neue Kinderförderungsgesetz. Mehr Erzieher in den Kitas, Rückkehr zum Anspruch auf einen Ganztagsplatz für alle Kinder, Entlastung von Mehrkinderfamilien – CDU und SPD hatten sich einiges vorgenommen. Ein Großteil des Plans ist aufgegangen. Doch das interessiert heute kaum noch jemanden. In Sachsen-Anhalt stehen schon lange vor allem die ausufernden Kosten im Vordergrund. Es geht um Finanzen statt um Qualität.
Von 184 auf 332 Millionen Euro sind die Kosten in den vergangenen fünf Jahren gestiegen. Das war zum Teil so zu erwarten – wer Personalschlüssel verbessern will, muss das Portemonnaie weit aufmachen. Doch es gibt auch Kostentreiber, die so nicht absehbar waren: Es gehen mehr Kinder als noch 2012 in die Kitas und dazu auch länger als ursprünglich prognostiziert. Außerdem schlagen Tarifsteigerungen für die Erzieher kräftig zu Buche.
Dass es aber nicht nur für das Land, sondern auch für viele Eltern teurer geworden ist, liegt vor allem an einem Faktor: Der Umstellung des Finanzierungssystems, die Schwarz-Rot vorgenommen hat.
Kinderbetreuung ist eigentlich Aufgabe der Kommunen. Doch weil das Land bestimmte Standards wie Mindestpersonalschlüssel oder ein Bildungsprogramm vorschreibt, muss es diese auch finanzieren. Seit 2012 erhalten die Kommunen dafür per Gesetz eine auf Euro und Cent vorgeschriebene Kopf-Pauschale für jedes Kind – je nach Alter und Betreuungsart. Die Landkreise müssen auf diese Summe noch einmal die Hälfte draufpacken. Das übrig bleibende Restdefizit teilen sich Gemeinde und Eltern.
Um an ihr Geld zu kommen, muss jeder einzelne Kita-Träger mit dem Landkreis verhandeln, welche Leistungen abgerechnet werden dürfen. Dieses System soll die Qualität sichern, hat aber zwei entscheidende Folgen: Der bürokratische Aufwand ist riesig. Und: Den Städten und Gemeinden, die einen Großteil der Kindertagesstätten betreiben, ist wohl erstmals klar geworden, wie teuer die Aufgabe der Kinderbetreuung tatsächlich ist.
Kosten, die vorher quersubventioniert wurden – wie beispielsweise der in der Gemeinde angestellte Hausmeister, der auch in der Kita die Lampen wechselt – werden nun mit veranschlagt. Am Ende stehen höhere Elternbeiträge und ein teures Gesamtsystem.
Wirft man einen Blick auf Sachsen-Anhalts Nachbarn, fällt auf, dass die meisten Länder einen deutlich einfacheren Ansatz als das Pauschalen- und Verhandlungssystem verfolgen: Sie setzen bei ihren Zuschüssen auf die Personalkosten. Das macht Sinn – denn rund 85 Prozent der Ausgaben im Kita-Bereich gehen für diesen Posten drauf. In Brandenburg werden die Elternbeiträge zusätzlich sozialverträglich nach Einkommen gestaffelt.
Auffällig ist, dass alle Länder ihre Ausgaben seit 2012 erhöht haben – vor allem, um mehr Erzieher in die Einrichtungen zu schicken. Mit Ausnahme von Berlin geben alle um die drei Prozent ihres Haushalts zur Kinderförderung aus.
Setzt man die Aufwendungen zur Zahl der betreuten Kinder ins Verhältnis, entsteht ein interessanter statistischer Wert: Mit monatlich rund 230 Euro pro Kind ist Niedersachsen in der Lage, ein kostenfreies Kita-Jahr zu finanzieren. Nun sollen zwei weitere Jahre hinzukommen, dann wird der Betrag für das Land schon bei mehr als 300 Euro im Monat liegen. Zum Vergleich: In Sachsen-Anhalt liegt der Wert bei etwa 190 Euro im Monat.
Was eine komplette Befreiung von den Beiträgen wirklich kostet, zeigt Berlin: rund 800 Euro im Monat pro Kind, in etwa 10.000 Euro im Jahr. Würde Sachsen-Anhalt ebenso viel Geld in die Hand nehmen, wären das vergleichbare Werte. Laut einer Studie im Auftrag des Sozialministeriums kostet ein 8-Stunden-Platz in der Krippe rund 11.550 Euro pro Jahr. Für einen 8-Stunden-Platz im Kindergarten fallen rund 5829 Euro an. In Summe käme man wohl mit rund 9000 bis 10.000 Euro hin.
Doch der Haushalt von Finanzminister André Schröder (CDU) ist mit 11,2 Milliarden Euro nicht einmal halb so groß wie der Berliner (26,7 Milliarden Euro). Unabhängig davon investiert der Stadtstaat prozentual fast doppelt so viel wie Sachsen-Anhalt. Allein für die bessere Betreuung der Unter-Dreijährigen stellt Berlin mal eben rund 60 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.
Das sind Größenordnungen, die in Sachsen-Anhalt derzeit unrealistisch sind. Das Haus von Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) versucht, die hiesigen Vorteile herauszustellen. Im Gegensatz zu vielen alten Bundesländern verfüge Sachsen-Anhalt über ein flächendeckendes, gut ausgebautes Netz an Kitas „mit vielfach längeren Öffnungszeiten“. Auch die Elternbeiträge liegen im bundesweiten Schnitt.
Doch der Landesrechnungshof macht in puncto Finanzen Druck. Die Landesregierung soll das komplizierte Finanzierungssystem noch einmal unter die Lupe nehmen. Präsident Kay Barthel sagt: „Mit dem vielen Geld im System kann man noch mehr erreichen.“
Bis zum Sommer will die schwarz-rot-grüne Koalition ein neues Kinderförderungsgesetz erarbeiten – schon jetzt zweifeln aber viele im Landtag, dass dieser Zeitplan zu halten ist. Der Grund: Die Vorstellungen der drei Parteien gehen sehr weit auseinander.
Die CDU will ähnlich wie andere Länder vor allem Personalkosten finanzieren und den Ganztagsanspruch für alle Kinder einschränken. Das lehnt die SPD ab. Sie möchte, dass Eltern nur für das älteste Kind Kita-Beiträge zahlen. Die Grünen wollen wie die Sozialdemokraten weiter in Bildung investieren und bessere Arbeitsbedingungen für die Erzieher schaffen. Grimm-Benne sagt: „Ich will eine Qualitätsdebatte. Die anderen Bundesländer investieren massiv, da können wir nicht zuschauen.“
Die Verhandlungen werden zeigen, wie viel von dem hehren Ziel übrig bleibt. Auch ihr Vorgänger Norbert Bischoff sah sein Gesetz einst als „große Nummer“. „Das halte ich aufrecht“, sagt er heute dazu. „Was wir im Bereich Bildung und Ganztagsanspruch umgesetzt haben, war vorbildlich. In der Kinderbetreuung darf es nicht nur um die Kosten gehen.“