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Mordprozess Li  Missbraucht, gequält, ermordet

Während der 36 Prozesstage am Landgericht Dessau wurden zahlreiche Details des Sexverbrechens an der chinesischen Studentin bekannt.

Von Bernd Kaufholz 05.08.2017, 23:00

Dessau l Hunderte Menschen nahmen im Mai an der Trauerfeier an der Hochschule Anhalt in Dessau teil, darunter auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Auf dem Campus wurden Yangjie Lis Lieblingsblumen gepflanzt: Weiße Rosen. Wie es zu ihrem grausamen Tod kam, sollte nun der seit 25. November andauernde Prozess klären.

DAS OPFER: Die damals 25-jährige Yangjie Li studierte im fünften Semester Architektur an der Hochschule Dessau. Sie wohnte in einer Wohngemeinschaft in der Dessauer Innenstadt. Ihre Eltern beschrieben ihre Tochter in einem bewegenden bei der Gedenkfeier verlesenen Brief an ihre tote Tochter so: „Yangjie, du warst immer ein fleißiges Mädchen. Von der Grundschule bis hin zum Studium, hattest sogar ein Stipendium und bist dann im Oktober 2014 nach Deutschland gegangen, um hart zu studieren ... Am 11. Mai im vergangenen Jahr bist du wie üblich Joggen gegangen. Nur ein paar Meter von deinem Zuhause entfernt bist du in die Falle kranker Menschen gelaufen und wurdest kaltblütig ermordet.“

Lis Eltern erheben auch erneut Vorwürfe gegen die Justiz: „Obwohl damals schon genug Beweise gegen die Behauptungen der mutmaßlichen Mörder vorlagen, wiederholte der Oberstaatsanwalt mehrfach stumpf und ausschließlich die Lügen der Mörder in der Pressekonferenz.“ Die Tochter der Familie Li wäre in einigen Wochen, am 9. September, 27 Jahre alt geworden.

DIE TAT: Es ist der 11. Mai 2016, als Yangjie Li vom Joggen nicht in ihre Wohngemeinschaft zurückkehrt. Wie sich im Prozess herausstellt, haben die beiden später verurteilten Xenia I. und Sebastian F. die junge Frau gegen 21.30 Uhr auf dem Rückweg von der Joggingrunde abgepasst und unter einem Vorwand an das Haus gelockt. Bilder einer Überwachungskamera aus einem Antiquitätengeschäft zeigen, wie Xenia I. mit den Händen gestikuliert und mit dem späteren Opfer spricht. Sie lockt es an das Hoftor. Dahinter soll Sebastian F. gestanden haben, der heftig auf die 25-Jährige einschlug. Das Paar zieht die junge Frau in eine leere Wohnung, wo die Studentin etwa zwei bis drei Stunden lang brutal gequält und mehrfach vergewaltigt wird.

Sie wehrt sich offenbar auch heftig, weil sie der Angeklagten auch Haare herausriss. Die Verletzungen sind heftig, dass die beiden Angeklagten das Opfer in der Wohnung liegen lassen – im Glauben, dass sie bald sterben würde. Gegen 2.30 Uhr stellen im Ergebnis der Ermittlungen die beiden Angeklagten fest, dass die Chinesin noch lebt. Sie wird aus der Wohnung zu einem leeren Hinterhaus geschleppt, in dem zu diesem Zeitpunkt Sanierungsarbeiten laufen. Während Xenia I. die Frau festhält, geht Sebastian F. um das Haus herum, hebt sie heraus und legte sie unter einer Konifere ab. Schwerstverletzt bleibt sie dort liegen, bis sie an den multiplen Verletzungen stirbt: Herzversagen infolge einer sogenannten Lungenfettembolie. Da ein mobiles Toilettenhäuschen die Sicht zum Ablageort versperrt, wird die Tote erst zwei Tage später, am 13. Mai, gefunden.

SEBASTIAN F.: Der heute 21-Jährige wird von einem psychiatrischen Gutachter als außergewöhnlich empathieloser und sehr gefühlskalter Mensch charakterisiert. Er zeige weder Schuldgefühle noch Reue. Bereits seit dem frühesten Kindesalter gab es bei Sebastian F. eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in Verbindung mit gestörtem Sozialverhalten. Er biss, kratzte und schlug Kinder. Es gab mehrere Klinikaufenthalte, zuletzt 2012. Nach Aussagen einer Gartennachbarin soll Sebastian F. unter anderem das Kind seiner Freundin an den Beinen gepackt und es kopfüber in eine mit Wasser randvoll gefüllte Regentonne gesteckt haben. Gegen ihn gab es etliche Strafverfahren unter anderem wegen Brandstiftung, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Auch das Sexualleben bezeichnen die Ermittler als ungewöhnlich.

So waren vier Kriminalisten aus Dessau-Roßlau und aus Halle mit der Auswertung der Daten sämtlicher Computer, Mobiltelefone sowie Festplatten beschäftigt. Sie finden dabei Tausende pornografische Fotos, mehrere Videosequenzen und Chat-Protokolle, die tief in das Sexualleben des Pärchens blicken lassen. So war auf dem Mobiltelefon von Sebastian F. auch ein Sex-Film gespeichert, bei dem es um brutalen Sex eines Mannes mit einer asiatisch aussehenden Frau ging. Ein 17 Minuten langes Video zeigt außerdem die beiden Angeklagten beim Sex. Es zeigt, wie sich im Jahr 2016 Sebastian F. durch Xenia I. oral unter Druck befriedigen lässt.

Anschließend erbricht seine damalige Frau, beide streiten danach. Für die Staatsanwaltschaft ist dies ein wichtiges Beweismittel für das dominante Verhalten des Angeklagten. Die Polizisten fanden bei Sebastian F., der über keinen Berufsabschluss verfügte, einen gespeicherten „Ehe-Vertrag“. Darin versprechen sich die beiden Angeklagten unter anderem die Erfüllung aller sexuellen Tabus. Eine Klausel könnte sogar ein Auslöser für das Verbrechen gewesen sein. Darin verspricht Xenia I., bei Nicht-Einhalten des Vertrages, selbst für einen oder mehrere Ersatzpartner zu sorgen.

XENIA I.: Die zur Tatzeit 21-jährige Dessauerin ist Mutter von zwei Kindern. Eines stammt aus der Beziehung mit Sebastian F. Die beiden sind seit Sommer 2013 ein Paar. Etwa ein Jahr später habe es die ersten Übergriffe auf sie gegeben, sagte die junge Frau vor Gericht aus. Er habe sie fast täglich zum Sex gezwungen und mehrfach geschlagen.

Sie selbst ist in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Laut Gutachter erlebte sie eine Kindheit voller Gewalt und Ausgrenzung: Von der Mutter nicht gewollt, der Vater früh gestorben. Der Stiefvater habe sie später geschlagen und sexuell missbraucht. Es folgten zwei Partnerschaften mit drei Schwangerschaften. Ein Baby starb den plötzlichen Kindstod. Nach Aussagen des psychiatrischen Gutachters sei ihr Reifeprozess noch nicht abgeschlossen. Er schlug deshalb auch die Anwendung des Jugendstrafrechts bei ihr vor.

DIE ELTERN: Die Mutter des Angeklagten und ihr Ehemann und Stiefvater sind beide Polizisten. Er leitete damals das Dessauer Revier. Sie war sogar zeitweilig freiwillig an den Ermittlungen im Mordfall Li beteiligt. Beide halfen nur wenige Tage nach der Tat sogar dem Paar beim Umzug. Sie bestritten aber, die Wohnung selbst betreten zu haben. Für einen Eklat sorgte später, dass die Eltern einen Tag nach der Trauerfeier für das Opfer ein Gartenlokal mit einer Party eröffneten. Beide waren zu diesem Zeitpunkt krankgeschrieben. Es folgte eine Zwangsbeurlaubung des Revierleiters, die zurückgenommen wurde. Gegen eine Versetzung in die Fachhochschule Aschersleben klagte der Beamte mit Erfolg vorm Verwaltungsgericht.

Er bekam daraufhin einen Posten in der Polizeidirektion Ost. Die Generalstaatsanwaltschaft kam später zu dem Schluss, dass beide Beamte keinen Einfluss auf die Ermittlungen hatten. Der Stiefvater machte im Prozess von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebraucht. Die Mutter sollte erst trotz ärztlicher Atteste vorgeladen werden. Das Gericht verzichtete dann doch, nachdem sie durch einen Anwalt erklären ließ, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache. Nach der Tat soll es mehr als 40 Telefonate zwischen der Mutter und ihrem Sohn gegeben haben. Worum es dabei ging, bleibt offen.