Bis zum Mauerfall sollen 50000 Menschen ohne ihr Wissen als Testpatienten gedient haben Zwei Tote in Lostau bei DDR-Medikamententests von Westfirmen?
Magdeburg l Westliche Pharmakonzerne sollen in der DDR Hunderte Medikamentenstudien an mehr als 50000 Patienten in Auftrag gegeben haben. Wie der "Spiegel" vorab berichtet, wurden bis zum Mauerfall in mehr als 50 DDR-Kliniken unter anderem Herzmedikamente und Antidepressiva getestet - oft ohne Wissen der Betroffenen. Dabei soll es auch Todesfälle gegeben haben.
Dass westliche Pharmahersteller Medikamententests in der DDR vornehmen ließen, ist nicht neu. Die Volksstimme hat bereits mehrfach darüber berichtet. Neu soll das Ausmaß der Versuche sein. Neu ist auch, dass dabei Patienten in der Lungenklinik Lostau bei Magdeburg gestorben sein sollen.
Das Magazin beruft sich auf bislang unbekannte Akten des DDR-Gesundheitsministeriums, der Stasi und des Instituts für Arzneimittelwesen der DDR. In Lostau sind dem Bericht zufolge zwei Patienten gestorben, die mit dem von Sandoz (heute Teil des Novartis-Konzerns) entwickelten Blutdrucksenker Spirapril behandelt wurden; der Versuch wurde abgebrochen.
In der Lungenklinik Lostau, die seit den 90er Jahren zu den Pfeifferschen Stiftungen in Magdeburg gehört, seien diese Fälle bisher nicht bekannt, sagte Pressesprecherin Ulrike Petermann gestern auf Volksstimme-Anfrage. "Wir sind aber sehr daran interessiert, das aufzuklären", so Petermann. Im vergangenen Jahr habe ein Patient nach einem entsprechendem Verdacht auch Einsicht in seine Akte genommen. Petermann: "Wir unterstützen die geplante wissenschaftliche Aufarbeitung."
"Keine Verdachtsmomente, dass etwas faul gewesen wäre"
Die Medikamententests an DDR-Kliniken sollen nun in einem Forschungsprojekt an der Berliner Charité untersucht werden, wie der Leiter des Charié-Instituts für Geschichte, Volker Hess, der Nachrichtenagentur dpa sagte.
An der Charité ließ Boehringer-Mannheim zum Beispiel die als Dopingmittel missbrauchte Substanz Erythropoetin ("Epo") an 30 "unreifen Frühgeborenen" erproben, wie es in den Akten heißt.
Patienten seien über Risiken oft im Unklaren gelassen worden. Noch im März 1989 habe sich der Hersteller Hoechst, der heute zur Sanofi-Gruppe gehört, laut Sitzungsprotokoll einverstanden erklärt, "dass der Aufklärungstext beim Prüfer verbleibt und nicht dem Patienten ausgehändigt wird". Die West-Pharmahersteller boten den Alkten zufolge bis zu 800000 D-Mark pro Studie an.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller sieht "bisher keine Verdachtsmomente, dass irgendetwas faul gewesen wäre", schreibt das Magazin.
Die DDR-Opfer-Hilfe forderte gestern von den Unternehmen Entschädigung für die Betroffenen und eine umfassende Aufklärung durch das Bundesgesundheitsministerium.