1. Startseite
  2. >
  3. Sachsen-Anhalt
  4. >
  5. Staatssekretär Böning muss nach Halle-Fluchtversuch gehen

Staatssekretär Böning muss nach Halle-Fluchtversuch gehen

Der Druck auf das Justizministerium war am Ende zu groß: Knapp drei Wochen nach dem Fluchtversuch des Halle-Attentäters muss der zuständige Staatssekretär gehen. Die Ministerin traut ihm die Aufgabe nicht mehr zu.

18.06.2020, 17:41

Magdeburg (dpa/sa) - Im Skandal um den Fluchtversuch des Attentäters von Halle muss ein Spitzenbeamter im Magdeburger Justizministerium seinen Posten räumen. Ministerpräsident Reiner Haseloff versetzte am Donnerstag den für die Haft des Attentäters zuständigen Staatssekretär im Justizministerium, Hubert Böning (beide CDU), in den einstweiligen Ruhestand. Zuvor hatte es immer mehr Kritik am Krisenmanagements von Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) und ihrem Staatssekretär Böning gegeben.

Es gehöre zu den Kernaufgaben eines Staatssekretärs, die Verwaltung eines Geschäftsbereichs in Aufbau und Ablauf zu organisieren, teilte das Justizministerium auf Nachfrage mit. "Diese Aufgabe ist eine ständige Herausforderung, insbesondere unter den Rahmenbedingungen eines über viele Jahre währenden Personalabbaus", so ein Sprecher. Unter den gegenwärtigen Bedingungen sehe Ministerin Keding Böning nicht mehr in der Lage, dieser Aufgabe gerecht zu werden.

Der Fluchtversuch werde weitere Konsequenzen haben, kündigte der Sprecher an. "Wir lokalisieren die Schwachstellen in der Arbeit und den Abläufen der JVA Halle und auch der zuständigen Abteilung im Ministerium und werden daraus Schlussfolgerungen ziehen."

Vor zwei Wochen hatte Keding bekannt gemacht, dass der Attentäter von Halle am 30. Mai versucht hatte zu fliehen. Der Mann soll während eines Hofgangs mehrere Minuten unbewacht gewesen sein. Als er das merkte, habe er nach Angaben des Ministeriums einen Zaun überklettert und ist auf der Suche nach Fluchtmöglichkeiten fünf Minuten über das Gelände der JVA Roter Ochse gelaufen, bevor ihn JVA-Bedienstete wieder in Gewahrsam nahmen. Der Vorfall hatte für Empörung gesorgt.

Am 21. Juli soll in Magdeburg der Prozess gegen den 28-Jährigen starten. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Sachsen-Anhalter zweifachen Mord und 68-fachen Mordversuch "aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus" vor. Er soll am 9. Oktober schwer bewaffnet versucht haben, in die gut besuchte Synagoge in Halle einzudringen. Als das misslang, erschoss er zwei Menschen in der Nähe und verletzte mehrere schwer, ehe er festgenommen wurde.

Keding hatte von dem Fluchtversuch nach eigenen Angaben erst drei Tage später erfahren und informierte einen weiteren Tag danach die Öffentlichkeit per Pressemitteilung. Verantwortlich für den Vorfall machte sie die JVA-Leitung: Diese habe eigenständig die Haftbedingungen für den Attentäter gelockert. An dieser Darstellung gibt es inzwischen Zweifel, etwa bei den Regierungsfraktionen von SPD und Grünen. SPD-Fraktionschefin Katja Pähle hatte am Dienstag eine "belastbare" Aufklärung "eher innerhalb von Stunden als von Tagen" gefordert. Dem schloss sich die Vorsitzende der Grünen-Fraktion am Donnerstag an und forderte explizit den Rauswurf Bönings. Andernfalls werde sie den Koalitionsausschuss einberufen, drohte Lüddemann.

Wenige Stunden nach diesem Ultimatum zog die Justizministerin dann die Reißleine und bat Haseloff um die Abberufung Bönings. Die SPD-Fraktion gab sich daraufhin versöhnlich. Sie begrüße, dass Keding nun personelle Konsequenzen gezogen habe, teilte Pähle am Donnerstag mit. "Der Prozess der Aufarbeitung des Ausbruchsversuchs muss jetzt zusammen mit dem Rechtsausschuss des Landtages fortgeführt werden." Auf Antrag der Linken landete das Thema auch auf Tagesordnung der Landtagssitzung am kommenden Dienstag.

Die Linke hatte Böning schon Anfang voriger Woche zum Rücktritt aufgefordert. Die rechtspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Eva von Angern, bezeichnete den Schritt als notwendig und folgerichtig. Anders als die SPD griff von Angern jedoch auch die Ministerin erneut an: "Das Krisen- und Informationsmanagement von Justizministerin Keding ist weiterhin katastrophal", sagte sie.

Sie kritisierte dabei unter anderem, dass Keding am Mittwoch die Rechtspolitiker der Regierungsfraktionen, nicht aber die Opposition, über weitere Erkenntnisse zum Fluchtversuch informiert habe. Das sei "eine grobe Missachtung des Informationsrechts des Parlaments", so die Linken-Politikerin.

Der 60-jährige Niedersachse Böning hat einen Großteil seiner Laufbahn im Dienste Sachsen-Anhalts verbracht. Schon 1991 hatte er als Leiter des Ministerbüros seinen ersten Posten im Magdeburger Justizministerium angetreten. Danach arbeitete er als Referatsleiter im Ministerium, dann als Oberstaatsanwalt in Halberstadt und schließlich wieder im Ministerium als Abteilungsleiter. 2012 ging er für vier Jahre nach Niedersachsen, bevor ihn Keding 2016 zum Staatssekretär machte.

Als Nachfolger für Böning schlägt die Ministerin nun Josef Molkenbur vor. Der gebürtigen Münsterländer sagte der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstagnachmittag: "Ich bin noch ein bisschen im Überraschungsmodus." Für ihn gehe es aus dem Ruhestand ins Ministerium. Von 1984 bis Ende Februar 2018 sei er Richter gewesen, seit 1995 in Sachsen-Anhalt, berichtete der 64-Jährige. Zuletzt arbeitete Molkenbur als Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt.

In seiner Zeit im Ruhestand sei er an der Martin-Luther-Universität in Halle aktiv gewesen, habe Arbeitsrechtsvorlesungen gehalten. Er sei auch Prüfer für das erste und zweite Staatsexamen gewesen. Molkenbur lebt in Magdeburg. Noch am Donnerstagnachmittag kam er zu einem ersten Kennenlernen in die Magdeburger Staatskanzlei, in den kommenden Tagen soll er dann ernannt werden.