Der Kritik am deutschen Sportsystem folgen in Sachsen-Anhalt Taten / Land will Motor sein Die Zeit drängt - Nur noch 1154 Tage bis Rio
Magdeburg/Berlin. Zehn Monate nach den Olympischen Spielen in London ist es ruhig geworden im deutschen Sport. In Sachsen-Anhalt regt sich dagegen Widerstand, der Kritik am Fördersystem folgten erste Taten.
Die Bilanz von 44 Medaillen (11 x Gold, 19 x Silber, 14 x Bronze - Platz sechs in der Nationenwertung) wurde im Anschluss an die Sommerspiele in London als bemerkenswerter Erfolg gefeiert. Zumindest von der Dachorganisation, dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Doch trotz des Selbstlobes von "Oben" keimte an der Basis Kritik am bestehenden Fördersystem im Leistungssport auf. Diese verhallte ebenso schnell wie die mahnenden Rufe jener, die davor warnten, weiterzumachen wie bisher. Denn dann, so ihre Befürchtungen, würde der Abstand zur Weltspitze weiter wachsen. Und spätestens bei den Spielen 2016 in Rio, wo das deutsche Team den neuesten Vorgaben von "Oben" zufolge Platz fünf (!) in der Nationenwertung anstrebe, würde das böse Erwachen kommen und das Geschrei über ausbleibende Medaillen wieder groß sein.
Einer, bei dem der Ruf nach Veränderungen nicht ungehört verhallte, ist Innen- und Sportminister Holger Stahlknecht. Er sorgt sich nach wie vor um die Entwicklung des Sportes und sucht in Sachsen-Anhalt zusammen mit dem Landessportbund (LSB) und den Olympiastützpunkten (OSP) nach zukunftsfähigen Lösungen - und schwimmt damit bewusst gegen den Strom. "Wir wollen nicht Querulant oder Besserwisser sein, sondern Motor", begründete der streitbare CDU-Politiker am Rande eines Themenabends ("Wie weiter nach Olympia?)" in der Landesvertretung in Berlin sein "Revoluzzertum".
Das täte auch not, wird der eine oder andere von Stahlknechts Kollegen insgeheim denken. Denn das 17-köpfige Team aus Sachsen-Anhalt in London hat lediglich eine einzige Bronzemedaille durch Kanute Andreas Ihle erkämpft. Das war die schlechteste Bilanz aller Zeiten.
In Sachsen-Anhalt wird nicht nur geredet
Das hatte auch Stahlknecht enttäuscht, und der Minister hat daraus kein Geheimnis gemacht. Er übte seinerzeit öffentlich Kritik und kündigte Konsequenzen an. Es blieb nicht bei Worten. Neben der Verabschiedung eines inzwischen in Kraft getretenen Sportfördergesetzes folgten weitere Taten. Und es wurde trotz heftigen Gegenwindes auf den Prüfstand gestellt, was auf den Prüfstand gehörte.
Dabei kristallisierte sich heraus, wo die Hebel zuerst angesetzt werden müssten:
Konzentration auf Förderung von Schwerpunktsportarten
Reform der Talentsichtung und -Förderung
Effektivierung der Eliteschulen des Sports
Gewährleistung einer dualen Karriere
bessere Bezahlung und Ausbildung von Trainern
Lösungsansätze diesbezüglich gibt es verschiedene. Das haben auch die Ansichten der Podiumsmitglieder des Themenabends in Berlin gezeigt, wo neben Stahlknecht Christa Thiel, Vizepräsidentin Leistungssport des DOSB und Präsidentin des Deutschen Schwimmverbandes, Ex-Schwimmerin Antje Buschschulte, LSB-Präsident Andreas Silbersack sowie Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, munter diskutierten.
Deutlich wurde dabei aber auch, dass über allem die Frage "Wer soll das bezahlen?" wie ein Damoklesschwert schwebt. Sicher ist ein verstärktes Engagement der freien Wirtschaft, sprich Sponsoring, nicht nur wünschenswert, sondern im Blick auf eine weitere Professionalisierung des Leistungssportes unabdingbar. Aber dafür bedarf es zuallererst eines klaren Signals: Das Bekenntnis der Politik zum Leistungssport-standort Deutschland.
Solange es ein solches nicht gibt, wird die Debatte um die Zukunftsfähigkeit des deutschen Sports, die von Top-Athleten wie Fechterin Imke Duplitzer oder Diskuswurf-Olympiasieger Robert Harting vor neun Monaten angeschoben und von Stahlknecht Co wiederbelebt wurde, widerstandslos von beratungs- und kritikresistenten Funktionären wie DOSB-Präsident Thomas Bach oder Generaldirektor Michael Vesper durchgewinkt und ins Leere laufen.
Besorgniserregende Ruhe im deutschen Sport
Die vielerorts vorherrschende Ruhe - es sei denn, es ist jene vor dem Sturm - ist eben nicht verdächtig, sondern bezeichnend und somit besorgniserregend. Denn, wenn nicht jetzt, wann dann müssen weit- reichende Reformen und Strukturveränderungen anfangen zu greifen? Es sind nicht noch 1154 Tage bis Rio, sondern nur noch!