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Boxen: Ex-Weltmeister trägt bei SES Verantwortung für 13 Athleten / Mit "Team Deutschland" zu neuen Ufern Dirk Dzemski: Der Mann im Hintergrund

Von Janette Beck 27.06.2013, 01:17

Magdeburg l "Bam, Bambam, Bam". Trockene, kurze Schläge hallen durch das SES-Gym im Magdeburger Plattenbauviertel Olvenstedt. Immer und immer wieder. Dazwischen hört man es pusten und schnaufen. Es riecht nach harter Arbeit. Kein Wunder, laufen die schweißtreibenden Vorbereitungen auf den Kampfabend am Freitag in Halle, wo sich das neugegründete "Team Deutschland" erstmals mit seinen hoffnungsvollen Talenten präsentieren wird, auf Hochtouren. Zudem scharren auch die fünf SES-Boxer, die am 13. Juli in Dresden in den Ring steigen, ungeduldig mit den Hufen . Allen voran Weltmeister Robert Stieglitz.

"Ich brauche das Rampenlicht nicht, um glücklich zu sein."

Dirk Dzemski, der als Chefcoach beim Magdeburger Boxstall derzeit für 13 Athleten die sportliche Verantwortung trägt, hat also alle Hände voll zu tun. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der Coach tanzt durch den Ring. Er hält die Tatzen hin. Rechts, links, unten, links oben. Die Adern an den Armen treten bläulich hervor, denn der Trainer muss sichtlich dagegenhalten. In den Pausen schüttelt er die Hände aus und atmet tief durch. Dass ihn die Serien genauso anstrengen wie Juniorenweltmeister Dominic Bösel, lässt er sich nicht anmerken. Doch die Schweißperlen auf der Stirn verraten ihn.

Dzemski, der bereits Trainingsrunden mit drei anderen Youngstern aus dem "Team Deutschland" in den Knochen hat, muss in sich hineinlächeln. Das Geräusch, den der "Bums" des sachsen-anhaltischen Eigengewächses beim Aufprall auf die Tatzen erzeugt, ist (Zukunfts-)Musik in den Ohren des Trainers: "Dominic steckt voller Energie." Bösel, am Freitagabend in Halle erstmals Hauptkämpfer, sei nicht nur auf dem Papier der Team-Kapitän, sondern auch im Trainingsalltag. "Seine Einstellung, seine Lernbereitschaft und sein Trainingseifer sind vorbildlich. Dominic hat von all unseren Talenten die größte Entwicklung gemacht. Und die ist längst noch nicht am Ende. Von ihm werden wir in Zukunft noch viel mehr erwarten dürfen."

Doch auch in der Gegenwart hat der Ex-Weltmeister im Mittelgewicht (NBA-Verband) zuletzt aufhorchen lassen. Mit einem Paukenschlag, der die Boxwelt zumindest in Deutschland in ihren Grundfesten erschütterte. Und der den erfolgsverwöhnten Sauerland-Boxstall schmerzhaft in der Magengrube getroffen haben dürfte. Der spektakuläre TK.o.- Sieg von SES-Star Robert Stieglitz über Arthur Abraham in Magdeburg hat aus dem Jung-Trainer den "Weltmeister-Trainer" gemacht. Dirk Dzemski ist aus dem lange Zeit überdimensional groß erscheinenden Schatten von Trainer-Legende Ulli Wegner herausgetreten. Das Rampenlicht gehört auf einmal ihm. Und er genießt es offensichtlich, auch wenn der gebürtige Hallenser behauptet: "Ich brauche das Rampenlicht nicht, um glücklich zu sein oder zu wissen, was ich kann." Außerdem gebühre der Lorbeer nicht ihm allein. "Roberts Sieg war eine echte Teamleistung. Da hat ein Rädchen ins andere gegriffen - und genau das ist unser Erfolgsgeheimnis."

"Es hat ein wenig gedauert, bis wir uns zusammengerauft haben. Aber heute funken wir auf einer Wellenlänge."

Und doch, dass der im Hinkampf nach Punkten unterlegene Stieglitz den Spieß umdrehen konnte, dass die Revanche geglückt und der WBO-Titel zurück nach Magdeburg geholt wurde, ist sehr wohl auch ein Verdienst des Cheftrainers. Der wurde wenige Tage vorher noch vom gegnerischen Lager belächelt, als er von einer "coolen Taktik" und einem "geilen Plan" sprach, mit dem man Abraham, den Weltmeister auf Zeit, überlisten wolle.

Das Lachen ist ihnen - wie man heute weiß - gründlich vergangen. Von Genie-Streich und taktischer Glanzleistung Dzemskis war hinterher die Rede. Und der vor Stolz fast platzende SES-Promoter Ulf Steinforth lobte seinen sportlichen Leiter über den grünen Klee: "Robert war perfekt eingestellt. Was Dirk geleistet hat, war der pure Wahnsinn. Aber so, wie ich immer an Robert geglaubt habe, habe ich auch an Dirk und seine Fähigkeiten als Trainer geglaubt. Er ist \'n Guter!"

Dabei war Dzemski dem alten und neuen Weltmeister, der am 13. Juli in Dresden seinen Titel gegen den Japaner Yuzo Kiyota verteidigen wird, einst nicht gut genug. Aus den anfänglichen Problemen mit seinem heute besten Pferd im Stall macht der Trainer kein Geheimnis. Denn Stieglitz war nach dem Rauswurf von SES-Trainer Werner Kirsch 2007 der Einzige, bei dem Nachfolger Dzemski nicht erste Wahl war. Sondern Torsten Schmitz. Erst als dieser quasi über Nacht SES verließ und bei Sauerland anheuerte, änderte der Champion seine Meinung. Dzemski: "Es hat ein wenig gedauert, bis wir uns zusammengerauft haben. Aber heute funken wir auf einer Wellenlänge."

Wie perfekt das Team inzwischen harmoniert, zeigt das Beispiel Abraham. Den sonst so schlagstarken "King" Arthur zur Aufgabe gezwungen zu haben, das betrachteten viele Box-Fans, aber auch einige Experten, als "das Meisterstück" von Dirk Dzemski als Trainer. Doch der wiegelt bescheiden ab: "Das hat vielleicht die Öffentlichkeit so gesehen, weil ich das erste Mal so richtig im Fokus stand. Aber ich habe davor ja schon einige andere zu Weltmeistern gemacht: Jan Zaveck zum Beispiel, oder auch Lukas Konecny oder Esther Schouten."

Dass der einstige Amateur (240 Kämpfe/190 Siege) und im Jahr 2000 ins Magdeburger Profilager gewechselte Boxer überhaupt die Rollen getauscht hat, "war mehr Zufall als geplant gewesen", blickt Dzemski auf seine Anfänge als Trainer zurück. Der Görziger hat zwar sämtliche Stufen der DDR-Boxsportschule durchlaufen, noch 1990 die B-Lizenz als Amateurtrainer erworben - und sie bis heute alle zwei Jahre neu verlängern lassen.

Die Nachfolge von Werner Kirsch als Cheftcoach der SES-Profis trat er nur an, "weil ich zur rechten Zeit am rechten Ort war". Trainerfuchs Kirsch, der Dzemski 2002 als ersten Magdeburger Berufsboxer zu Weltmeisterehren führte, war im März 2007 von Steinforth aufs Altenteil abgeschoben worden. Vorausgegangen war der Entlassung die TK.o.-Niederlage von Stieglitz im Kampf um den vakanten IBF-Titel gegen Alejandro Berrio (Kolumbien/bei Sauerland unter Vertrag). "Ich hatte meine damalige Verletzungszeit sinnvoll genutzt und Werner als Co-Trainer zur Seite gestanden. Und auf einmal sollte ,Kirsche\' weg, und Ulf kam zu mir und sagte: Du übernimmst jetzt das Ruder."

"Es gibt keinen Trainer-Vertrag - mir reicht ein Handschlag."

Das tat der zweifache Familienvater. Mit viel Eifer, Ehrgeiz und großer Motivation. Aber ohne jeglichen Vertrag. Und das ist auch heute noch der Fall. "Es gibt keine schriftlichen Vereinbarungen mit Ulf. Das brauchen wir beide nicht. Uns reicht ein Handschlag." Beide würden sich blind verstehen, versichert er, und SES sei mehr Familienbetrieb als ein wirtschaftliches Unternehmen. "Unsere Basis ist grenzenloses Vertrauen und gegenseitige Achtung. Das unterscheidet die Zusammenarbeit mit Ulf auch so angenehm von den schwarzen Schafen in dem Geschäft", beteuert Dzemski, der mit seiner Ehefrau Anja und den Söhnen Marlon (10) und Tom (16) in Görzig lebt und dort ein Sonnenstudio sowie ein Transportunternehmen betreibt. Als Unternehmer beziehe er kein festes Gehalt von SES. "Ich stelle Ulf Rechnungen aus. Das hat bis jetzt immer wunderbar funktioniert. Und wenn er eines Tages mit meiner Arbeit nicht mehr zufrieden ist, dann ist das halt so und ich muss gehen."

Von seinen drei Standbeinen ist das des Box-Trainers das "sicherste und stärkste". Das Rüstzeug für den Trainerjob hat sich der gelernte Kfz-Mechaniker mehr oder weniger durch "learning by doing" erworben. "Natürlich habe ich mich mit Trainingslehre, -methodik oder Leistungsdiagnostik beschäftigt. Aber ich bin keiner, der stundenlang über Trainingsplänen brütet. Oder Tag und Nacht Bücher liest und studiert. Vieles mache ich aus dem Bauch heraus. Ich glaube, ich bin ein guter Beobachter, reagiere aus der Situation heraus. Und ich klaue mir sozusagen viel mit den Augen, schaue mir von den guten Trainern das Beste ab."

Ein super Lehrmeister sei Werner Kirsch gewesen. "Von ihm habe ich sehr viel gelernt. Und auch von Fritz Sdunek halte ich viel. Er ist in vielem mein Vorbild. Vor allem, was den Umgang mit den Athleten betrifft und seine Ansprache während der Ringpause." Dass er das Box-Abc zu DDR-Zeiten bei den Amateuren gelernt hat und sich in der Kinder- und Jugendsportschule in Halle buchstäblich durch- und nach oben boxen musste, sei für die berufliche Karriere "Gold wert" gewesen. "Klar, es gehen heute viele den direkten Weg zu den Profis, aber für mich sind diese Erfahrungen bei den Amateuren unbezahlbar", so Dzemski, den es freut, dass seine beiden Jungs in seine Fußstapfen treten. "Ich befördere das, solange ich nicht ihr Trainer bin."

"Mit 41 Jahren stehe ich noch am Anfang meiner Karriere als Trainer."

Als Trainer habe er trotz der ersten durchschlagenden Erfolge "natürlich noch längst nicht ausgelernt. Ich bin ja erst 41 Jahre und stehe immer noch am Anfang meiner Karriere und lerne jeden Tag etwas dazu", betont Dzemski, der sich nicht schwer damit tut, Fehler einzugestehen. Und so räumt er ein, "den wohl bisher größten" ausgerechnet bei seinem Musterschüler gemacht zu haben: "Dass ich Robert überhaupt im August letzten Jahres gegen Abraham habe boxen lassen, konnte ich mir lange selbst nicht verzeihen. Unter den gegebenen Umständen, mit der verletzten Schlaghand und dem privaten Stress, den er wegen der Scheidung hatte, konnte das eigentlich gar nicht gutgehen."

Die ungeschminkte Wahrheit musste er sich unter anderem auch von seinem Vater Dittmar anhören. Der war und ist nicht nur Ansprechpartner Nummer eins, sondern auch als Kritiker stets willkommen. "Schließlich war er auch mein Trainer der ersten Stunde." Ohnehin bezeichnet sich Dirk Dzemski als Teamplayer und als "kritikfähig". Anders würde es seiner Meinung auch gar nicht funktionieren. "Der Trainingsprozess ist ein Geben und Nehmen. Und das nicht nur zwischen Trainer und Athlet, sondern auch zwischen mir, dem Promoter, Mentalcoach und unseren medizinischen Betreuern."

Ohne seine Co-Trainer Kai Kurzawa und René Friese wäre Dirk Dzemski in Tagen wie diesen aufgeschmissen. "Alleine könnte ich den Berg von Arbeit gar nicht stemmen. Deswegen bekommen nach solchen Erfolgen wie dem von Robert auch alle immer ein Stück vom großen Kuchen ab."