Ein Fußball-Kontinent schaut auf Polen und die Ukraine, beide Länder richten die EM 2012 aus. Gerade in Polen stellt sich die Sicherheitsfrage. 101 Tage vor dem Eröffnungsspiel in Warschau hat das Land eine Antwort gegeben. Von Daniel Hübner Europameisterschaft 2012: Warschau sieht alles
Der Atmosphäre ist nicht für gute Nachrichten gemacht: So bedrückend dunkel ist es im Saal des Warschauer Sofitel Victoria an jenem 28. Februar dieses Jahres. Adam Olkowicz muss die Fragen nach der Sicherheit beantworten, 101 Tage vor der Fußball-Europameisterschaft. Und der polnische Turnierdirektor gibt eine Antwort: "Keines der 20 Spiele stellt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko dar."
Warschau l Adam Olkowicz ist 68 Jahre alt, er spricht sehr bestimmt, fast ein bisschen trotzig. Bei Fragen schaut er nachdenklich auf den Tisch vor ihm, als suche er dort die Antworten. Gibt er sie dann, durchbricht sein scharfer Blick die Distanz zum Fragesteller. Olkowicz weiß um die Schlagzeilen, für die polnische Hooligans 2011 gesorgt haben. Er ignoriert sie, wenn er erklärt, Fans aus den Niederlanden und England seien auch nicht besser. Aber er sagt auch: "Wir werden auf alles vorbereitet sein."
Das war Polen lange Zeit nicht, weil das Land die Gewaltbereitschaft seiner Fans unterschätzte oder gar schweigsam akzeptierte. Bis zum vergangenen Jahr.
Im März: Beim Freundschafts-Länderspiel in Litauen werfen 200 polnische Hooligans auf den Straßen von Kaunas mit mit Feuerwerkskörpern, Steinen und Flaschen nach den Sicherheitskräften. Zwölf Krawallmacher werden festgenommen.
Im Mai: In Bromberg (Bydgoszcz) stürmen Hooligans nach dem Ende des Pokalfinals, das Legia Warschau mit 5:4 im Elfmeterschießen gegen Lech Posen gewann, das Feld, zertrümmern Werbetafeln, attackieren Fotografen. Vor den Augen der Verantwortlichen des polnischen Fußballverbands, auch vor Kindern.
Es waren genau jene zwei Vorfälle zu viel, die Premierminister Donald Tusk dazu ermutigt haben, den Hooligans den Kampf anzusagen. "Es wird eine starke Reaktion der Regierung geben, so kann es nicht weitergehen", sagt damals Regierungssprecher Pawel Gras der "Welt online".
Noch im vergangenen Juli hat der Rundfunk Berlin-Brandenburg erschreckende Szenen mit prügelnden Männern auf Wiesen in Bild und Ton aus Polen geliefert. Ein Hooligan erklärt im Bericht: "Wir sind einfache Jungs, die Lust haben, anderen auf die Fresse zu hauen." Sie würden sich "freuen auf die Engländer und auf die ostdeutschen Nazis". Ein hoher Polizeibeamter sagt indes: "Die reden viel, wenn der Tag lang ist, die Hooligans werden uns bei der EM nicht überraschen."
Zumindest wurden alle Maßnahmen dafür eingeleitet. Es wird "1 000 Sicherheitskräfte auf 10 000 Besucher geben, da ist kein Platz für Hooligans", sagt zum Beispiel Andrzej Cudak, der Verantwortliche für den reibungslosen Ablauf in der Stadt Warschau. Der polnische Fußballverband hat 2011 allein 2 000 Hooligans aus den Stadien ausgeschlossen, 200 weitere wurden von den Vereinen mit Stadionverboten belegt. "Es wurden neue rechtliche Vereinbarungen getroffen", erklärt Olkowicz. Diese sehen zum Beispiel eine engere Zusammenarbeit zwischen Vereinen und Polizei vor. Und "wir arbeiten mit Inter- und Europol zusammen", sagt Olkowicz - um den Überblick über die internationale Fanszene zu behalten. Koordinierungsstelle ist auch dafür das neue Hauptsicherheitsquartier in Warschau.
Warschau hat aufgerüstet. Das Überwachungssystem der polnischen Hauptstadt zählt 5 009 Kameras, darunter 537 in den Straßen, 4 792 in den Bussen, Straßenbahnen und der U-Bahn, 502 in den Straßenbahnen. 22 Pferde zählt die Reiterstaffel, 41 Tiere die Hundestaffel, die Wasserschutzpolizei verfügt nun über das modernste Motorboot in Europa. Warschau, so scheint es zumindest, sieht alles.
Die Polizei setzt in Polen überhaupt auf neueste Technik. Während aller EM-Spiele, es sind jene 20 von insgesamt 31, kommen mobile Scanner zum Einsatz, die Stadionbesucher nach radioaktivem und pyrotechnischem Material durchleuchten. Zudem sollen Scharfschützen die Stadien sichern. Und die Polizei probt außerdem in der Operation "Libero" regelmäßig den Ernstfall: den Einsatz bei Ausschreitungen.
1,5 Millionen Fans werden zur EM in Polen und der Ukraine erwartet, zwölf Millionen Ticket-Bestellungen hatten die Organsiatoren gezählt. Die billigste Eintrittskarte kostete 30, die teuerste 500 Euro. Auf den Fanmeilen sollen sich bis zu 100 000 Besucher tummeln.
Polen hat 20 Milliarden Euro in die Hand genommen, um eine passende Infrastruktur zu schaffen. Joanna Mucha, Polens Ministerin für Tourismus und Sport, weihte in den vergangenen Monaten neue Terminals auf den Flughäfen ein. Nur ein Projekt wird in Warschau nicht mehr fertig zur EM: Die zweite U-Bahn-Linie der Stadt, die Ost-West-Verbindung, die unter der Weichsel entlang gebaut werden soll. Sie wird erst 2013 in Betrieb genommen. "Wir wollen, dass sich jeder so wohlfühlt, dass er wiederkommen möchte", sagt Mucha. "Polen hat eine ausgesprochen große Chance", sich als freundliches Tourismusland zu präsentieren.
So empfinden es alle Polen. In Warschau sind sie stolz auf das neue Nationalstadion. Sie befürchten lediglich ein Verkehrschaos in der Stadt während der EM. Und sie befürchten, dass ihre Mannschaft es über die Vorrunde hinaus nicht schaffen wird. Traurig klingt dabei niemand. Aber vor allem verliert sich in allem das Thema Sicherheit.
Beim ersten Spiel im Nationalstadion am 29. Februar zwischen Polen und Portugal herrscht eine beeindruckende Disziplin. Nur zwei Eingänge sind für die 55 000 Fans geöffnet. Und trotzdem sind es nur 20 Minuten vom Stadiontor bis zum Tribünenplatz. 5 000 Polizisten und Ordnungskräfte sichern die Partie ab. Es wird keine Nachrichten von Verletzten, Ausschreitungen oder harmloseren Zwischenfällen geben. Diszipliniert verlassen die Besucher nach dem Abpfiff das Areal, bewegen sich über die Poniatowski-Brücke über der Weichsel in Richtung Zentrum - und hauchen Warschau noch ein bisschen fröhliches Nachtleben ein.
Es war die letzte Chance, das Nationalstadion von der Europäischen Fußball-Union UEFA für die EM abnehmen zu lassen. Warschau hat die Generalprobe mit Bravour bestanden. Und sie hat Olkowicz Recht gegeben: "Die friedlichen Fans sind sowieso in der Mehrheit." Das ist die beste Nachricht.
Der Countdown läuft, es sind noch 68 Tage bis zur EM.