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EM-Finale gegen England Ende einer „wahnsinnigen Reise“: Woltemades U21 ohne Krönung

Die U21 verspürt nach einer großen EM große „Leere“. Kein Woltemade-Tor, kein Titel. Wohin geht der Weg für den Turnier-Star? Wohin der des Teams? Prognosen von Völler und Nagelsmann wecken Hoffnung.

Von Christian Kunz, dpa Aktualisiert: 29.06.2025, 12:19
Der Titel des Torschützenkönigs macht Nick Woltemade nicht glücklich.
Der Titel des Torschützenkönigs macht Nick Woltemade nicht glücklich. Robert Nemeti/dpa

Bratislava - Nick Woltemade rang sich nach einer kurzen Nacht ein gequältes Lächeln ab, als er Autogramme schrieb und für Fotos mit einer Handvoll Fans posierte. Mit ihren Familien und Freunden brachen die U21-Nationalspieler um den deutschen Turnier-Star nach der verpassten Titelkrönung bei der Fußball-Europameisterschaft niedergeschlagen in die Heimat auf. Der Schmerz der Final-Niederlage gegen England trotz einer atemberaubenden Aufholjagd plagte den Bayern-Kandidaten und seine Kollegen immer noch schwer.

„Die U21 hat die Menschen berührt“

Statt einer rauschenden Titel-Party im für Junggesellen-Abschiede berühmt-berüchtigten Bratislava gab es aufmunternde Worte. „Ich bin ein sehr stolzer Trainer einer U21, die sich über zwei Jahre wirklich gesteigert hat, einen super Zusammenhalt hatte, einen super Fußball gespielt hat und sehr viele Menschen in Deutschland berührt und bewegt hat“, sagte U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo. Der 46-Jährige saß mit leerem Blick in der ersten Reihe des Mannschaftsbusses vor dem noblen Teamhotel am Donauufer.

Den Wirbel um Neu-Nationalspieler Woltemade, dessen kolportierter Wechsel zum FC Bayern mitten in die Final-Vorbereitung geplatzt war, machte keiner für das 2:3 nach Verlängerung gegen England verantwortlich. „Nick war schon omnipräsent, aber schon deswegen, weil er so viele Tore gemacht hat“, sagte Di Salvo. Die „ganzen Nebengeräusche“ seien nicht optimal gewesen, „aber das war jetzt nicht der Grund, warum wir jetzt das Spiel verloren haben“.

Einfluss durch Bayern-Wirbel? „Kompletter Quatsch“

Das Endspiel vor den Augen von Bundestrainer Julian Nagelsmann und Englands Nationalcoach Thomas Tuchel auf der Ehrentribüne war die erste Turnier-Partie, in der der sechsfache Torschütze und dreimalige Vorbereiter Woltemade in der Slowakei nicht traf. Das Team hätte den Titel „wirklich verdient gehabt“, sagte Nagelsmann. „Der mutige, offensive, leidenschaftliche Fußball hat mir sehr gut gefallen.“ 

Dass der Bayern-Wirbel Einfluss gehabt haben könne, bezeichnete Final-Torschütze Paul Nebel als „kompletten Quatsch“, während im Hintergrund die Engländer mit Bierflaschen und ihren Siegermedaillen ungeduscht in die Nacht entschwanden. Dass Woltemade mit dem goldenen Schuh für den besten EM-Torjäger geehrt wurde, war für ihn kein Trost. 

Nur Winzigkeit fehlt zum Titel

„Nick war komplett fokussiert auf dieses Spiel, wollte unbedingt mit uns gewinnen“, sagte Nebel. Der Mainzer und dessen Vereinskollege Nelson Weiper waren es, die der taumelnden deutschen Mannschaft wieder Leben einhauchten. Denn eigentlich war die Partie nach den früheren Toren von Liverpool-Star Harvey Elliott und von Omari Hutchinson nach nicht einmal einer halben Stunde schon entschieden. England verpasste wiederholt das 3:0, ehe Weiper nach Vorarbeit von Nebel in der Nachspielzeit der ersten Hälfte wieder für DFB-Energie sorgte.

Vortrefflich ließ sich in den Katakomben des nationalen Fußball-Stadions darüber debattieren, wie die Gefühlslage gewesen wäre, wenn Nebel nach seinem Ausgleich in der Nachspielzeit bei einem weiteren Schuss nicht die Latte getroffen hätte. Oder wenn der Lattentreffer des Freiburgers Merlin Röhl kurz vor Ende der Verlängerung drin gewesen wäre. Da stand es durch Englands Joker Jonathan Rowe schon 3:2 für den Titelverteidiger.

Hilfreich für die Karrieren?

„Fußball ist einfach ein Momentum-Sport“, sagte Verteidiger Tim Oermann. Der künftig an Sturm Graz ausgeliehene Leverkusener verspürte „sehr viel Leere“. „Es war eine wahnsinnige Reise und deswegen ist es einfach so enttäuschend“, sagte der 21-Jährige. Ein Erfolgs-Trip mit 20 Spielen ohne Niederlage nach dem 28. Juni 2023. Und auf den Tag genau zwei Jahre später verliert Deutschland wieder - wieder bei der EM gegen England. 

Mit etwas Abstand werde man sich anders auf die EM zurückblicken, „was das für eine tolle Zeit war, was das für ein Team war“, sagte Oermann. „Ich hoffe, da kann auch jeder etwas für seine Karriere mitnehmen - was das ausmachen kann, wenn man so einen Teamgeist hat.“ 

Zahlreiche Nagelsmann-Kandidaten

Ähnlich klang Di Salvo, der nach dem Vorrunden-Aus 2023 diesmal mit seiner U21 viel Freude bereitete. Der 46-Jährige erklärte, dass die Jung-Nationalspieler auf dem Weg zu Vielleicht-A-Nationalspielern viel mitnehmen könnten. „Aber dass dann eben auch Kleinigkeiten entscheiden, ob man den ganz großen Wurf macht oder nicht“, sagte der Trainer nach einem „brettharten“ Turnier. Sein Vertrag läuft bis nach der kommenden EM in Albanien und Serbien. Der Aufbau der neuen U21 beginnt im September.

Nach den Titeln der Generationen um Manuel Neuer (2009), Serge Gnabry (2017) und Florian Wirtz (2021) musste sich der Woltemade-Jahrgang mit Platz zwei begnügen. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Bewertung, dass in dieser U21 und der unglücklich im EM-Halbfinale ausgeschiedenen U19 mit Jugend-Weltmeistern vielversprechende Nagelsmann-Kandidaten sind. 

Wie Matthäus, Littbarski und Völler?

„Wir haben einen sehr guten Nachwuchs und da wird noch einiges nachkommen“, sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler. „Ich bin mir sicher, dass wir einige auch in der A-Nationalmannschaft wiedersehen werden.“ 

Völler erinnerte schon nach dem Final-Einzug daran, dass man auch als Zweiter einer U21-EM ganz große Erfolge feiern könne. Er, Andreas Brehme, Lothar Matthäus und Pierre Littbarski seien auch acht Jahre später Weltmeister geworden, lautete die mutmachende Prognose des Sportdirektors.

Erst einmal steht für das Nagelsmann-Ensemble die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko an. Außer dem schon zweimaligen Nationalspieler Woltemade hat das Team weitere Turnier-Kandidaten anzubieten. Im Finale boten sich vor allem Weiper und Nebel an.

Nagelsmann: Mehr als Woltemade, Reitz und Gruda

„Diese Mannschaft hat top Spieler und gute Typen, nicht nur Nick Woltemade, Rocco Reitz und Brajan Gruda, die schon bei uns bei der A-Mannschaft dabei waren“, sagte Nagelsmann. Gruda und Reitz durften vor der Heim-EM schonmal oben reinschnuppern. 

Der Gladbacher Reitz berichtete von „Glückwünschen, auch von der A-Nationalmannschaft und anderen großen Spielern“ für die Turnier-Auftritte. Der 23-Jährige hofft, dass er ihn seine Hochzeit in den kommenden Tagen auf andere Gedanken bringt. Weniger glücklich verlief die Abreise des DFB-Teams - und auch das war ein symbolträchtiges Bild: Der Mannschaftsbus blieb bei der Abfahrt an der Schranke hängen.