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Fußball Vereine umme Ecke

Dort, wo's nicht ums große Geld geht und Verantwortliche Multifunktionstalente sind, ist der Amateurfußball zu Hause. Auch in Magdeburg.

Von Anne Toss 15.10.2018, 01:01

Magdeburg l Norbert Tietz klingt wehmütig. Bald wird er wohl seine Tätigkeit als Schiedsrichter an den Nagel hängen müssen, sagt der 63-Jährige. „Meine Hüften und Knie machen nicht mehr mit. Den Lauftest werde ich wohl nicht mehr bestehen.“ Von Kindesbeinen an kickte er auf den harten Schotterplätzen der Region, das ist jetzt quasi die Quittung dafür. „Aber der Sport hat mir so viele Erinnerungen gegeben, die möchte ich nicht missen“, berichtet Tietz und setzt sich an den Stammtisch in der „Abseitsfalle“.

Die „Abseitsfalle“, das ist das Vereinslokal von Aufbau Empor Ost. Tietz führt es – „hier gibt‘s nur kleine Sachen, Bockwurst oder so, keinen Lachs“. Er ist stellvertretender Vereinsvorsitzender, Abteilungsleiter Fußball und eben auch Spieler sowie Schiedsrichter. „Wer sich verantwortlich fühlt, der hat nicht bloß eine Funktion“, sagt Tietz und lacht.

Als am Wochenende der Ball aufgrund der Länderspielpause in den Profi-Ligen ruhte, fand am Sonntag unter Schirmherrschaft des Magazins „11 Freunde“ deutschlandweit der Tag der Amateure statt. Alte und wenig besuchte Clubs „umme Ecke“ sollen so nicht in Vergessenheit geraten.

Amateurfußball – was bedeutet das für Tietz, der Aufbau Empor Ost mittlerweile 46 Jahre seines Lebens gewidmet hat? Tietz muss darauf nicht antworten, er zeigt einfach auf einen Schal, der in der Kneipe hängt. „Einmal AEO, immer AEO“ steht darauf.

„Die meisten, die hier gespielt haben, bleiben hier“, erzählt er. Das mache den Verein aus und für ihn schlussendlich auch den Amateurfußball. Zwischen den holzvertäfelten Kabinen öffnet er im Keller dann die Tür zur Dusche, zeigt, was ein Schriftzug auf einem Schal für das Vereinsleben bedeutet. „In einer Mannschaft gibt‘s ja alle Gewerke“, erklärt Tietz, „Elektriker, Fliesenleger und viele mehr. Den Duschraum haben wir in Eigeninitiative hergerichtet. Das wird bei uns groß geschrieben, aber mittlerweile helfen da auch weniger mit als noch vor zehn Jahren.“

Das hat wohl auch etwas mit der Zeit zu tun, die für solche Arbeiten draufgeht. Etwas, das für viele heutzutage nicht mehr selbstverständlich ist. Im knapp acht Kilometer entfernten Stadtteil Sudenburg nickt Karsten Heine wissend. „Die Zeit ist das, was viele abschreckt. Als Trainer bist du unter der Woche auf dem Platz, fährst am Wochenenden zu den Spielen“, berichtet der Vorsitzende von Roter Stern Sudenburg, „da musst du vieles entbehren. Am besten also, der Vati ist der Trainer.“

Ein eingerahmtes Foto in seinem Büro erinnert Heine jeden Tag an den „jugendlichen Wahnsinn“, der ihn zur Vereinsgründung 1999 gebracht hat. Darauf ist die Gründungsmannschaft zu sehen, elf Mann in weißen Trikots. Gerade so eine Fußballmannschaft also. „Acht davon haben den Verein aus der Taufe gehoben, fünf sind heute noch aktiv“, sagt Heine. Und fügt gleich an: „Wobei Roter Stern nichts mit einer politischen Gesinnung zu tun hat. Wir wollten nur einen Namen, der Aufmerksamkeit verspricht.“ Ideengeber war damals der gleichnamige Club aus Belgrad. Und das mit der Aufmerksamkeit hat funktioniert – sogar überregional.

2015 wurde der Club mit dem „Silbernen Stern des Sports“ ausgezeichnet. Als Anerkennung für die Integration von ausländischen Kindern. Heine wurde in Berlin empfangen, stand neben Bundeskanzlerin Angela Merkel – aber das alles erzählt er nur beiläufig, fast so, als sei es ihm etwas unangenehm. „Das ist für uns völlig normal“, sagt Heine zu dem Engagement. Und überhaupt: „Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was Angela Merkel zu mir gesagt hat. Von dem Moment weiß ich einfach nichts mehr“, sagt Heine und lächelt. Im Rampenlicht stehen, das ist nicht so sein Ding.

Lieber dreht er da eine Runde um das Spielfeld, lässt seinen Blick über Kunstrasenplatz, Vereinsgebäude und die anliegenden Hochhäuser in der Bertolt-Brecht-Straße schweifen.„Im Amateurfußball kommt immer alles aus dem Verein. Es ist strukturiert, aber einfach“, sagt er dann. Und wenn mal ein Ordner fehlt, dann streift sich eben der Vorsitzende die Weste über.

Heine will nicht, dass sich Roter Stern von einem Sponsor abhängig macht, er zahlt auch kein Geld an seine Spieler. So ist es dann jedes Jahr ein Kreislauf aus Spielern, die den Verein verlassen, neu hinzukommen, Eigengewächsen, die in die erste oder zweite Mannschaft hochrutschen, Auf- und Abstiegen. „Es geht immer weiter“, sagt Heine dazu, „es ist zwar ein ewiger Kampf, aber wir bleiben ruhig.“

Und obwohl Amateur- und Profifußball Welten trennen, so freut man sich am Gübser Weg und in der Dodendorfer Straße, wenn einer der ihren den Sprung nach oben schafft. „Wenn‘s alle zehn Jahre mal einer schafft ...“, sagt Tietz – ja, dann hat sich doch irgendwie alles gelohnt.