Interview der Woche Zum 60. Geburtstag von Rüdiger Rüchardt, sportlicher Leiter beim SV 09 "In den Schoß wird einem nichts gelegt"
Als sportlicher Leiter zieht Rüdiger Rüchardt beim Fußball-Landesligisten SV 09 Staßfurt die Fäden im Hintergrund. Am Montag feiert der gebürtige Tarthuner seinen 60. Geburtstag. Volksstimme-Mitarbeiter Björn Richter sprach mit ihm über seine Zeit im Fußball, den Wert von Tradition und das Leben als künftiger Rentner.
Volksstimme: Herr Rüchardt, von 60 Lebensjahren, die es am Montag werden, haben Sie gut und gern 50 mit dem Fußball verbracht - ohne Übertreibung sicher eine Zeit, die Sie prägt, oder?
Rüdiger Rüchardt: Absolut. Von klein auf war das Interesse da, nach der Schule haben wir immer auf der Straße gebolzt. Das erste Mal in Staßfurt habe ich im Jahr 1962 gespielt, in der Paul-Merkewitz-Sporthalle. Nur gab es damals dort noch kein Parkett, sondern rote Asche. Ich war dann aktiv, bis ich 27 war, danach durch familiäre und berufliche Verpflichtungen nur noch bei den Altherren. Aber dem Verein bin ich bis heute treu geblieben.
"Die Probleme des Fußballers sind geringer."
Volksstimme: War die Zeit als Spieler rückblickend sorgloser als die in der Rolle des Funktionärs?
Rüchardt: Die Probleme, die man als Spieler hatte, waren geringer. Bei den Altherren hat man sich am Freitagabend immer schon gefreut, wenn man den Frust aus der Woche auf dem Platz loswerden konnte. Als ich dann in den Vorstand gewechselt bin, war natürlich ein komplettes Umdenken gefragt. Ein Beispiel: Früher wollte ich um jeden Preis spielen, auch wenn es die Platzbedingungen gar nicht zuließen. Heute bin ich derjenige, der eine Platzsperre durchsetzen muss.
Volksstimme: Als Sie das Amt des sportlichen Leiters beim SV 09 übernommen haben, war es vor allem aus finanzieller Sicht nicht gut um ihn bestellt. Steuerschulden hatten sich über die Jahre turmhoch angehäuft. Hatten Sie und der gesamte Vorstand je die Befürchtung, dass der Verein nicht mehr zu retten ist?
Rüchardt: Die Situation, als Finanzvorstand Melanie Zok, Manager Edward Masannek und ich angefangen haben, war vergleichbar mit der des SV Concordia Staßfurt. Daher war auch der Gedanke da, den gesamten Verein "plattzumachen" und die Tradition mit untergehen zu lassen. In enger Abstimmung mit einigen verdienten Mitgliedern haben wir uns dagegen entschieden, wollten den Namen weiter hochhalten und den Staßfurter Fußball nicht sterben lassen.
Volksstimme: Wie wichtig ist Tradition für Sie?
Rüchardt: Mehr als wichtig. Daher gilt es, an ihr festzuhalten. Genau wie ich nie meine Arbeitsstelle gewechselt habe, bin ich immer diesem Verein treu geblieben und habe gesehen, was in den Jahren beim SV 09 vorangegangen ist. Ich denke da nur an das Umfeld unseres Stadions. Sicher wurde darüber nachgedacht, den Verein untergehen zu lassen und wir knabbern heute noch an den Schulden. Aber ich muss sagen, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Immerhin zählt der Verein heute über 300 Fußballer, ich schaue in viele Kinderaugen.
Volksstimme: Sie haben das Berufliche angesprochen, seit 1995 leiten Sie das Staßfurter Fenster- und Türenwerk. Profitiert der sportliche Leiter vom Unternehmer und anders herum?
"Hin und wieder ist auch der Ellenbogen gefragt."
Rüchardt: Es findet eine Ergänzung statt. Seit 1985 bin ich in leitenden Positionen tätig, man muss sich genau wie im Sport immer wieder beweisen, muss marktorientiert sein und zur rechten Zeit an der rechten Stelle. In den Schoß wird einem in beiden Positionen jedenfalls nichts gelegt und hin und wieder ist auch der Ellenbogen gefragt.
Volksstimme: Das Werk haben Sie zum Jahreswechsel verkauft, am gestrigen Freitag war Ihr offiziell letzter Arbeitstag. Was macht der Pensionär Rüdiger Rüchardt jetzt den lieben langen Tag?
Rüchardt: Ich habe noch eine ganze Menge Träume, die ich verwirklichen will. In der Rückblende habe ich oft zurückgesteckt, mir vieles nicht gegönnte. Ich werde jetzt auch viel mit meinem besten Freund, meinem Hund Rocky, machen. Außerdem habe ich für den Verein jetzt mehr Zeit, kann auch in den Vormittagsstunden etwas tun, mir mehr Spiele im Nachwuchsbereich ansehen. Langweilig wird es jedenfalls definitiv nicht.
Volksstimme: Angeln gilt als Ihr größtes Hobby...
Rüchardt: Als ich zwölf Jahre alt war, sind mein Vater und ich immer nach Wolmirsleben zum Angeln gefahren. Das heißt, ich musste rudern, er hat geangelt. Dazu um halb vier morgens aufstehen - da hat man als Junge schnell die Nase voll. Im Jahr 2002 habe ich es dann als Ausgleich wiederentdeckt, seitdem fiebere ich in jedem Jahr dem Urlaub inklusive Hochseeangeln in Norwegen entgegen. Da gibt es dann auch mal keinen Fußball, sondern es wird abgeschaltet und es steht die Familie im Vordergrund. Mein ganz großer Traum ist auch das Lachsangeln in Kanada. Den erfülle ich mir auf jeden Fall noch.
Volksstimme: Meldet die Familie schon großen Bedarf beim künftigen Rentner an?
Rüchardt: Ich habe drei Kinder und vier Enkel, die in Erfurt und München leben. Mit ihnen werde ich jetzt definitiv mehr Zeit verbringen. Gerade auch, weil die Kleinen jetzt schulpflichtig werden. Außerdem sind sie auch schon ganz verrückt nach Angeln.
Volksstimme: Wenn sich der Sportfunktionär Rüchardt etwas für seinen SV 09 wünschen könnte, was wäre das?
Rüchardt: Dann ist er mit einem Schlag alle Altschulden los und schafft mit Spielern aus dem eigenen Nachwuchs den Sprung in die Verbandsliga. Die Zuschauerzahlen könnten dann auch wieder steigen. Das Ganze wird seine Zeit dauern, aber die nehmen wir uns.
Volksstimme: Und wenn ein spanischer Groß-Investor mit dem Geldkoffer kommt...
Rüchardt: ...ist das überhaupt keine Option. Wir verhökern unsere Tradition nicht. Wir sind nicht hier, um guten Fußball einzukaufen, sondern um ihn zu spielen.