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Fußball SSV 80: Saisonfinale 2018 bleibt unerreicht

Trauer, Tragik und Triumphe. Die Altmark West bot in der Vergangenheit spektakuläre Spiele.

Von Jonas Krüger 13.06.2020, 03:00

Gardelegen l Ob knallharte Derbys, Abstiegskämpfe oder Aufstiegsendspiele – sie alle gingen in die Geschichte ein. Die Volksstimme erinnert zurück an sagenumwobene Schlachten. In unserer Serie „Sternstunden der Altmark West“ sprachen wir mit Vereinslegenden, Funktionären, Spielern und Zeitzeugen der Altmark-Klubs.

Der SSV 80 Gardelegen spielt nach dem Aufstieg 2017/2018 bereits in seiner zweiten Saison in der Landesliga Nord. Dort hat der SSV schnell Fuß gefasst und greift nach Platz zwei in der Vorsaison erneut nach den Sternen.

Doch nach den Sternen in der Landesklasse zu greifen, fiel um ein Vielfaches schwerer. Erst am 30. und letzten Spieltag entschied der SSV das Aufstiegsrennen. Nur ein Sieg gegen den SV Liesten, konnte den Gardelegern zum Aufstieg verhelfen. Nach einem 3:0-Rückstand zur Halbzeit beim Tabellenführer im Liestener Waldstadion (es trafen Matthias Wiese, Lucas Bresch und Marcin Galkowski), musste der SSV vier Tore erzielen, um den nicht für möglich gehaltenen Aufstieg doch noch zu realisieren.

Und tatsächlich – der SSV 80 schaffte das schier Unmögliche und gewann die Partie mit dem letzten Tor des Spiels in der 90.Minute. Nach dem vierten Tor durch Clemens Berlin und dem Schlusspfiff, brachen bei den Rolandstädtern alle Dämme. Mit 56 Punkten und der um acht Treffer besseren Tordifferenz auf Saxonia Tangermünde, die am letzten Spieltag mit einem Sieg auf Platz zwei sprangen, stieg der SSV in die Landesliga auf.

Die Volksstimme sprach mit Trainer Norbert Scheinert und Doppeltorschütze Florian Scheinert über die Geschehnisse am sagenumwobenen 30.Spieltag der Landesklasse-Saison 2017/2018 gegen den direkten Mitkonkurrenten.

Volksstimme: Ihr seid am letzten Spieltag nach einem 0:3-Rückstand schon weg vom Fenster gewesen und habt dennoch das Spiel zu euren Gunsten umgebogen. Wie ist das Wunder von Liesten zu erklären?

Florian Scheinert: Das Spiel spiegelte eigentlich unseren gesamten Saisonverlauf wieder. Wir waren schon drei bis vier Mal weg vom Fenster, kamen aber immer wieder zurück. Wir hatten gemerkt, dass wir gar nicht so schlecht begonnen hatten. Wir hatten uns viele Ecken und Torschüsse heraus gearbeitet, aber vorne die Tore nicht gemacht. Liesten kam mit einem langen Ball vor unser Tor und traf sofort. Sie waren effektiv vor dem Tor.

Norbert Scheinert: Nach dem Rückstand haben wir uns in der Kabine noch einmal Mut zugesprochen für die zweite Halbzeit. Nach dem Anschlusstor zum 1:3 keimte noch einmal Hoffnung auf. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass nur die Wenigsten richtig daran geglaubt haben, dass wir das Spiel noch umbiegen. Erst ab dem zweiten Tor von uns, habe ich ernsthaft daran gedacht, wir könnten das Spiel umbiegen. Zum Glück haben wir zwei schnelle Tore nach der Halbzeit in der 48. und 67. Minute erzielt.

In der Tat. Der Rückstand von 0:3 zur Pause, bedeutete das Aus im Aufstiegsrennen. Weshalb habt ihr den Anfang so verschlafen?

Florian Scheinert: Verschlafen würde ich nicht sagen. Wir hatten richtig gute Möglichkeiten. Ich kann mich an zwei Szenen von Simon Bache erinnern. Wir haben gut mitgespielt. Es hätte auch gut und gern 3:3 zur Pause stehen können. Liesten war aber effektiver vor dem Tor. Da schaut man sich nach den Gegentoren natürlich an und fragt sich, was da gerade abgeht. Unser Co-Trainer Andre Stolle sagte uns in der Kabine, dass wir das Spiel noch umbiegen werden. Das hat bei uns Spielern nochmal ein paar Prozent heraus gekitzelt.

Norbert Scheinert: Liesten hat es in den entscheidenden Momenten wirklich gut gemacht. Wir hatten mehr Ballbesitz, haben uns Ecken herausgearbeitet und Standards. Wir hatten aber nicht gut genug verteidigt. Zudem hatte Liesten an diesem Tag einen überragenden Torwart (Dawid Szczerbik d.Red). Für uns war es ärgerlich, weil wir uns viel vorgenommen hatten und der Plan schnell über den Haufen geworfen schien. Aber ich habe den Jungs gesagt, wenn Liesten es gelingt, drei Tore in einer Halbzeit zu erzielen, dann können wir das auch schaffen.

Welche Rolle haben die Zuschauer bei der Aufholjagd gespielt? Es waren 430 Zuschauer beim Spiel dabei.

Florian Scheinert: Die Atmosphäre war schon besonders. Das hat man nicht jeden Tag. Es sind viele mitgekommen. Es gab von unseren Fans auch Fangesänge. Aber nach dem 0:3 war die Stimmung etwas gekippt.

Norbert Scheinert: Es sind wirklich unfassbar viele Fans wegen uns nach Liesten gefahren. Das war der Wahnsinn. Da denkt man sich schon, dass man etwas zurück geben will. Wir wollten nicht, dass unsere Fans den weiten Weg umsonst gefahren sind. Deswegen war es uns wichtig, das Spiel nicht einfach ab zu schenken nach der Pause.

Eine entscheidende Rolle spielten auch die beiden Elfmeter für euch. In der 47. und 67. Minute wurden beide Strafstöße von dir höchstpersönlich verwandelt Florian. Zu diesem Zeitpunkt warst du gerade einmal 17 Jahre alt und übernahmst die Verantwortung. Wie bist du mit diesem Druck in einer solch bedeutsamen Situation umgegangen?

Florian Scheinert: Normalerweise hatte bei uns Marco Schönfeld die Elfmeter geschossen. Da er verletzt fehlte, hatten wir niemanden, der dafür fest zugeteilt war. Ich fühlte mich sicher und wollte schießen. Aus meiner Sicht hatten wir nicht mehr viel zu verlieren, daher habe ich mich getraut und nicht großartig darüber nachgedacht. Generell übernehme ich gern Verantwortung auf dem Platz. Aber im Nachhinein denkt man natürlich schon darüber nach, was passiert wäre, wenn man gescheitert wäre.

Norbert Scheinert: Das war eine große Freude zu sehen, dass sich auch junge Spieler trauen, Verantwortung zu übernehmen. Ich fand es genial. Auch Xaver-Dan Haak oder Maurice Bogdahn. Sie haben in diesem Spiel gezeigt, dass sie Verantwortung auf dem Platz übernehmen. Das zeigt aber auch unsere Philosophie. Dadurch, dass wir schon frühzeitig angefangen haben, junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs heran zu führen, fühlten sich die jungen Spieler gut integriert in die Mannschaft. So kann man auch Verantwortung in jungen Jahren übernehmen. Die Qualität auf dem Platz gab den jungen Spielern dann auch recht. Auch wenn sie erst 17 Jahre alt waren.

Als in der 90.Minute das 4:3 durch Clemens Berlin fiel und das Spiel danach abgepfiffen wurde, war der SSV schließlich doch noch am Ziel aller Aufstiegsträume angekommen. Was geschah nach dem Schlusspfiff?

Florian Scheinert: Das war der pure Wahnsinn. Ich lag in den Armen meiner Teamkollegen und schrie, dass wir es geschafft haben. Die Zuschauer kamen auf den Platz gelaufen. Ich weiß noch, dass Leonhardt Kutew weinend vor Freude, über den Platz gelaufen ist. Das erlebt man nicht alle Tage.

Norbert Scheinert: Das war ein unglaubliches Gefühl. Das erlebt man nicht alle Tage. An diesem Spieltag sind die Haare noch schneller ergraut und ausgefallen. Aber dieser Moment war der Wahnsinn.

Wie habt ihr diesen unfassbaren Moment gefeiert?

Florian Scheinert: Soweit ich mich noch erinnern kann, haben wir in Liesten noch eine Stunde mit Mannschaft und Fans verbracht. Es gab tolle Fangesänge. Ich weiß noch, dass Sascha Gütte auf das Ortseingangsschild von Liesten geklettert ist und dort gesessen hat. Da hatten wir aber auch schon das ein oder andere Bier getrunken. So richtig los ging es dann nach der Rückreise nach Gardelegen. Wir feierten im Schützenhaus. Als ich am Morgen danach bei mir zu Hause aufgewacht bin, lag Martin Gille um sechs Uhr morgens in meinem Bett. Daran kann ich mich noch erinnern. Es war eine lange Nacht.

Norbert Scheinert: Ich weiß noch, dass das ein oder andere Bier geflossen ist. Aber bei mir ging es etwas ruhiger zu. Die Party hatten die Jungs sich aber redlich verdient.

Ihr hattet das Ziel eurer Träume erreicht. Der SV Liesten dagegen zog im Aufstiegsrennen den Kürzeren. Tat euch der Gegner nach dem Spiel leid?

Florian Scheinert: Sagen wir es mal so: Leid tun ist vielleicht das falsche Wort. Man schaut natürlich schon rüber und sieht die hängenden Köpfe. Ich weiß aber nicht, ob Mitleid dem Gegner gut getan hätte. Man kann sich aber ungefähr in solch eine Lage hinein versetzen. Liesten hatte eine gute Saison gespielt und ein gutes Spiel absolviert. Da ist es klar, dass sie enttäuscht waren. Sie waren dann aber nach dem Spiel auch schnell in die Kabine verschwunden. Ich glaube, so eine Niederlage will man dann auch eher allein mit sich selbst ausmachen.

Norbert Scheinert: Da prallen natürlich zwei Welten aufeinander. Wir feierten und genossen den Moment. Wenn man dann noch in Liesten beim direkten Konkurrenten am letzten Spieltag gewinnt, freut man sich natürlich. Im Nachhinein taten einem die Liestener natürlich leid. Sie hatten einen guten Fußball in der Saison gespielt, haben uns das Leben am letzten Spieltag unglaublich schwer gemacht. Liesten hätte den Aufstieg genauso verdient gehabt. Sie hatten eine spielstarke Mannschaft Andererseits hätte es uns auch treffen können. Wenn wir verloren hätten, wären wir sicherlich ähnlich enttäuscht gewesen.

In der Vorsaison hattet ihr 76 Punkte und seid nicht aufgestiegen. Nun reichten 56 Punkte und die um acht Tore bessere Differenz gegenüber Saxonia Tangermünde, die noch am SV Liesten vorbeizogen. Wieso hatte es dennoch gereicht?

Florian Scheinert: Dass wir es schaffen würden, war am Ende natürlich auch etwas Glück. Gerechterweise muss man allerdings auch sagen, waren in der Saison im Winter viele Spiele ausgefallen. Durch die Nachholspiele hatten wir in der Rückrunde gefühlt jede Woche eine Englische Woche. Selbst am Ostermontag hatten wir noch ein Punktspiel bestritten. Ich glaube das ging acht Spiele hintereinander so. Unsere Kräfte waren am Ende der Saison etwas verschlissen. Wir hatten vier Spiele vor Schluss beim FSV Havelberg mit 1:2 verloren. Da dachten wir schon, dass es das gewesen sein könnte. Aber dann blieben wir mit zwei weiteren Siegen immer noch oben dran. Daher war uns klar, dass es nur zählt, was am letzten Spieltag passiert.

Norbert Scheinert: So eine Saison wie 2016/2017 zu wiederholen, war nahezu unmöglich. Das war uns auch bewusst. Da liefen ziemlich viele Dinge gut. Dennoch ist Warnau mit 78 Punkten noch besser gewesen. Die anderen Konkurrenten haben sich 2017/2018 gegenseitig die Punkte weggenommen, zudem war die Liga recht ausgeglichen.

Habt ihr in den Wochen und Monaten nach dem Aufstieg in die Landesliga noch mit den Liestener Spielern oder Verantwortlichen über das 4:3 im Aufstiegskampf gesprochen?

Florian Scheinert: Mit den Spielern von Liesten eher weniger. Wir verstehen uns gut, aber darüber redeten wir nicht. Direkt nach dem Spiel hatte ich mit Niels Bierstedt kurz geredet. Aber seitdem war das Spiel kein Thema mehr. Mit den eigenen Mannschaftskameraden dagegen schon.

Norbert Scheinert: Der ein oder andere neckische Spruch fällt mal, wenn wir die Liestener sehen, aber das passiert eher im freundschaftlichen Rahmen. Da scherzt man miteinander und plaudert ein bisschen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu Liesten und bestreiten auch das ein oder andere Freundschaftsspiel. Über das 4:3 reden wir nicht miteinander.

Wann hattet ihr richtig realisieren können, dass ihr in die Landesliga aufgestiegen seid?

Florian Scheinert: Ich glaube so richtig klar war das am ersten Trainingstag mit Aufnahme der Saisonvorbereitung. Man merkte, dass ein frischer Wind in der Mannschaft weht. Man hat sich richtig gefreut auf das Abenteuer. Durch den Aufstieg ist auf jeden Fall etwas Großartiges entstanden.

Norbert Scheinert: In den Spielen selbst, realisierte man das Ganze dann. Der Spielstil in der Landesliga war ein anderer. Schneller und dynamischer. Dieser Stil passt aber auch zu uns. Das war genau unser Spielstil. Dieser liegt uns vielleicht mehr, als in der Landesklasse. Dort hatten wir viele Gegner, die sehr tief standen. In der Landesliga waren wir dann auch recht schnell angekommen.

Habt ihr persönlich euch durch den Aufstieg weiterentwickelt?

Florian Scheinert: Auf jeden Fall profitiert man als Spieler davon. Das merkte man in jedem Training und in jedem Spiel. Der Aufstieg kam nicht zu früh, sondern genau zur richtigen Zeit.

Norbert Scheinert: Im Trainerteam ist es ähnlich gewesen. Seit dem Aufstieg haben wir viele Dinge hinzugefügt. Wir haben in der Videoanalyse mit Andreas Kulina jemanden, der die Spiele und Trainingseinheiten filmt. Durch seine Dokumentation können wir uns die Dinge noch detaillierter anschauen, Fehler erkennen, aber auch unsere Stärken weiter ausbauen. Dazu trainieren wir seitdem drei Mal pro Woche. Wir spielen seitdem flexibler, haben zwei Systeme einstudiert und können im Spiel schnell auf Entwicklungen reagieren.

Wie geht ihr mit der Corona-Situation um, immerhin würdet ihr ja als Verbandsliga-Aufsteiger festehen?

Florian Scheinert: Das liegt nicht in unserer Hand. Wichtig ist, dass alle gesund bleiben. Wir nehmen die Situation so, wie sie kommt. Menschenleben sind für uns wichtiger.

Norbert Scheinert: Wir verspüren keinerlei Druck. Wenn wir in die Verbandsliga aufsteigen sollten, würden wir die Situation annehmen. Man darf aber nicht vergessen, dass wir Amateure sind und kein Geld mit dem Fußball verdienen. Unsere Spieler studieren, machen Ausbildungen oder gehen ihrem Beruf nach. Es gibt wichtigere Dinge als den Fußball. Es hängt nicht unsere Existenz daran. Menschenleben sind uns wichtiger. Wir haben auch Spaß und Freude daran, in der Landesliga zu spielen. Wir warten einfach was passiert und nehmen die Situation so, wie sie kommt.

Danke für das ausführliche Interview und Alles Gute für die Zukunft.

SV Liesten: Szczerbik – Beck, Glameyer (63.Böhm), Wiese, Kijewski – Bresch, Galkowski, R. Mangrapp, Müller (46.Benecke), Kordus – Bierstedt (90. S.Mangrapp)

SSV 80 Gardelegen: Mette – Hille (40.Fehse), Haak, Frädrich, Stottmeister, Gille – Malek (46.Bogdahn), Scheinert, Leberecht (82.Gütte), Berlin – Bache

Schiedsrichter: Tim Kohnert (Ballenstedt)

Torfolge: 1:0 Wiese (6.), 2:0 Bresch (27.), 3:0 Galkowski (33.), 3:1 Scheinert (47. Foulelfmeter), 3:2 Scheinert (67. Foulelfmeter), 3:3 Leberecht (72.), 3:4 Berlin (90.)