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Kanusport Hinter dem See wartet der Sturm

Moritz Florstedt schottet sich ab. Der Kajak-Fahrer kümmert sich um Schulaufgaben, Marketing und paddelt täglich auf dem Niegripper See.

Von Daniel Hübner 06.04.2020, 05:28

Magdeburg l Moritz Florstedt könnte demnächst eine Rezension über sein aktuelles und tägliches Reiseziel schreiben. Wie schön sich der Nie- gripper See im Jerichower Land zu einer Oase der Ruhe ausbreitet. Wie ruhig das Wasser auf einer Fläche von 120 Hektar liegt. Er könnte sicher nicht über den Bestand an Fischen referieren in seinem Beitrag. Er müsste sich schon auf das Paddeln konzentrieren. Denn Moritz Florstedt zieht einsam seine Kreise auf jenem See. Jeden Tag, eineinhalb Stunden lang.

Ein Sponsor hat ihm den Schlüssel zum Wassergrundstück überreicht und ihm damit das Training ermöglicht. Eine andere Möglichkeit bietet sich einem Nachwuchskader des Deutschen Kanuverbandes (DKV) wie eben Florstedt vom SC Magdeburg auch nicht. Das Areal an der Zollelbe darf der Kajak-Fahrer nicht betreten, das ist nur dem Olympiakader gestattet. Also fährt er jeden Tag 30 Kilometer von zu Hause an den See, trainiert, fährt zurück. Vier Stunden ist er dafür unterwegs. „Ich muss ehrlich gestehen, die Motivation hält sich irgendwann in Grenzen“, sagt Florstedt. Zumal sein Alltag ja nicht nur vom Paddeln bestimmt wird.

Kunst, Biologie, Englisch: Während des Telefonats mit der Volksstimme saß Florstedt am Rechner und resümierte seine bisherigen Schulaufgaben und blickte voraus auf jene, die seinen Tag noch bestimmen würden. Das ist die derzeitige Herausforderung eines jeden Leistungssportlers aus dem Anschlusskader, sich sowohl mit dem täglichen Training als auch mit der täglichen Bildung auseinanderzusetzen.

Florstedt wäre womöglich lieber wieder in Italien, wo er bis vor fünf Wochen war und sich für die Saison in Form gebracht hatte. Beim Lehrgang unter Bundestrainer Lutz Altepost, der den 18-Jährigen an jedem verdammten Tag in Sabaudia an die Leistungsgrenze brachte.

„Unter ihm habe ich ganz neue Trainingsmethoden kennengelernt“, sagt Florstedt über die Einheiten in Grundlagen und Ausdauer. „Und ich bin an Grenzen gekommen, die ich bis dahin selbst noch gar nicht kannte.“ Woraus resultierte: Nach dem Training, ob zur Mittagspause oder Nachtruhe, blieb kaum Kraft, um sich mit anderen auszutauschen. „Da war niemand mehr besonders gesprächig. Und ich bin nur noch ins Bett gefallen.“

Die positive Wirkung dieser großen Anstrengung erfuhr er nach seiner Rückkehr nach Magdeburg. Florstedt paddelte allen davon. Und Florstedt sinniert nun darüber, wie viel von diesem Altepost-Effekt seit der Schließung der Trainingsstätten noch übrig ist. „Ich denke, viel wird das nicht sein“, sagt er.

Florstedt sehnt sich auch deshalb nach der Rückkehr in den normalen Alltag. „Derzeit habe ich mich komplett von meiner Außenwelt abgeschottet“, berichtet er. Er kommuniziert über die sozialen Medien mit Freunden. Und womöglich schaut er täglich nach der weiteren Entwicklung der Corona-Krise auch im Kanusport.

Die U-23-Europameisterschaft in Moskau vom 2. bis 5. Juli ist noch nicht abgesagt. Dafür aber musste die Sprint-Weltmeisterschaft in Brandenburg aus dem Programm gestrichen werden, weil die Stadt bis 31. Juli allen Veranstaltungen mit mehr als 500 Startern auf dem Beetzsee verboten hat.

„Es macht gegenwärtig keinen Sinn, über eine eventuelle Verschiebung von Veranstaltungen in den Herbst 2020 nachzudenken“, heißt es auf der Internetseite der „Brandenburger Regatten“. Schade, denkt und sagt Florstedt, „der Start bei der Heim-WM wäre für mich realistisch gewesen.“

Und eine Prüfung zugleich: Denn Florstedt paddelt in seinem ersten Jahr in der U 23. 2019 hatte er sich bei der U-19-WM Gold im K4 über 500 Meter gesichert und war im K1 über die doppelte Distanz auf Platz vier gefahren. Und schon da hatte er festgestellt: „Die Konkurrenz schläft nicht.“

Aber Florstedt denkt nicht in Altersstufen. Sein Ehrgeiz treibt ihn in die Spitze der Leistungsklasse. Wären in diesem Jahr die Olympischen Spiele in Tokio gewesen, hätte es keine Corona-Krise gegeben, „dann hätte ich wenig Chancen gehabt“, das Ticket zum Ringe-Spektakel zu lösen.

Aber im kommenden Jahr werden die Paddelkarten neu gemischt, wenngleich „ich nicht weiß, wie allein meine theoretischen Chancen aussehen“, sagt Florstedt. Praktisch hat er nur eine Möglichkeit: sich mit einem Spitzenplatz in der nationalen Rangliste den DKV-Verantwortlichen empfehlen. Und das im Jahr des Abiturs.

Vorerst muss Florstedt weiter auf dem Niegripper See trainieren. In der Idylle. Aber die ist nicht mehr und nicht weniger als die Ruhe vor dem nächsten Sturm.