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Paraschwimmen Pascal krault nach Paris

Pascal Rentsch hat 2019 seine ersten internationalen Wettbewerbe bestritten. Jetzt peilt der Magdeburger die Paralympics 2024 an.

Von Daniel Hübner 04.07.2019, 01:01

Magdeburg l Pascal hat sich mit einem Stift zwei Namen auf den linken Arm geschrieben. Seinen eigenen und den Namen Franziska. Franziska ist nämlich seine Freundin. „Seit einem Jahr und vier Monaten“, erklärt Pascal stolz. Kennengelernt haben sie sich bei einem Wettkampf in Chemnitz. Nur sehen sie sich nicht allzu oft. Denn Franziska wohnt in Radebeul (Sachsen). Pascals Pflegevater Günter Danker berichtet herzlich lachend: „Deshalb gehört mir mein Handy nur noch zu 50 Prozent.“

Danker schaut bereits nach Terminen, an denen sich der Pascal und sein Mädchen wiedersehen können. Bei Wettbewerben im ganzen Land. In Absprache mit Franziskas Mama. Sie haben sich auch schon im Leipziger Zoo getroffen. Auf halber Strecke also. „Das war ein sehr schöner Tag“, erklärt Pascal, setzt ein breites Lächeln auf, schaut verträumt zum Kachelboden.

Es ist Dienstag dieser Woche, es ist die Diesdorfer Halle. Es ist ein Trainingsdomizil für den Schüler der Förderschule „Regenbogen“ für geistig Behinderte. Und Pascal hat gleich drei Medaillen mitgebracht.

Pascal Rentsch ist nämlich Schwimmer. Ein sehr guter sogar. Einer, der in den vergangenen zwei Jahren einen großen Schritt in seiner Entwicklung gemacht hat. Sein Trainer Florian Giese vom Magdeburger Verein für Sportherapie und Behindertensport in Magdeburg sagt: „Ich bin super zufrieden mit seiner Entwicklung. Und auch ich empfinde Stolz.“

Stolz auf eine Silbermedaille bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften der Paraschwimmer in Berlin, stolz auf eine Bronze- über 200 und eine Silbermedaille über 400 Meter Freistil bei den Europäischen Paralympischen Jugendspielen im finnischen Pajulahti. Stolz auf einen neuen deutschen Rekord über 100 Meter Rücken (1:09,35 Minuten). Und worauf ist Pascal besonders stolz? „Auf die Medaille über 400 Meter Freistil. Ich liebe die lange Strecke“, berichtet der 15-Jährige.

Vor allem hat er sich für seinen Fleiß belohnt. Ein kräftiger Junge ist aus ihm geworden. „Wir haben das Trainingspensum nach und nach gesteigert“, erklärt der 36-jährige Giese, der mit Pascal seit November 2013 zusammen arbeitet. Inzwischen trainiert Pascal achtmal in der Woche. Auch in Kooperation mit dem SCM, und dort bei Coach Thomas Ackenhausen als einer unter vielen.

Pascal leidet unter dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) – das ist der Überbegriff für Schäden, die der Alkoholkonsum während einer Schwangerschaft verursacht. Er ist gegenüber gleichaltrigen Teenagern geistig weit zurück. Er redet nur zögerlich, dann aber gut und deutlich. Und er spielt Schlagzeug. Jeden Nachmittag, 15 bis 17 Uhr. Die ganze Straße kann seinen Trommelwirbel hören. Nur gehen dabei zuweilen die Sticks kaputt. Ein Satz kostet 28 Euro. Danker kauft jeden Monat einen neuen.

Völlig neu ist für Pascal indes, dass er den Paralympischen Weltverband (IPC) erst von seiner Krankheit überzeugen muss, um überhaupt kontinental und global schwimmen zu dürfen.

Im Oktober 2018 nämlich ist er „auf Herz und Nieren untersucht worden“, berichtet Günter Danker. Sogar von einem externen Psychologen. Dann fuhr er im jüngsten Mai zum Weltcup nach Lignano (Italien), zu seinem ersten internationalen Rennen überhaupt. Dort wollte sich der IPC auch im Praxistest ein Bild machen. Anders: Er wollte Pascal klassifizieren. Jetzt schwimmt er in der Startklasse 14.

„Die Schummelquote bei den geistig Behinderten ist besonders hoch“, begründet Giese das Prozedere. Ein Skandal hatte dafür gesorgt, dass jene Sportler zwölf Jahre lang nicht zu den Paralympics zugelassen wurden. Denn in Sydney 2000 waren zehn der zwölf spanischen Basketballer gar nicht geistig behindert gewesen. Erst für London 2012 wurde der Ausschluss aufgehoben.

Die Teilnahme an den Paralympics – das ist das große Ziel von Pascal und seinem Trainer. Und ins Visier genommen haben sie Paris 2024. Im nächsten Jahr in Tokio hat Gieses Schützling vielleicht die Möglichkeit, die Mannschaft des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) nach Japan zu begleiten. „Das wäre gut für ihn, um die Abläufe kennenzulernen und um seine Nervosität abzubauen“, sagt Giese. Aber diese Chance wird ihm nur gewährt, wenn auch Danker mitfahren darf. Und Danker muss mitfahren. Immer.

Pascal war gerade ein halbes Jahr auf dieser Welt, als Günter Danker und seine Frau Ursula ihn aus dem Krankenhaus abholten und in Pflege nahmen. Seit zwei Jahren haben sie auch das Sorgerecht. Danker ist der Mann, „zu dem er Vertrauen hat“, sagt der 63-Jährige: „Das Mentale ist das Wichtigste für ihn: den Mut vor dem Wettbewerb zusprechen, bis er mit dem Tunnelblick auf dem Startblock steht. Und für ihn dasein, wenn er über seine Grenzen hinausgeht.“

Dann lässt Pascal niemanden mehr an sich heran, dann sind es nur „Mami und Papi“, wie er seine Pflegeeltern nennt, oder eben Giese, deren Nähe er sucht. Und seit einem Jahr und vier Monaten auch die Nähe zu Franziska. Für sie teilt Günter Danker gern sein Handy.