1. Startseite
  2. >
  3. Sport
  4. >
  5. Lokalsport Magdeburg
  6. >
  7. Ein Mensch ist (k)eine Maschine

Behindertensport Ein Mensch ist (k)eine Maschine

Wie Tim Bensko in seinem Lied „Keine Maschine“ im Jahr 2016 schrieb und interpretierte, ist das menschliche Individuum keine Maschine.

Von Fabian Schönrock 02.05.2020, 06:00

Salzwedel l Fehlbar und verletzlich sind daher auch Sportler. Auf einen Athleten aus der Altmark West trifft dies aber nur bedingt zu. Obwohl Ralf Düring als Leichtathlet mit einem besonderen Handicap bei den Para-Athleten mitwirkt, funktioniert er seit Jahrzehnten wie eine Maschine.

Nahezu alles, was es abzuräumen galt, konnte der 57-Jährige in den letzten Jahren abräumen. In Erfurt nahm er im Vorjahr zum 27. Mal an den Deutschen Meisterschaften der Paraleichtathleten teil und gewann zum zweiten Mal die Deutsche Meisterschaft im Weitsprung und Lauf. Obwohl sein rechter Arm gelähmt ist, sieht Düring dies nicht als Einschränkung im Alltag, nutzt ihn sogar bewusst.

„Ich kann den Menschen auch die Hände zur Begrüßung schütteln“, so Düring, der mit der linken Hand um seinen rechten Arm greift, ihn festhält und die Hand zum Gruß ausstreckt. Erstaunlich flexibel reagiert Düring auch zu Hause. Düring hat sich mit seiner Situation seit Jahren arrangiert. Wendet mit Kniffen und Tricks seine rechte Hand als Antagonist im Alltag an, als wäre sie niemals von einer Lähmung betroffen.

Die Lähmung von Dürings rechten Arm resultierte aus einem Autounfall im Jahr 1986. Nach dem Düring angefahren wurde, spürte der Athlet seine rechte Extremität nicht mehr. Der Corpus war seither rechtsseitig gelähmt. Mit offenem Schädelbruch wurde Düring operiert. Dass der Leichtathlet zurück ins sportliche Geschehen fand, ist keine Selbstverständlichkeit. Düring ging zu Beginn der Schockdiagnose der Ärzte, durch ein tiefes emotionales Tal.

„Als Mutter rechnet man damit, dass ein Kind kommt, wenn man schwanger ist. Den Unfall konnte ich nicht erwarten. Ich konnte mich nicht darauf vorbereiten. Natürlich hat man darüber nachgedacht, wenn man auf dem Balkon stand, ob man nicht einfach springen soll. Aber das hätte mir in dieser Situation nicht geholfen. Ich musste weiter machen. Allein schon meiner Familie wegen.“

Düring ließ sich nicht hängen und kämpfte sich zurück ins Leben und engagierte sich sogar als Trainer in Wolfsburg, gab seine Erfahrungen weiter und impfte jungen Sportlern das Sieger-Gen ein.

Düring trieb Leichtathleten zu Höchstleistungen. Er selbst möchte als Athlet bei den Deutschen Meisterschaften der Paraleichtathleten in Bottrop in seiner Spezialdisziplin über 100 Meter und Weitsprung dieses Jahr antreten. Nach zwei Deutschen Meisterschaften ist Düring noch immer hungrig auf Erfolg und strebt die dritte Meisterschaft an. „Ich werde in meinem Alter zwar nicht mehr schneller und gehe auf die 58 Jahre zu, aber 22 Kilometer pro Stunde auf 100 Meter schaffe ich noch.“

Im vergangenen Jahr konnte Düring schon im tschechischen Olomucz auf sich aufmerksam machen. Dort startete er bei den Czech-Open. Beim Weitsprung erreichte er als Senior-Teilnehmer unter allen männlichen Altersklassen den zweiten Platz. In die Geschichte ist Düring aber vor allem im Jahr 1990 eingegangen. Als letzter DDR-Meister der Para-Leichtathletik, nahm der Sportler in Neubrandenburg teil und siegte in seiner Paradedisziplin über 100-Meter. „Diesen Titel kann mir keiner mehr nehmen. Das Erreichte gilt bis in die Ewigkeit“, erzählt Düring voller Stolz. Zurecht: zu dem historischen Erfolg gesellen sich sagenhafte 111 Platzierungen bei Deutschen Meisterschaften der Paraleichtathletik zwischen Rang eins bis acht.

Auf die Frage, ob seine Behinderung mit dem sportlichen Erfolg ein Glücksfall oder eine Tragödie sei, antwortet Düring gespalten. „Darüber lässt sich streiten. Einerseits musste ich für meine Rechte kämpfen. Andererseits bin ich vielleicht als Para-Athlet erfolgreicher, als vor dem Unfall“.

Was Düring weitaus mehr beschäftigt, sind die Hindernisse im Alltag für alle Menschen mit Behinderung, die sich mit Sport dennoch gesund und fit halten wollen.

„Zwar redet die Bundesregierung von Inklusion, aber wirkliche Inklusion habe ich beim Sport nicht immer sehen können.“ Düring bemängelt, dass Menschen mit Behinderungen noch zu viele infrastrukturelle Schranken im Weg stehen. Das fängt im Sportunterricht an. Dort sind nicht alle Zugänge zu Turnhallen behindertengerecht gebaut. Rollstuhlrampen fehlen, Türschwellen sind mancherorts noch zu hoch. Die behindertengerechte Infrastruktur sollte laut Düring eine Selbstverständlichkeit sein. Zu oft wird über Behinderte entschieden, statt mit ihnen, so Düring.

Düring wird weiter kämpfen. Sowohl auf der Tartanbahn, als auch in öffentlichen politischen Diskussionen zum Thema „Inklusion“. Damit gilt Düring nicht nur als Gewinner, sondern auch als Sprachrohr und Vorbild für viele Sport begeisterte Athleten.