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Fußball Die Suche nach der Ruhe nach dem Sturm

Vor 20 Jahren hat Michael Steffen einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt. Am Sonnabend wurde Schönebecks sportlicher Leiter 50.

Von Enrico Joo 27.07.2018, 23:01

Schönebeck l Michael Steffen ist es leid, die kleinen fleischigen und länglichen Wulstungen rund um die Knie zu zählen. Lachend zeigt er in seiner kurzen Hose auf seine vom Sport geschundenen Beine. Sekundenlang wackelt der Zeigefinger hin und her und kann trotzdem nicht im geringsten die Ausmaße erfassen. „Bei über 20 Narben habe ich aufgehört zu zählen“, sagt der sportliche Leiter vom Verbandsligisten Union Schönebeck.

Am Sonnabend hat Steffen seinen 50. Geburtstag gefeiert. Für viele junge Spieler ist der Mann, dessen rechtes Auge sich nicht für eine Farbe entscheiden konnte und je zur Hälfte braun und blau ist, nur noch der Mann, der im Hintergrund die Fäden zusammenhält, Transfers in die Wege leitet, die gute aktive Seele im Hintergrund, die über sich selbst sagt: „Ich will nicht im Vordergrund stehen.“ Anlässlich seines Geburtstags kramt er aber doch in der Kopfkiste. Wie der gebürtige Berliner, der aber seit seiner Kindheit wegen des Studiums seiner Eltern in Möser wohnt, in der Jugend zum 1. FC Magdeburg delegiert wurde, wie der gelernte Mittelfeldspieler, dessen Qualitäten als Stürmer aber zügig erkannt wurden, dann im Sommer 1987 bei Motor Schönebeck Fußballprofi wurde. Und wie er dann in auch sportlich turbulenten Zeiten nach der politischen Wende bei Blau-Weiß 90 Berlin und Stahl Brandenburg für anderthalb Jahre sogar in der 2. Bundesliga kickte.

Ja, Steffen hat tatsächlich viel erlebt, viel gesehen, kennt das Fußball-Geschäft viel besser als vergleichbare sportliche Akteure im Kreis. Wenn es der Staat und die Gesundheit gut mit ihm gemeint hätten, wäre vielleicht sogar ein Bundesliga-Spieler aus ihm geworden. Er selbst ist davon überzeugt. Aber schon in der DDR wurden ihm Steine in den Weg gelegt. Wegen eines Geburtsfehlers fehlt Steffen an der Wirbelsäule zwischen dem dritten und vierten Wirbel die Bandscheibe. Der jugendliche Steffen ist mit Schmerzen an dieser Stelle aufgewachsen. Und als Steffen – nachdem er die Nachwuchs-Abteilungen des FCM durchlaufen hatte – 1985 zu Einheit Burg versetzt wurde, war die offizielle Begründung sein instabiler Körper. Heute weiß Steffen, dass das nur vorgeschoben war. „Ich hatte eine Oma im Westen.“ Der Staat sah es nicht gerne, dass solch ein Spieler Karriere macht.

Mit etwas Glück und dem Umweg in Schönebeck wurde er doch noch schon zu DDR-Zeiten Profi. Dass er in der Goldgräberstimmung nach 1990 nicht auch in der BRD ganz oben anklopfte, hatte freilich dann doch mit seinem Körper zu tun. Nicht aber der Rücken war das Problem. „Das hatte ich mit viel Training und Physiotherapie hinbekommen.“ Nein, es waren die Knie, die ihm immer wieder ein Stoppschild zeigten. Kreuzbandrisse, Meniskusschäden, Knorpelschäden. Es gab nichts, was Steffen nicht im Knie hatte. Und immer wieder diese OPs, die Auszeiten, die Narben, die symbolisch für den verpassten Durchbruch des Michael Steffen stehen.

Trotzdem brachte er es auch nach der Wende zu lokalem Ruhm. Dank des Kult-Trainers Eckhard Düwiger, der aus dem kleinen und beinahe gar nicht finanziell unterstützten Verein BSG Bergmann-Borsig zu DDR-Zeiten eine Top-Adresse in Ost-Berlin gemacht hatte. „Ich hatte Riesenglück nach der Wende“, sagt Steffen. Nachdem der doch so heimatverbundene Steffen schon ein Probetraining in Gladbach absolviert hatte, aber eigentlich „nicht von zu Hause weg“ wollte, kam er dank Düwiger zu Bergmann Borsig. Das erste Mal 1990 und das zweite Mal 1992 in die Amateur-Oberliga, bevor nach Stationen in der Regionalliga bei Stahl Brandenburg (93/94) und FC Berlin (94-97) der Weg zurück nach Schönebeck führte zu Motor, der jetzt Schönebecker SSV hieß. „Da wollte ich noch ein bisschen Freizeitsport machen“, sagt Steffen. Gleich in der Saison 97/98 stellte er in der Verbandsliga einen Rekord auf, der vielleicht für die Ewigkeit bestimmt ist. In 25 Spielen gelangen Steffen 41 Tore. „Da bin ich schon stolz“, schmunzelt er.

Wehmut über die vielleicht vertane Chance auf größeren Ruhm gibt es bei Steffen aber nicht. Er hat viel gesehen, viel erlebt, viel erfahren. Noch heute hat er Kontakt zu ehemaligen Bundesliga-Spielern wie Roy Präger, Stefan Beinlich, Christian Beeck oder René Schneider. Ein Relikt, das beweist, wo Steffen stand und war und ihn heute ein versöhnliches Fazit ziehen lässt. „Es war eine schöne Zeit.“

Und auch als Trainer – was er „nie sein wollte“ – tingelte er später durch die Gegend. Fünf Jahre beim Burger BC und fünf in Gerwisch, zwei Jahre in Oschersleben und zwei beim VfB Ottersleben führten ihn nach einem Jahr Pause im Oktober 2014 wieder zum SSV. Dort wickelte er nach der Meisterschaft 2015/2016 in der Landesklasse den Verein ordnungsgemäß ab und führte die „Roten“ zur Fusion mit dem Schönebecker SC. War die Zeit beim SSV am schönsten? „Würde ich nicht sagen. Schöne Zeiten kann man nicht nur an Aufstiegen festmachen. Jedes Jahr hatte seinen Reiz“, sagt Steffen. Aber das er mit dem kleinen Verein Blau-Weiß Gerwisch vier Mal hintereinander Kreispokalsieger wurde, erzählt er doch gerne. Freimütig erzählt er auch, dass es als Übungsleiter nicht immer einfach war. Defizite in menschlichen Bereichen hat er in der Selbstanalyse herausgefunden. „Ich bin total ehrgeizig und das verlange ich auch von den Spielern. Bei mir gibt es nur ganz oder gar nicht.“ Mit dieser Einstellung eckte er auch an.

Heute ist Michael Steffen ruhiger geworden. Eine Zeit lang war Steffen noch bei Union Schönebeck gleichberechtiger Trainer neben Mario Katte. Aus gesundheitlichen Gründen zog er sich aber zurück und war dann eine Zeit lang aus der Schönebecker Öffentlichkeit verschwunden, bevor er erst als Co-Trainer von Torsten Brinkmann und seit Februar als sportlicher Leiter wieder offizielle Posten übernahm. Steffen ist jetzt der Mann, der hinter dem Geländer steht, beobachtet, analysiert, das große Ganze im Blick hat. Und er war eine treibende Kraft beim erneuten Umbruch der Schönebecker im Sommer. Die acht Neuzugänge sind zu einem nicht unerheblichen Teil auch den guten Kontakten von Steffen zu verdanken. Aber auch im zwischenmenschlichen Bereich will er beruhigende Akzente setzen. „Wir brauchen keine Nebenbaustellen mehr. Alle sollen sich wohlfühlen, da wollen wir hin“, sagt er. Querulanten und Miesepeter haben keine Plattform mehr.

Und mit der Zusammenstellung des Kaders sieht Steffen diese Chance gegeben. „Wir haben eine gute Mischung aus jung und alt.“ Samt eines 33-jährigen Trainers Andreas Sommermeyer, der mit seiner Jugend und seiner ersten Station als Coach im Männer-Bereich den Aufbruch verkörpert. „Das macht ihn so interessant. Er vermittelt viel, hat sehr viel Spielverständnis. Er erahnt Spielzüge und bringt viel mit.“ Und mit seiner Vergangenheit als Jugend-Coach passt er auch zur Philosophie des Vereins. „Auf eigene Leute zu setzen, das hat Priorität“, sagt Steffen.

Denn der für die Zuschauer in der Verbandsliga doch wenig attraktive neue Verein hat doch eine Basis, die fleißig gegossen und genährt wird. Die vorbildliche Arbeit im Nachwuchs-Bereich pflanzt ein neues, attraktives Bild von Union Schönebeck in die Köpfe der Kinder und deren Eltern. „Kinder an die Macht“, hieß es schon bei Herbert Grönemeyer. Dass Familienvater Michael Steffen bei diesem grün-roten Projekt dabei sein darf, macht ihn stolz. Stolzer als all die Geschichten aus dem Leben als Fußball-Profi. Bescheidenheit ist eine Tugend, auch für Michael Steffen.