Erkennbarer Wandel "Mehr Mitsprache für Athleten!": Das Ende der Bevormundung
Die Stimme der Athleten im Weltsport wird lauter. Sie wollen gehört werden und mitentscheiden - und organisieren sich professioneller wie in der Vereinigung Athleten Deutschland.

Frankfurt/Main (dpa) - Das Machtgefüge in der Welt des Sports hat sich verändert. Die Zeit, in der Athleten von Funktionären plakativ in den Mittelpunkt gerückt und ihre Interessen aber ignoriert wurden, läuft ab.
"Die unabhängigen Athletenvertretungen treten sehr selbstbewusst auf - weil die Aktiven im Mittelpunkt der Sportwelt stehen", sagte Dagmar Freitag, die Sportausschussvorsitzende des Bundestages. "Die Bevormundung durch Sportorganisationen und Sportfunktionäre hat damit auch ein Ende." Die SPD-Politikerin würde das "nicht als Revolution" bezeichnen, doch dieser Wandel in der Sportwelt werde "nicht ohne dauerhafte Auswirkungen" bleiben.
Auch für Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler, der sich in der Athletenkommission des Leichtathletik-Verbandes World Athletics engagiert, ist der Einfluss der Sportler enorm gewachsen. "Es ist eine rasante Entwicklung", sagte er. "Aus meiner persönlichen Wahrnehmung haben wir 2020 noch einmal einen großen Sprung nach vorne gemacht, was das Gesamtthema Athletenvertretung betrifft." Das Zahnradsystem funktioniere in den Verbänden immer besser, "so dass die Athletenmeinungen immer mehr gehört" würden.
Allerdings längst nicht überall und zu jedem Thema - wie zur Verlegung der Olympischen Spiele in Tokio wegen der Pandemie oder bei den umstrittenen Entscheidungen der Welt-Anti-Doping-Agentur im russischen Doping-Skandal. Dies gelte auch für World Athletics, die seit 2015 an der Suspendierung Russlands festhält. "Insgesamt sind wir ein Teil der Entscheider, aber die Meinung der Athleten wird am Ende das Ruder nicht herumreißen", sagte Röhler.
Der Frust und die Ohnmacht über das Hin und Her der Wada hat vor drei Jahren auch mit zur Gründung von Athleten Deutschland geführt. "Der Doping-Skandal war sicher ein Treiber dafür", bestätigte Maximilian Klein von der vom Deutschen Olympischen Sportbund losgelösten Vereinigung. Seitdem seien "große Sprünge" gemacht und viel erreicht worden. Dazu gehöre die Athletenrente oder die Lockerung der olympischen Regel 40 zu Werbeverboten für Sportler bei Sommer- und Winterspielen. "Die Stimme von Athleten Deutschland ist völlig unabhängig, und das macht den Unterschied aus", erklärte Freitag. Deshalb sei dieses Sportlerbündnis "eine Vorbild für andere Länder".
Nach dem Aufbau der vom Bund finanziell geförderten professionellen Organisation und nationalen Erfolgen zum Nutzen der Sportler hat Athleten Deutschland das Engagement über die Grenzen hinaus ausgeweitet. "Jetzt versuchen wir das in die Welt zu tragen, international viel rühriger zu werden und dort mehr zu bewegen", kündigte der für die "Außenpolitik" zuständige Klein an. Denn viele wichtige Entscheidungen, die das tägliche Leben der Athleten beträfen, würden international getroffen.
Zum Beispiel in der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada, deren Struktur "grundüberholt und reformiert" gehöre, in deren Athletenkommission die Sportler "keine echten oder stark eingeschränkte Mitspracherechte" hätten. "Dies geht bei der Wada so weit, dass jede Kommunikation nach außen abgesegnet werden muss", so Harvard-Student Klein.
Dieses Problem hätten viele Athletenvertretungen in internationalen Sportorganisationen. "Deshalb muss das Athletenkommissionsmodell insgesamt infrage gestellt werden, weil es solche Defizite erst möglich macht", forderte er. "Die Athleten werden dadurch daran gehindert, effektiv und unabhängig mitsprechen zu können."
Dies gelte laut Dagmar Freitag auch für sie Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees: Wie die Athletenvertreter im DOSB könnten diese auch im IOC keine durchgreifende Wirkung erzielen. "Insofern hat nach meiner Wahrnehmung noch kein IOC-Präsident aus diesem Gremium ernsthaften Gegenwind verspürt", betonte sie.
Mehr Druck auf das IOC erzeugen wollen die deutschen Athletenvertreter, wie in der Debatte um die Regel 50, die jegliche politische, religiöse oder rassistische Demonstration oder Propaganda bei den Spielen verbietet. "Bei vielen der Themen geht es um Menschenrechte - und diese Diskussionen müssen wir spätestens bis zu den Winterspielen 2022 in Peking führen. Das ist der Elefant im Raum", sagte Klein angesichts der Menschenrechtssituation in China.
Das internationale Engagement und die weltweite Vernetzung mit anderen Athletenorganisationen sei "schwierig und diplomatisch anspruchsvoll", erklärte Klein. "Das Gute ist, dass wir uns auf einige Grundpositionen einigen können, die wichtigste davon: "Mehr Mitsprache für Athleten!"
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