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Serie Teil 3: Magdeburger Vater-Sohn-Beziehungen: Paul Seguin will beim VfL Wolfsburg Profi werden Auf den Spuren einer FCM-Legende

Fußball-Nationalspieler Wolfgang "Paule" Seguin gehört zur "goldenen
Generation" des 1. FC Magdeburg, schoss den Traditionsclub 1974 zum
historischen Europapokalsieg. Der heute 68-Jährige ist aber auch
erfolgreicher Unternehmer und glücklicher Vater von fünf Söhnen. Sein
jüngster Spross Paul (18) ist beim VfL Wolfsburg auf dem Sprung, in
Vaters große Fußstapfen zu treten.

Von Thomas Juschus 24.12.2013, 02:05

Stendal/Wolfsburg l Es war der 9. Februar 1964. Im Oberliga-Spiel zwischen dem SC Aufbau - dem Vorläufer des 1.FC Magdeburg - und Turbine Erfurt steht ein junger 18-Jähriger erstmals in der Startformation: Wolfgang Seguin. Es folgen weitere 379 Oberliga-Spiele und drei DDR-Meisterschaften, 21 Spiele für die DDR-Auswahl und der Gewinn der Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen 1972. 57mal ist Wolfgang Seguin im Europapokal im Einsatz für den FCM. Absoluter Höhepunkt: Sein Tor zum 2:0 im Finale des Europapokals der Pokalsieger 1974 gegen den AC Mailand.

Fast 50 Jahre nach dem Oberliga-Debüt von Wolfgang - Spitzname "Paule" - Seguin steht ein junger 18-Jähriger erstmals in der Startformation des VfL Wolfsburg. Paul Seguin, jüngster von fünf Söhnen von Wolfgang Seguin. Es ist zwar "nur" ein Freundschaftsspiel des Bundesligisten aus der VW-Stadt beim schottischen Erstligisten Hearts of Midlothian (0:0). Trotzdem erwarten viele Experten von Paul Seguin eine ähnlich steile Karriere wie vom berühmten Vater.

Norman (40 Jahre), Maik (31), Marcel (28) und Timmy (23) - die ersten vier Söhne von Wolfgang Seguin - hatten mit Fußball nicht so viel im Sinn wie ihr Vater. Spätestens in der Landesliga war Endstation, stattdessen konzentrierte sich das Quartett erfolgreich auf das berufliche Fortkommen. Norman und Maik führen inzischen das vom Vater gegründete Unternehmen "Glas- und Gebäudereinigung Seguin". Paul (18), der Nachzügler, fand dagegen früh den Weg auf den Fußballplatz. Zunächst als Begleiter seines Vaters bei den zahlreichen Traditionsspielen des FCM, an denen der 68-Jährige auch noch heute mit großem Spaß nachgeht. Mit vier Jahren schloss sich Paul Seguin dem 1. FC Lok Stendal an.

2007, mit gerade mal 12 Jahren, entschied sich Paul Seguin zum Wechsel zum VfL Wolfsburg. Eine Kooperation zwischen den Niedersachsen und Lok ermöglichte damals den mutigen Schritt. Sechs Jahre lang fuhr Paul fast täglich nach der Schule mit dem Zug zum Training. "Seine Mutter Kerstin hat ihn immer an der Schule abgeholt, mit Essen versorgt und zum Zug gebracht. Am Abend war er dann wieder zu Hause und hat Schulaufgaben gemacht", erinnert sich Wolfgang Seguin. "Den Hauptanteil hat meine Frau Kerstin geschultert. Sie hat sich für Paul aufgeopfert." Erst seit kurzer Zeit hat die tägliche Fahrerei ein Ende gefunden, Paul Seguin lebt nun mit drei Mitspielern in Wolfsburg in einer WG, sagt ohne Nachfrage. "Mein Vater und meine Mutter haben mich auf meinem Weg immer unterstützt."

Seit seinem Wechsel hat Paul Seguin alle Jugend-Mannschaften des VfL Wolfsburg

"Früher war ich zu lieb und zu ruhig auf dem Platz. Von meinem Vater habe ich gelernt, auch mal den Ton auf dem Platz anzugeben." - Paul Seguin

durchlaufen - die U 14, U 15, U 16, U 17. Momentan ist er Stammspieler in der U 19. Und klopft an die Tür zur Bundesliga-Mannschaft. Mitte November beim Testspiel in Schottland stand er erstmals an der Seite von erfahrenen Profis wie Daniel Caligiuri oder Patrick Ochs in der VfL-Startformation gegen Hearts of Midlothian. Und darf seitdem mit Federico Palacios Martinéz und Moritz Sprenger regelmäßig am Training der Bundesliga-Mannschaft teilnehmen. "Die drei Jungs machen es richtig ordentlich. Alle haben eine gute Grundqualität. Das macht sie interessant für uns. Bei den Dreien habe ich das Gefühl, dass es passen kann. Sie sind nicht nur dabei, sondern versuchen, auch Akzente zu setzen", lobte VfL-Cheftrainer Dieter Hecking das Trio in der "Wolfsburger Allgemeinen Zeitung".

Paul Seguin hat den Wechsel nach Wolfsburg nie bereut, obwohl der eine oder andere den "Junior" sicherlich auch gern im Trikot des 1. FC Magdeburg gesehen hätte, der auch keine ganz erfolglose Nachwuchsarbeit betreibt. "In Wolfsburg ist einfach alles viel professioneller. Ich denke, es war der richtige Schritt", erinnert sich Paul Seguin, der bei einem VW-Zulieferer eine Ausbildung zum Fachlageristen begonnen hat. "Ich brauche was zu tun", sagt er.

Wann immer möglich, haben Wolfgang und Kerstin Seguin die Spiele ihres Sohnes für den VfL vor Ort verfolgt - quer durch die Republik sind sie gereist, aber auch ins benachbarte Ausland. Die hohe Veranlagung habe sich früh gezeigt, sagt Wolfgang Seguin. "Ich war nicht so ein Talent, war eher der Abräumer. Pauls Talent habe ich früh gesehen. Als er dann in der U 16 und U 17 gespielt hat, habe ich gewusst, aus ihm kann mal ein Profi werden", erzählt der Vater, "aber ich wusste immer: der Weg ist lang."

Das große Ziel, ein Profi-Vertrag beim ehemaligen deutschen Meister, scheint jetzt für Paul Seguin in Sichtweite. "Na, klar, das ist mein Traum, ich möchte in Wolfsburg Profi werden", sagt er. Der Youngster lässt sich nicht in die Karten gucken, dem Vernehmen nach sollen aber seinen Beratern Marco Rehmer und Björn Schultz sogar mehrere Anfragen aus der 1. Liga vorliegen. Der nächste Schritt könnte die Teilnahme am Wintertrainingslager des VfL in Abu Dhabi (5. bis 12. Januar) und die Testspielreise der Wolfsburger in China (13. bis 17. Januar) sein. Ein hartnäckiger Bluterguss in der linken Wade macht allerdings momentan Probleme und muss behandelt werden.

Arbeiten muss der 1,86 Meter große und 77 kg leichte Seguin vor allem noch an seiner Physis und Schnelligkeit. Ansonsten bringt er einiges mit: gute Technik, Kopfball- und Zweikampfstärke. Auch charakterlich ist Paul Seguin zuletzt gewachsen. Rückhalt bietet ihm dabei vor allem die Familie, wichtiger Ratgeber ist sein Vater. "Er kann mir ganz viele Tipps geben. Früher war ich zu lieb und zu ruhig auf dem Platz. Von meinem Vater habe ich gelernt, auch mal den Ton auf dem Platz anzugeben. Heute bin ich einer der lautesten auf dem Feld", sagt Paul Seguin.

Für Paul Seguin sind Berühmtheit und Meriten seines Vaters mehr Lust als Last. In den alten Bundesländern hält sich zudem die Bekanntheit oder gar Popularität des ehemaligen FCM-Spielers in Grenzen. "Wenn ich in Magdeburg bin, spricht mich jeder auf meinen Vater an. Die meisten ,Ossis\' kennen ihn schon. Hier in Wolfsburg ist das ein bisschen anders", berichtet Paul Seguin und fügt selbstbewusst an: "Mein Vater war ein guter Fußballer. Von ihm habe ich viel gelernt." Erst vor einigen Jahren seien ihm die Leistungen seines Vaters so richtig bewusst geworden: "Da darf mein Vater richtig stolz drauf sein."

Vater Wolfgang kann sich zufrieden zurücklehnen, wenn er auf die Entwicklung seiner Söhne schaut. "Es ist aus allen Fünf etwas geworden", sagt er mit Stolz. Wenn nun "Nesthäkchen" Paul sogar in seine Fußstapfen treten könnte, wäre das sicher die Krönung eines erfüllten Lebens. "Ich bin sehr, sehr zufrieden, ich fühle mich pudelwohl. Mir geht es gut", sagt Wolfgang Seguin. Sein Sohn bringe alle Voraussetzungen mit, ein erfolgreicher Fußballer wie er zu werden. Und dann hat Wolfgang "Paule" Seguin für Sohn Paul den vielleicht entscheidenen Tipp parat. Es komme nicht immer nur auf Talent an. "Paul ist besser als ich. Aber ich habe mich durchgesetzt." Und diesen Schritt muss der Sohn erst noch machen.