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Billard Wenn Messi für Magdeburg spielt

Der 1. BC Magdeburg hat sich zur deutschen Top-Adresse gemausert. Auch, weil der weltweit größte Star der Szene ihm die Treue hält.

Von Christian Elsäßer 12.09.2019, 23:01

Magdeburg l Es gibt diese Geschichte von Dick Jaspers. Die Geschichte, wie der Niederländer vor einiger Zeit in Magdeburg ankam und sich die Räume des Billard-Clubs in der Brenneckestraße aufschließen ließ. Jaspers, so wird es überliefert, trat ein, atmete durch und sagte nur: „Schön, wieder zu Hause zu sein.“

Wer diesen Satz einordnen will, muss wissen, wer dieser Dick Jaspers ist. Der 54-Jährige ist vierfacher Weltmeister im Dreiband-Billard, noch dazu der amtierende. Er ist Weltrekordhalter. Und er ist mit haushohem Abstand Weltranglistenerster. Kurzum: Er ist ein Weltstar seiner Sportart.

Was für eine Auszeichnung also für einen Verein, wenn der weltbeste Spieler dort sein Zuhause sieht. Und Grund genug, sich diesem 1. Billardclub Magdeburg einmal zu nähern. Diesem Verein, der sich weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit zur deutschen Nummer eins entwickelt hat, 2019 zum ersten Mal deutscher Meister geworden ist und am kommenden Wochenende mit zwei Heimspielen gegen den BC Nied und den BCC Witten als Titelverteidiger in die neue Bundesliga-Saison startet.

Wer den 1. BC im Süden der Landeshauptstadt besucht, dem schlägt im ersten Moment weiß Gott nicht der Hauch des großen internationalen Spitzensports entgegen. Der Eingang zum Clubhaus kommt wenig repräsentativ daher. Auf der einen Seite grenzt eine Tankstelle an, der Nachbar zur anderen Seite ist ein Döner-Imbiss. Über eine Treppe geht es in den ersten Stock, weiter durch einen kleinen Flur, ehe sich am Ende des Ganges die Tür zu einem 250 Quadratmeter großen, wirklich liebevoll gepflegten Billardraum öffnet.

Eine Wohnung, so sagt man gern, ist der Spiegel der Seele ihrer Bewohner. Vermutlich ist es bei Sportclubs und ihren Vereinsheimen nicht anders. Und so vermittelt auch dieser Raum einen ersten Eindruck, was diesen 1. BC Magdeburg auszeichnet. Die Fenster sind abgedunkelt, damit das Licht von außen keine Schatten auf die Tische wirft. Es hat etwas Heimeliges hier oben. Und: Es ist still. Nur an ein paar Tischen wird gespielt. Trotzdem: Wer hier hineinkommt, wird mit Handschlag begrüßt. Und es passt irgendwie, wenn Mario Jordan, der Vereinsvorsitzende, sagt: „Wir sind ein kleiner Verein, bei uns geht es sehr familiär zu.“ Denn genau das war es, was einst den Weltstar Dick Jaspers in den Bann gezogen hat.

Rückblick: Vor gut 15 Jahren kommt der Niederländer das erste Mal nach Magdeburg. Auf Initiative des damaligen BC-Vereinschefs Bernd Friedel. „Dick hat damals Trainingsstunden für unsere Mitglieder gegeben“, erzählt Mario Jordan. Daraus entsteht ein jahrelanger, dauerhafter Kontakt, der in einer wahren Kuriosität mündet. Denn: „Irgendwann kam Dick und erklärte uns, dass es ihn reizen würde, mal in der Bundesliga zu spielen – und dass er das gerne für unseren Verein machen würde.“

Das ist 2010. Der 1. BC Magdeburg ist zu diesem Zeitpunkt ein Zweitligist. Ein Zweitligist, bei dem der weltbeste Spieler anklopft. „Das ist ein bisschen so, als hätte Messi beim 1.  FC  Magdeburg angefragt“, sagt Hans-Jürgen Plack, der stellvertretende Teamchef des Bundesliga-Teams mit Blick auf den Weltfußballer Lionel Messi.

Doch seither steht Dick Jaspers tatsächlich am Tisch für die Magdeburger. Und es folgt eine stetige sportliche Bergauf-Entwicklung: der Bundesliga-Aufstieg, 2019 schließlich die erste deutsche Meisterschaft. Und dazwischen, im Februar 2018, dieser denkwürdige Moment, der dem 1. BC sogar zu weltweiter Aufmerksamkeit verhilft.

Im Bundesliga-Spiel gegen den ATSV Erlangen stellt Dick Jaspers einen Weltrekord auf. Einen Fabelweltrekord, wenn man es genau nimmt. In der Partie gegen den Österreicher Andreas Efler erzielt er 40  Punkte in vier Aufnahmen (siehe auch Kasten „Was ist Karambol-Billard?“). Die vorherige Bestmarke lag bei sechs Aufnahmen, Jaspers war selbst einer der Rekordhalter.

Die Sternstunde des Vereins dauert nur gute 30 Minuten. „Leider gibt es von dem Weltrekord keine Videoaufnahme“, sagt Plack. „Die wäre sicherlich sehr gefragt gewesen.“ Trotzdem ist der 1. BC Magdeburg auf einmal in aller Munde. „Danach kamen Anfragen von Kamera-Teams aus Holland, die den Tisch filmen wollten, auf dem Dick den Weltrekord gespielt hat“, erzählt Mario Jordan.

Auch an diesem Wochenende wird wieder auf diesem Weltrekord-Tisch gespielt. Wenn die neue Bundesliga-Saison im Karambol beginnt, ist der 1. BC Magdeburg erstmals der Gejagte. „Das Ziel ist ganz klar, wieder den Titel zu gewinnen“, sagt Mario Jordan. Dick Jaspers gehört wieder zum Aufgebot. Ebenso Dion Nelin, ein weiterer Weltklasse-Spieler. Der 43-jährige Däne gehörte schon mit 17 Jahren zur internationalen Spitze, hatte seine Karriere danach aber eigentlich schon an den Nagel gehängt. Inzwischen setzt er doch wieder voll auf sein Können am Billard-Tisch. Und wenn einer der beiden Top-Leute ausfällt, setzt der 1. BCM auf den erstmals verpflichteten Türken Ömer Karakurt, ein ehemaliger Junioren-Europameister und Vizeweltmeister.

Als Budget steht ein fünfstelliger Betrag zur Verfügung, auch um die Spitzenspieler zu den Partien aus ihren Heimatländern einfliegen lassen zu können.

Heißt: Die Ambitionen sind hoch – man muss sie erst einmal schlagen, diese Dreiband-Mannschaft aus Magdeburg. Allein: Diese Mannschaft wird auch in dieser Saison kein Massenphänomen werden. Mario Jordan gibt sich auch nach dem Meistertitel keiner falschen Illusion hin. „Wir haben maximal vielleicht 20 Zuschauer bei unseren Spielen – und wir nehmen noch nicht einmal Eintritt.“

Karambol ist und bleibt eine Nische. Und weil es so ist, muss auch der momentan erfolgreichste deutsche Verein kämpfen. Weltrekord hin oder her, Meistertitel hin oder her – Nachwuchs gibt es so gut wie keinen. In Magdeburg nicht. Aber auch weltweit nicht. Dass mit Dick Jaspers ein Mittfünfziger das internationale Niveau vorgibt, muss man auch als strukturelles Problem der Disziplin werten. „Wir haben im Moment gut 40 Mitglieder“, erzählt Jordan. „Der jüngste Karambol-Spieler bei uns im Verein ist Anfang 40. Junge Leute zu gewinnen, ist schwierig. Gerade im Karambol und Dreiband, weil sich bei Anfängern eben nicht sofort Erfolge einstellen.“

Wer Mario Jordan nach seinen Wünschen für die Zukunft fragt, der bekommt deshalb keine Träume von Europacups oder weiteren Meisterschaften zu hören. Der Vorsitzende steht im großen Vereinsraum neben dem Weltrekord-Tisch von Dick Jaspers und zeigt auf die Tür: „Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann, dass hier irgendwann einmal ein paar junge Leute durch die Tür kommen und sagen, dass sie Karambol spielen möchten.“

Als Vorbild könnten sie den weltbesten Spieler hautnah erleben. Dick Jaspers gilt als überaus nahbarer und bodenständiger Mensch. Und er versteht sich auch als Werbeträger des 1. Billardclubs Magdeburg. „Ich liebe den Verein, alles ist perfekt hier“, sagt der Niederländer.

So klingt es, wenn ein Weltklasse-Sportler sein Zuhause gefunden hat; so klingt es, wenn Messi für Magdeburg spielt.