Olympische Spiele in Paris Drei Runden bis zum Glück: Magdeburgerin Pauline Grabosch kämpft um Gold
Für Pauline Grabosch hat sich in Paris ein Traum erfüllt.

Paris - Pauline Grabosch trifft Pauline Grabosch. Die eine 26 Jahre jung, die andere 70 Jahre alt. Irgendwann in diesen Tagen, irgendwo an einer Hotelbar. Welche Antworten erwartet die Jüngere von der Älteren? „Ich würde gar nicht so viele Fragen stellen, ich würde einfach zuhören“, sagt die Magdeburgerin. „Aber ich würde wissen wollen, ob sie etwas bereut hat, ob sie vor etwas Angst hatte.“ Oder, ob der Lebensplan aufgegangen ist.
Vielleicht würde die Ältere ihr dann vom 5. August des Jahres 2024, von den Olympischen Spielen in Paris, vom Finale im Teamsprint im National Velodrom, von einer Medaille erzählen. Vielleicht auch von den negativen Dingen im Leben, „denen man Platz einräumen muss, weil sie ihre Daseinsberechtigung haben“, sagt die Studentin zur Gesundheitspsychologie. Grabosch hat sie bereits mit 26 erlebt, und sie hat gelernt, damit umzugehen.
Wie mit dem Unfall von Kristina Vogel, sechs Jahre ist es her, als die zweimalige Olympiasiegerin und elffache Weltmeisterin im Training schwer stürzte – mit der Konsequenz einer Querschnittslähmung. Grabosch war beim Unfall zugegen. „Das war keine schöne Zeit. Ich habe mir Hilfe von außen geholt“, erzählt sie. Eine Therapie ließ sie den mentalen Rückschlag verarbeiten. Die Gedanken sortieren. Den Dingen Platz einräumen.
Es ist wichtig, dem Sport ein Gesicht zu geben."
Pauline Grabosch
Das Gespräch zu diesem Artikel hat vor den Spielen stattgefunden. Grabosch war noch in Frankfurt an der Oder, in der unmittelbaren Vorbereitung auf Paris. Sie sagt: „Eigentlich ist es nichts anderes als eine Vorbereitung auf eine WM.“ Sie hat aber gemerkt, dass es vor Olympia einiges mehr gedanklich und organisatorisch zu ordnen gibt. Vor allem vor ihrer Premiere. 2021 in Tokio, als der Teamsprint noch als Duo ausgetragen wurde, war sie Ersatzfahrerin.
Von einem Start beim Ringefestival hat sie seit 2008 geträumt. Seit den Spielen in Peking, „weil ich gesehen habe, wie cool und perfekt man den Sport in der ganzen Welt präsentieren kann“. Zum anderen „waren es nicht mal die Leistungen, sondern vielmehr die Interviews der Athleten“, erinnert sie sich. Grabosch sitzt im Wettbewerb mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt, trägt einen Helm. „Niemand erkennt mich. Aber es ist wichtig, dem Sport auch ein Gesicht zu geben und Vorbilder zu schaffen“, erklärt Grabosch, die in Cottbus lebt und trainiert.
110.000 Follower auf Instagram
Sie gibt ihrem Sport nicht nur in Interviews ein Gesicht, sondern auch bei „Instagram“. Vor vier Jahren hat sie das Projekt gestartet. Aktuell zeigt sie dort in bewegten Bildern, wie sie die Olympiabahn befährt, wie sie mit Emma Hinze im Olympischen Dorf das Zimmer umstellt. „Ich möchte die schönen Dinge hinter den Kulissen zeigen, und die Resonanz ist beeindruckend“, erklärt sie in Anbetracht ihrer mehr als 110.000 Follower.
Man kann sich stundenlang mit Pauline Grabosch über die Psychologie und die Philosophie des Lebens unterhalten, wenn sie erst einmal einen Gedanken aufgegriffen hat, strickt sie ihn immer weiter. Aber es gibt noch die Geschichte ihres Sports, die zum Beispiel von fünf Titeln bei Weltmeisterschaften erzählt, womit Grabosch die erfolgreichste Teamsprinterin aller Zeiten ist.
Das war ein kleiner Befreiungsschlag.
Pauline Grabosch über den zweiten WM-Titel
2018 ist diese Erfolgsstory gestartet, mit Miriam Welte und Kristina Vogel, aber der zweite Titel, den die Anfahrerin auf der drei Runden langen Distanz zwei Jahre später gewann, ist doch ihr wichtigster. „Wir waren damals ein sehr junges Team“, sagt Grabosch. „Das war wie ein kleiner Befreiungsschlag.“ Und der erste große gemeinsame Erfolg jenes Trios, das heute im National Velodrom gefordert ist, wenn es für Grabosch, Emma Hinze und Lea Friedrich um den Sieg geht. Denn mit Peking 2008 kam nicht nur der Traum von Olympia. Sondern auch der Traum von Gold.
Vielleicht wird sie in Paris auch wieder eine Antwort auf die eine oder andere der Fragen aus John Streleckys Buch „Das Café am Rande der Welt“, von dem sie berichtet, finden. Wie: Warum bist du hier? Führst du ein erfülltes Leben? Pauline Grabosch mit 70 kennt die Antworten. Pauline Grabosch mit 26 findet sie jeden Tag aufs Neue.