Sommerspiele in Tokio Florian Wellbrock vom SCM: Ein Favorit taucht auf
Der Dreikampf hat eine beachtliche Historie: Zum dritten Mal streiten Florian Wellbrock vom SCM, Michailo Romantschuk und Gregorio Paltrinieri bei einem internationalen Großereignis um einen Titel – und diesmal um den Olympiasieg.

Magdeburg - Italien bangt um seinen Olympiasieger. Wird Gregorio Paltrinieri rechtzeitig fit für die Sommerspiele in Tokio? Und hat er dann überhaupt eine Chance auf eine Medaille? Am 23. Juni hatte der italienische Schwimmverband die Erkrankung des 26-Jährigen publik gemacht. Die Diagnose lautete: Pfeiffersches Drüsenfieber. Die Nachricht hatte nicht zuletzt Florian Wellbrock überrascht, und das ist noch leicht untertrieben. „Ich war sogar ein bisschen schockiert“, gesteht der Athlet vom SC Magdeburg im Gespräch mit der „Volksstimme“.
Paltrinieri, der freundschaftliche Kontrahent, musste sich kurz nach seinem triumphalen Auftritt mit drei Goldmedaillen im Freiwasser bei der Europameisterschaft in Budapest in medizinische Behandlung begeben und das Training aussetzen. „Ich habe ihm alles Gute und eine schnelle Genesung gewünscht“, berichtet Wellbrock. Und Paltrinieri habe geantwortet, er werde alles geben, um in Tokio wieder bei Kräften zu sein.
Die „Gazzaetta dello Sport“ hat zwischenzeitlich berichtet, Paltrinieri gehe es besser, er hat sich zwar noch nicht erholt, aber die Kurve zeige wieder nach oben. Das Höhentrainingslager hat Paltrinieri nicht wie geplant in der Türkei, sondern in Livigno aufgeschlagen, etwa 1800 Meter über dem Meeresspiegel. Das Fachblatt schrieb: „Jetzt heißt es, nur kein Stress. Der Körper muss sich ausruhen.“
Wellbrock führt im Jahresranking
Ohne Paltrinieri würde nicht nur dem Freiwasser-Wettkampf über zehn Kilometer am 5. August im Odaiba Marina Park etwas fehlen, sondern auch vier Tage zuvor im Tokyo Aquatics Center, wenn zum Abschluss der Beckenwettbewerbe als Hauptattraktion das Finale über 1500 Meter Freistil dargeboten wird. „Und dafür habe ich mich dafür auf einen Dreikampf vorbereitet“, erzählt Wellbrock nicht nur über fünfeinhalb Wochen von Ende Mai bis Ende Juni im Höhentrainingslager in der Sierra Nevada (Spanien) auf 2300 Metern und in Andorra auf 2070 Metern über dem Meeresspiegel. In Anbetracht vergangener Höhepunkte und in Anbetracht des Jahresrankings in der Welt ist über die 1500 Meter nun mal nur dieser Dreikampf zu erwarten: Wellbrock (14:36,45 Minuten) gegen Michailo Romantschuk (14:39,89) gegen Paltrinieri (14:40,38). Und diese Kräftemessen hat inzwischen eine beachtliche Historie.
12. August 2016: Sieben Tage vor dem 19. Geburtstag von Youngster Wellbrock trafen die drei Protagonisten bei den Sommerspielen in Rio erstmals aufeinander. Im Vorlauf. Paltrinieri schüttelte ziemlich locker einen Sieg, zwei Tage später sogar den Olympiasieg aus den Armen und Beinen. Romantschuk schied mit Rang sechs aus. Auch Wellbrock zahlte Lehrgeld. „Die Atmosphäre mit 11 000 Zuschauern hat mich einfach umgehauen“, hat er später berichtet. Und ergänzt: „Für mich war das Rennen gefühlt nach 50 Metern beendet.“ Es war die wohl wichtigste Niederlage in der Karriere des Magdeburgers.
29. Juli 2017: Diesmal Weltmeisterschaft, wieder Vorlauf, wieder alle zeitgleich in einem Becken der Duma-Arena in Budapest (Ungarn). Für Wellbrock kam das Aus, um acht Sekunden verpasste er das Finale. Wenige Tage, nachdem er sich mit Rang sieben über 800 Meter Freistil erstmals in der Spitze der Welt gemeldet hatte. Weltmeister wurde Paltrinieri. Silber ging an Romantschuk.
5. August 2018: Es wurde schnell in Glasgow (Schottland), unheimlich schnell. Wellbrock und Romantschuk lieferten sich einen starken Kampf um Gold bei der Europameisterschaft. Der Magdeburger setzte sich letztlich in der noch heute gültigen deutschen Rekordzeit von 14:36,15 Minuten durch – und mit 67 Hundertstelsekunden vor Romantschuk. Paltrinieri musste beide Kontrahenten ziehen lassen. Er schlug mehr als sechs Sekunden nach Wellbrock zum Bronzegewinn an.
28. Juli 2019: Der Wahnsinn dieses WM-Finals in Gwangju (Südkorea) begann nach 1400 Metern. Als Florian Wellbrock die Gunst der Stunde nutzte und sich einen kleinen, aber entscheidenden Vorteil erkämpfte. Paltrinieri fiel erneut ab, Romantschuk konnte den Schützling von Bernd Berkhahn ebenfalls nicht halten. Wellbrock gewann in 14:36,54 Minuten – und war damit Doppelweltmeister, nachdem er auch im Freiwasser über zehn Kilometer triumphiert hatte. Das hatte es in der Geschichte des Schwimmens noch nie gegeben.
Ein Favorit, aber kein Retter
Nach dieser Leistung taucht er natürlich als einer der Favoriten in Tokio auf. Eine Rolle, die ihm keine Angst macht: „Ich kann sie sogar genießen“, sagt Wellbrock. In eine weitere Rolle, die ihm nun gerne angetragen wird, mag er allerdings nicht schlüpfen: „Ich bin nicht der Retter des deutschen Schwimmens. Das ist überhaupt nicht meine Aufgabe“, hat Wellbrock schon oft erklärt. Zumindest ist er eine der größten Medaillenhoffnungen der vergangenen Jahre. Vielleicht die größte nach dem letzten deutschen Medaillengewinn durch Britta Steffen, die 2008 Doppelgold aus dem Becken in Peking zog.
So leicht lässt sich die Geschichte über die 800 Meter nicht erzählen. Dort kommt ein unfassbar breites und ausgeglichenes Feld zusammen. Und das wird zwar in der Weltrangliste von Paltrinieri (7:41,96) angeführt, aber seit dem 14. Juni folgt ihm ein gewisser Jack McLoughlin aus Australien (7:42,51). Und auf Platz vier hat sich mit Ahmed Hafnaoui ein Tunesier, 18 Jahre jung, eingereiht (7:45,54).
Dass McLoughlin so weit in die Spitze vorstoßen würde, „hat mich nicht überrascht“, berichtet Wellbrock, der das Rennen sogar in einer Mittagspause in Andorra per Livestream verfolgt hat. „Die Australier sind schon bei der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren starke Zeiten auf den Freistil-Strecken geschwommen – nur nicht über 1500 Meter.“ In Gwangju belegte McLoughlin den vierten Rang über 800 Meter. Wellbrock war in diesem Finale nicht dabei. Seinen deutschen Rekord (7:43,03) hatte er wenige Monate zuvor bei den Swim Open in Stockholm aufgestellt.
Taktik geht vor
Seit Gwangju hat sich das mediale Interesse an ihm noch einmal potenziert. Ihm ist der „Bambi“ als bester Sportler des Jahres verliehen worden. Aus dem unbeschwerten Jungen aus Bremen-Osterholz ist seit 2014 unter Trainer Bernd Berkhahn in Magdeburg ein seriöser Profi geworden. Und die steigende Nachfrage macht ihm auch nichts aus, sie erschöpft ihn nicht, „das macht mir immer noch Spaß“, sagt er. Es macht ihm deshalb auch nichts, wenn er dann in einem Magdeburger Café, wenige Tage vor der Abreise nach Tokio, mit seiner Verlobten Sarah Köhler, ebenfalls eine Weltklasse-Schwimmerin aus der Magdeburger Trainingsgruppe, sitzt und von Rentnerpaaren angesprochen wird. „Sie haben uns alles Gute und viel Glück gewünscht“, erzählt Wellbrock.
Und was muss er dafür tun? Für dieses Glück? Muss er Weltrekorde schwimmen? „Ich denke nicht, dass der Weltrekord über 800 Meter fallen wird, der ist aus der Zeit der Gummi-Anzüge und sehr weit weg“, sagt der 23-Jährige, der über diese Distanz erstmals am 27. Juli starten wird. Zhang Lin aus China hatte bei der WM 2009 die gefühlt unantastbaren 7:32,12 Minuten vorgelegt. Näher ist den heutigen Athleten der Weltrekord über 1500 Meter von Sun Yang (China) aus dem Jahr 2012: 14:31,02 Minuten. Aber Wellbrock ist sich sicher: „Auch dieser Rekord wird eher nicht fallen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es ein taktisches Rennen wird, weil keiner alles auf eine Karte setzen wird. Dafür ist allen die Medaille zu wichtig.“
Auch Wellbrock, der nichts anderes als Edelmetall im Sinn hat. Und dafür mehrere Voraussetzungen mitbringt: Er ist vorbereitet, selbstbewusst, mental stark. Um Wellbrock muss man nicht bangen.
Wellbrocks Zeitplan
800 Meter - Vorlauf: 27. Juli ab 12 Uhr; Finale: 29. Juli ab 3.30 Uhr / 1500 Meter - Vorlauf: 30. Juli ab 12 Uhr / Finale: 1. August ab 3.30 Uhr / Freiwasser, 10 Kilometer: Finale am 4. August ab 23.30 Uhr (Angaben in MESZ)