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Leichtathletik Zurück zum Glück bei der EM

Drei starke Frauen vom SV Halle vetreten die Farben Sachsen-Anhalts bei den Leichtathletik-EM in Berlin.

Von Daniel Hübner 05.08.2018, 01:01

Berlin l Diskuswerferin Nadine Müller (32) und Hürdensprinterin Cindy Roleder (28) peilen eine Medaille an, Sara Gambetta (25) möchte den Endkampf im Kugelstoßen erreichen. Die Volksstimme traf die drei Damen am Bundesstützpunkt in Kienbaum.

Nur 60,44 Meter? „Das ist keine Weite, mit der ich mich hätte rühmen können“, sagte Nadine Müller, deren persönlicher Rekord bei 68,89 Metern steht. Mit 60,44 Metern als Saisonbestleistung reiste sie vor zwei Wochen zur deutschen Meisterschaft in Nürnberg an. Mit 62,73 Metern beendete sie ihren Wettkampf. Silber. Nur acht Zentimeter vor Anna Rüh vom SC Magdeburg. Die Nominierung für die EM. „Der Knoten war geplatzt“, betonte Müller.

Und dieser Knoten platzte nach einer schwierigen Vorbereitung. Der Rücken machte ihr zu schaffen, die Bandscheibe zwickte, sie ließ das Trainingslager in Portugal aus, arbeitete intensiv mit der medizinischen Abteilung in Halle an der Genesung. „Zwei Wochen hat sich das hingezogen“, berichtete die 32-Jährige. Kein Krafttraining, keine Würfe. Und das kurz vor dem Einstieg in die Wettkampfsaison. „Ich habe gemerkt, dass mir die Würfe gefehlt haben.“

Auch kurz vor der EM ist noch nicht alles perfekt. „Wir haben aber den Punkt gefunden, an dem wir ansetzen müssen.“ Es hakt noch etwas im Bewegungsablauf. „Wir haben noch ein bisschen Zeit“, blickte Müller auf ihren Vorkampf am kommenden Donnerstag im Olympiastadion voraus. Das Finale steigt am Sonnabend.

Zwei, drei Meter will Müller, 1,93 Meter groß, dort weiter werfen als bei den nationalen Titelkämpfen. Für sie ist es das zweite große Event in Berlin. „Bei der Weltmeisterschaft 2009 habe ich meinen Einstand in der Weltspitze gegeben. Wenn ich mir die Videos von damals anschaue, bekomme ich immer noch Gänsehaut“, sagte sie. Mit 62,04 Metern wurde sie damals Sechste. Es folgten WM-Silber in Daegu 2011, EM-Silber in Helsinki und der vierte Platz bei Olympia 2012, WM-Bronze in Peking 2015 und Rang sechs bei Olympia 2016. Es folgten aber auch die „ersten Zipperlein“, berichtete sie. Das Knie 2014, das Sprunggelenk 2017, zuletzt die Bandscheibe. Trotzdem steht ihr Plan bis zu den Sommerspielen in Tokio. „So lange der Körper es mitmacht und ich wettkampffähig bin, werde ich bis 2020 auf jeden Fall durchziehen, dann bin ich auch noch in einem vertretbaren Alter“, sagte Müller lächelnd. „Danach werde ich von Jahr zu Jahr neu entscheiden.“ Eines möchte sie jedenfalls nicht: Kämpfen, um sich in ein Finale zu zittern.

Zwei, drei Meter weiter bedeuten durchaus eine Medaille bei der EM. Nadine Müller fährt als Vierte der europäischen Rangliste nach Berlin. Mit Claudine Vita (Neubrandenburg/65,15) und Shanice Kraft (Mannheim/62,91) liegen zwei Deutsche vor ihr. Sandra Perkovic (Kroatien) steht mit 71,38 Metern an der Spitze. Der Weg zum EM-Titel geht allein über die 28-jährige, zweimalige Olympiasiegerin. Ein äußerst beschwerlicher Weg. Müller: „Sie ärgert sich sogar über 68 Meter. Das ist eine ganz andere Sphäre, in der sie wirft.“

„Am besten, Du setzt Dich hin, Cindy“, sagte ein Journalist, bevor Cindy Roleder am Mittwoch dieser Woche im Konferenzraum am Bundesleistungsstützpunkt Kienbaum Fragen beantwortete. Als die 28-Jährige ihren Platz gefunden hatte, umkreiste sie eine Schar von Reportern, Diktiergeräte wanderten zu ihrem Mund. Und eine der ersten Fragen lautete dann: „Cindy, hast Du deinen Fehlstart noch im Kopf?“

Gemeint war der Fehlstart bei den deutschen Meisterschaften in Nürnberg vor zwei Wochen, der sie disqualifizierte. Es war der zweite Fehlstart ihrer Karriere seit einem Wettkampf in Mannheim, am Tag nach ihrem Abiball. „Ich denke, man hat gesehen, dass ich damit cool umgegangen bin, es ist abgehakt. Dagegen hat selbst ein Usain Bolt hatte schon einen Fehlstart in einem WM-Finale, das ist wirklich eine Katastrophe“, spielte die Hürdensprinterin auf den Fauxpas des Superstars aus Jamaika über die 100 Meter in Daegu 2011 an.

Ein Fehlstart soll ihr also bei der EM in Berlin in Leichtathletik-Gottes Namen nicht passieren. Sie will ins Finale am nächsten Freitag. Sie ist Siebte der europäischen Rangliste 2018 mit 12,81 Sekunden. Schneller war unter anderen ihre Teamgefährtin Pamela Dutkiewicz (Wattenscheid/12,67) und die Weißrussin Alina Talay mit 12,41 Sekunden. Das ist die Region, in die auch Roleder, die Titelverteidigerin und Olympia-Fünfte von Rio, gerne vordringen möchte. Ihre Bestzeit steht seit 2015, seit ihrem Silbergewinn bei der WM in Peking, bei 12,59 Sekunden. „Alina kenne ich schon sehr, sehr lange. Einmal war sie, einmal war ich vorne.“ Zeiten hin, Zeiten her: „Das Finale hat seine eigenen Gesetze. Ich möchte mich auch nicht auf andere konzentrieren, sondern einfach schnell laufen.“

Das Finale könnte auch eine Rückkehr zum Glück werden, dass sie bis zum vergangenen Jahr über die Hürden getragen hatte. Die 1,78 Meter große Roleder laborierte an einer Ischiasentzündung, sie verpasste deshalb die WM in London. Das hat sie verändert. „Ich bin vorsichtiger geworden, was meinen Körper betrifft, gehe schneller zum Arzt, habe die Physiotherapie extrem angezogen“, sagte sie zum einen. Zum anderen: „Ich habe aber auch gemerkt, dass andere Dinge im Leben wichtig sind.“ Gerade die Familie, die sie unterstützt hat.

Sie erklärte damals ebenfalls: „Ich werde 2018 stärker zurückkommen.“ Stand vom Mittwoch: „Die Form kommt, die Spritzigkeit kommt, die Läufe werden schneller.“

Es gibt viel Positives, das sich über Kienbaum sagen lässt. Kein Handyempfang, kurze Wege zu den Sportstätten, Physiotherapeuten für alle, Badesee. „Wir haben keine Ablenkung, können uns optimal regenerieren“, sagte Sara Gambetta und ergänzte lächelnd: „Wir werden bekocht.“

Die 25-Jährige mag Omas Küche und kocht „auch gerne deftig, aber im Sommer gibt es bei mir vor allem Salat“, erklärte die Siebte der EM in Amsterdam vor zwei Jahren. Gambetta stand auch bei den Sommerspielen 2016 im Ring und fuhr 2017 als deutsche Meisterin zur Weltmeisterschaft nach London. Bei beiden Ereignissen verpasste sie den Endkampf. Und gerade in London war sie über die „vielen technischen Fehler“ in der Qualifikation enttäuscht.

Also hat sie mit René Sack, Bundes- und Hallenser Trainer, „das Trainingssystem etwas umgestellt. Zwei, drei Wochen lang liegt der Fokus auf einem Aspekt“, erklärte sie. Sie hat ein gutes Gefühl für Berlin. „Ich bin guter Dinge, dass es funktioniert.“ Und dies nach einem „Auf und Ab in dieser Saison“, an dem eine Kapselreizung im Finger ihrer rechten Wurfhand schuld ist. „Das stört sehr beim Kugelstoßen, weil du immer einen Schmerz erwartest. Aber ich kann den Gedanken inzwischen unterbinden.“

Mit 18,08 Metern als Saisonbestleistung tritt sie in Berlin an, damit ist sie 15. der europäischen Rangliste 2018, die von Christina Schwanitz (LV Erzgebirge/20,06) angeführt wird. Ihr persönlicher Rekord liegt bei 18,46 Metern. Gambetta, 1,83 Meter groß, macht sich jedenfalls keinen Druck vor dem Vorkampf am Dienstag (Finale am Mittwoch). „Klar ist eine Heim-EM etwas Besonderes, aber man wird im Kopf fest, wenn man zu viel Gewicht reinlegt. Deshalb nehme ich die EM wie jeden anderen Wettkampf auch.“