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Tischtennis Boll: "Stärker besetzt als bei Olympia"

Vor den German Open in Magdeburg spricht Timo Boll über die Elbestadt, den deutschen Nachwuchs und die Belastung im Tischtennis.

Von Dennis Uhlemann 24.01.2020, 23:01

Herr Boll, zu den vielen Turnieren in diesem Jahr zählen auch die German Open in Magdeburg. Wie wichtig schätzen Sie diesen Termin ein?
Timo Boll:
Es ist ein Platinum-Event, bei dem es viele Weltranglistenpunkte zu holen gibt. Dazu kommt, dass ein Heimturnier immer etwas Besonderes ist. Gerade in dieser Besetzung. Die German Open sind deutlich stärker besetzt als das Olympische Turnier. Weil es einfach viel mehr Teilnehmer gibt, die Top-Nationen mehr Spieler melden dürfen. Dadurch ist es deutlich schwieriger, die German Open zu gewinnen als die Olympischen Spiele.

Die German Open waren ja mehrfach in Magdeburg zu Gast, auch Sie sind dementsprechend oft hier. Was verbinden Sie mit dem Standort Magdeburg? Was haben Sie für Erinnerungen?
Ich habe schon oft in Magdeburg gespielt und harte Matches erlebt. Es war immer viel Euphorie vorhanden und auch eine tolle Stimmung. Es hat immer eine Menge Spaß gemacht. Es freut mich, dass die German Open mal wieder in Magdeburg zu Gast sind.

Hatten Sie auch schon einmal die Möglichkeit, die Stadt näher kennenzulernen?
Klar bin ich durch die Stadt gefahren, aber meistens hat man ja mehrere Spiele pro Tag und damit keine Zeit, sich die Stadt anzuschauen. Das ist schade an dem Beruf. Man kommt viel herum, aber sieht eigentlich nichts von der Welt. Außer Hotels, Flughäfen und Sportarenen. Aber man kann den Sport ja nicht ewig ausüben. Von daher habe ich ja nach der Karriere noch Zeit, um die Welt zu erkunden.

Die German Open konnten Sie schon viermal gewinnen, in Magdeburg aber noch nicht. Ist die Stadt vielleicht nicht das beste Pflaster für Sie?
Das würde ich nicht unbedingt sagen. Ich hatte auch schon Turniere hier, die gut gelaufen sind, zum Beispiel der World Cup 2010. Da war ich Dritter. Im Spiel um Platz drei gegen Jun Mizutani ging ich damals schon auf dem Zahnfleisch, aber die Zuschauer haben mich zum Sieg getragen.

Ist Ihnen auch das Finale der German Open 2017 im Kopf geblieben, als sie knapp an Dimitrij Ovtcharov scheiterten?
Auf jeden Fall, da hatten wir beide ein tolles Jahr. Natürlich war das damals einer der Höhepunkte. Wir haben in dem Jahr oft gegeneinander gespielt und „Dima“ hat öfters gewonnen als ich. In Magdeburg war es ein Topturnier. Wir haben beide Chinesen geschlagen. Es wäre schön, wenn es nochmal so laufen würde.

Sie haben schon das euphorische Publikum angesprochen. Magdeburg ist, was solche Events angeht, sicherlich ein guter Standort. Trotzdem besteht das Dilemma, dass es keine Profivereine gibt und im Nachwuchs Luft nach oben besteht. Können Sie einschätzen, woran das liegt?
Schwer zu sagen. Es gibt natürlich im Sport immer Hochburgen. Im Handball ist es Norddeutschland. Im Tischtennis ist der Südwesten sehr stark. Aber ich glaube, wenn man gutes Vereinstraining macht, spricht sich das herum. Es gibt ja auch Mund-zu-Mund-Propaganda bei den Kindern. Es ist wichtig, Training anzubieten, das Spaß macht. Wenn es dem einen Spaß macht, dann vielleicht auch dem nächsten. So sind ruckzuck Jugendteams aufgebaut. Aber entscheidend sind der Trainer und der Jugendleiter. Wenn diese engagiert sind, wird man auch automatisch Talente finden.

Bei Ihnen war das ähnlich. Ihre Anfänge sahen ja so aus, dass auf Sie als 14-jähriges Toptalent ein Team zugeschnitten wurde. Sie wechselten zum Zweitligisten TTV Gönnern, der seine Mannschaft vertraglich dazu verpflichtete, ins 170 Kilometer entfernte Höchst, ihren Heimatort, zu ziehen. Damit Sie im Training in Ihrem Umfeld bleiben konnten. Wie haben Sie das damals erlebt und ist das heutzutage noch vorstellbar?
Das war schon ein einmaliges Modell, das da um mich herum gebaut wurde. Das wäre für einen Fußballverein unmöglich gewesen. Es war kaum vorstellbar, die anderen Teamkollegen in einem anderen Ort wohnen zu lassen. Und das alles nur wegen eines jungen Spielers, eines Talents, von dem man gar nicht wissen konnte, wie weit es kommt. Für mich war es sehr schön, weiterhin im Elternhaus aufwachsen und normal zur Schule gehen zu können, aber trotzdem Top-Bedingungen zu haben. Das war sehr wichtig.

Wie sehen Sie den Tischtennis-Nachwuchs in Deutschland heute aufgestellt?
Mittlerweile ist es schwierig geworden, gerade im Schüler- und Jugendbereich weit in die Spitze vorzudringen und sich dort zu etablieren. Ich glaube sogar, dass die Jugendlichen nicht schlechter sind als ich damals, aber der Sport hat sich einfach so weiterentwickelt, dass der Abstand zu den Erwachsenen viel größer geworden ist. Da den letzten Schritt zu machen, ist sehr schwierig. Gerade angesichts der Asiaten, die teilweise schon mit acht oder neun Jahren Profis sind und schon gar nicht mehr zur Schule gehen und stattdessen acht bis zehn Stunden am Tag trainieren. Da ist der Abstand im Vergleich zu den europäischen Jugendlichen schon riesig. Besonders in einer Sportart wie Tischtennis, die sehr technisch ist.

In jungen Jahren lernt man dabei schneller und muss deshalb sehr früh anfangen. Mit dem deutschen Sportsystem ist es schwierig dagegenzuhalten. Spezielle Talente, die gesondert gefördert werden, haben eine kleine Chance. Aber diese Talente herauszupicken, ist verdammt schwierig.

Sie sind spielerisch, aber auch in Ihrem bescheidenen Verhalten für viele junge Spieler ein Vorbild. Welche Tipps würden Sie den heutigen Talenten mit auf den Weg geben?
Es ist einfach wichtig, Freude am Sport zu haben. Und trotzdem diszipliniert und konzentriert zu sein. Und natürlich viel zu trainieren, das ist gar nicht so einfach. Es ist schon wichtig, den Spaß daran zu behalten. Das sind die Grundvoraussetzungen. Es geht auch darum, kreativ – fast schon alternativ – zu spielen und sich darüber anzubieten.

Sie waren im vergangenen Jahr allein 207 Tage für das Tischtennis unterwegs, betreiben dabei Kontinent-Hopping, wie Sie es selbst bezeichnet haben. Sind Sie mit Blick auf die vielen Termine in diesem Jahr etwas besorgt, was die Belastung angeht?
Das war eigentlich immer so. Ich habe nur gedacht, dass es irgendwann mal weniger wird in meinem fortgeschrittenen Alter (lacht). Aber die Belastung ist immer noch sehr hoch. Ich habe es selbst nicht geschafft, das zu reduzieren. Über die 207 Tage war ich selbst überrascht. Ich bin nur selten zu Hause. Aber es macht mir natürlich immer noch viel Spaß: diese Routine, die Reiserei, das Zusammenleben mit dem Team, aber auch individuell.

Und es ist ja sicherlich auch gut, so viel Spielpraxis wie möglich zu sammeln in diesem Olympia-Jahr. Oder?
Genau, ich versuche weiterhin viele Turniere zu spielen und aktiv zu sein. Im Training versuche ich, dafür mehr zu regenerieren, clever und smart zu trainieren und keine Körner unnötig zu verpulvern. Ich muss meine Energie sinnvoll einsetzen.

Sie bringen ja noch viel Optimismus mit. Was haben Sie sich für Ziele gesteckt für das Jahr?
Das letzte Jahr hat mir eine Menge Freude bereitet, weil ich wenige Verletzungen hatte und gespürt habe, dass mein Level gut ist und ich konkurrenzfähig bin. Auch gegen die Besten der Welt, die Top-Chinesen. Das macht mir Mut für das neue Jahr. Gerade weil es ein olympisches Jahr ist. Ich bin voller Vorfreude. Ich hoffe, dass ich meine gute Form bis dahin halten kann.

Im Kindesalter haben Sie auch erfolgreich Fußball gespielt, in einer Nachwuchs-Partie sogar einmal neun Tore erzielt. Wie froh sind Sie, trotzdem Tischtennis-Profi geworden zu sein und nicht den anderen Karriereweg eingeschlagen zu haben?
Ich weiß ja gar nicht, wie weit ich im Fußball gekommen wäre. Wahrscheinlich bei Weitem nicht so weit wie im Tischtennis, auch wenn ich im Fußball sehr talentiert war. Doch im Tischtennis hatte ich das perfekte Umfeld, um Weltklasse-Spieler zu werden. Und bin super zufrieden, wie alles gelaufen ist. Ich bin auch keiner, der immer nur neidisch auf die Fußballer schaut, sondern blicke auch gern mal zu anderen Sportarten und sehe, dass die Sportler dort noch mehr zu kämpfen haben und es uns Tischtennis-Spielern sehr gut geht. Von daher bin ich sehr glücklich, diesen Beruf ausüben zu dürfen. Und das über so viele Jahre.