1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Deutsche Muttersprache macht vielen Erwachsenen Probleme

Lese- und Schreibschwäche Deutsche Muttersprache macht vielen Erwachsenen Probleme

Auch einfache deutsche Texte stellen für Millionen Menschen in Deutschland eine unüberwindbare Hürde dar. Den Alltag bewältigen können sie oft nur schwer. Betroffen sind bei weitem nicht nur Migranten.

07.05.2019, 16:24

Berlin (dpa) - 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht richtig Deutsch lesen und schreiben. Von den Betroffenen haben mit 52,6 Prozent mehr als die Hälfte Deutsch als Muttersprache.

Das geht aus einer vom Bundesbildungsministerium geförderten Studie hervor. Die Studie "LEO 2018 - Leben mit geringer Literalität" soll an diesem Dienstag in Berlin vorgestellt werden.

47,4 Prozent haben einen Migrationshintergrund und als erstes eine andere Sprache gelernt als Deutsch. Von diesen 2,9 Millionen Menschen sind knapp 78 Prozent nach eigenen Angaben in der Lage, in ihrer Muttersprache anspruchsvolle Texte zu lesen und zu schreiben.

Geringe Lese- und Schreibfähigkeiten

Insgesamt haben 7,3 Prozent aller Erwachsenen mit Deutsch als erster Sprache laut der Studie nur geringe Lese- und Schreibfähigkeiten. Von den Personen mit einer anderen Herkunftssprache sind es aber mit 42,6 Prozent naheliegenderweise anteilsmäßig weit mehr, die schlecht Deutsch lesen und schreiben können.

2010 hatten insgesamt noch 7,5 Millionen Menschen nur geringe Lese- und Schreibfähigkeiten - also etwa 1,3 Millionen mehr. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) nannte den Rückgang einen "Erfolg für unser Bildungssystem", wie sie sagte.

Die Betroffenen können einzelne Sätze lesen oder schreiben, aber keine zusammenhängenden Texte verstehen, auch keine kürzeren. Die Anteile der schriftsprachlich Geringqualifizierten bei Menschen jeweils mit Deutsch und mit anderen Sprachen als Muttersprache hätten sich gegenüber der Vorgängerstudie nicht deutlich geändert.

Viele Betroffene ohne Schulabschluss

62,3 Prozent der Betroffenen sind laut der Studie trotz ihrer Lese- und Schreibschwäche erwerbstätig. Mehr als jeder Fünfte hat keinen Schulabschluss, weitere zwei Fünftel nur einen geringen.

Auch bei jenen Erwachsenen, die zwar zusammenhängende Texte verstehen, aber dennoch nicht gut lesen und nur sehr fehlerhaft schreiben können, gab es einen Fortschritt. Hier verringerte sich die Anzahl von 13,4 Millionen im Jahr 2011 auf nun 10,6 Millionen Menschen.

Enttabuisierung von Lese- und Schreibschwäche und mehr und bessere Angebote zum Lernen spielen laut Ministerium beim Rückgang der Betroffenenzahlen eine Rolle. Studienautorin Anke Grotlüschen sagte der dpa zudem, die Fortschritte gingen mit besseren Schulabschlüssen und einer höheren Erwerbsbeteiligung einher.

Für die Studie wurden im Sommer 2018 rund 7200 deutschsprechende Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt. Für die Befragung mussten die Menschen ausreichend Deutsch sprechen, um einer etwa einstündigen Befragung folgen zu können.

Karliczek sagte trotz der Fortschritte: "Politik und Gesellschaft dürfen aber nicht nachlassen." Gerade Erwachsenen koste es oft viel Überwindung, sich dem Problem der Lese- und Schreibschwierigkeiten zu stellen. Stärker beachtet werden müssten Menschen mit Migrationshintergrund.

Hilfsmittel für Menschen mit geringer Lese- und Schreibkenntnis

Wer als Erwachsener nicht richtig Lesen und Schreiben kann, steht im Alltag oft vor erheblichen Problemen. Egal, ob es darum geht, den richtigen Bahnsteig herauszufinden, oder darum, Formulare im Job ordentlich auszufüllen. Verschiedene Hilfsmittel und Angebote können Betroffenen den Alltag und den Weg zu besseren Lese- und Schreibkenntnissen erleichtern.

- Smartphones: Mit der Funktion Text-to-speech etwa kann das Handy Texte vorlesen, mit der Spracherkennung übernimmt es das Tippen. "Für viele funktionale Analphabeten ist das eine Erleichterung", sagt Sandra Schierenberg, Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung.

- Einfache und leichte Sprache: Auf vielen Webseiten werden Texte inzwischen in leichter Sprache angeboten. Diese Texte würden für Menschen mit geistiger Behinderung geschrieben, erklärt Schierenberg. Daher seien sie für Menschen, die Probleme beim Lesen haben, nicht unbedingt einfacher zu verstehen. Einfache Sprache dagegen ist eine vereinfachte Version der Standardsprache. "Da gibt es zum Beispiel Romane, die gut zu lesen sind", erklärt Schierenberg.

- Bezugspersonen oder Freiwilligendienste: Der Weg zum Amt oder zum Arzt kann zur Herausforderung werden, wenn man keine Formulare lesen oder ausfüllen kann. "Hier haben Betroffene oft eine Bezugsperson, die sie begleitet", sagt Schierenberg. Außerdem gäbe es mancherorts Freiwilligendienste, die eine solche Begleitung anbieten. Das sei aber jeweils im Vorhinein zu prüfen.

- Kurse: Volkshochschulen und andere Bildungsanbieter ermöglichen es funktionalen Analphabeten, ihre Lese- und Schreibfähigkeiten zu verbessern. Der Unterricht findet in kleinen Gruppen mit anderen Betroffenen statt. Die Gruppen bleiben anonym.

- Webseiten: Betroffene finden auch im Netz Angebote, die beim Lesen- und Schreibenlernen unterstützen können. Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung verweist zum Beispiel auf das Lernportal des Deutschen Volkshochschulverbands unter vhs-lernportal.de.

- Telefonische Beratung: Kostenlose und anonyme Beratung bietet der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung über das Alfa-Telefonunter der Nummer 0800 - 53 33 44 55.

Alpha-Dekade-Konferenz 2019