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Listenstreit AfD: Was hat Sachsens Verfassungsgerichtshof entschieden?

War die Kandidatenaufstellung der AfD für die Landtagswahl in Sachsen rechtens und wie viele Kandidaten dürfen nun auf der Landesliste stehen? Am Freitag hat der Verfassungsgerichtshof in Leipzig seine Entscheidung verkündet.

Von Theresa Held und Jörg Schurig, dpa 16.08.2019, 17:28

Leipzig (dpa) - War die Entscheidung des sächsischen Landeswahlausschusses rechtens, die Kandidatenliste der AfD um etwa zwei Drittel einzukürzen?

Die Antwort steht fest: Die Plätze 19 bis 30 der ursprünglich 61 Plätze umfassenden Landesliste hätte der Wahlausschuss nicht streichen dürfen, den Rest wegen formaler Mängel allerdings schon. Damit bestätigten die Richter eine Entscheidung, die schon in einem Eilverfahren am 25. Juli erging.

Worüber hat der sächsische Verfassungsgerichtshof entschieden?

Das neunköpfige Gericht musste urteilen, ob die Entscheidung des Landeswahlausschusses von Anfang Juli rechtens war, nur 18 Kandidaten der AfD-Landesliste zur Wahl zuzulassen. Gegen den Beschluss des Gremiums hatten sich der AfD-Landesverband sowie acht Kandidaten, die selbst von der Kürzung betroffen waren, gewehrt. Das erfolgte mit Verfassungsbeschwerden und Eilanträgen. Allerdings ging es bereits in der mündlichen Verhandlung nur noch um 41 gestrichene Bewerber, nicht wie zunächst um 43. Denn für die Listenplätze 54 und 60 fehlten nach Ansicht der Leipziger Richter ohnehin die formalen Voraussetzungen.

Warum genehmigte der Landeswahlausschuss die Liste nur bis Platz 18?

Der Landeswahlausschuss hatte die ursprünglich 61 Bewerber umfassende Liste Anfang Juli aus formalen Gründen auf 18 Kandidaten gekürzt. Dabei wurde vor allem moniert, dass die AfD auf zwei getrennten Parteitagen mit zwei verschiedenen Versammlungsleitern ihre Kandidaten aufstellte und das anfangs beschlossene Wahlverfahren später änderte. Die ersten 30 Bewerber wurden per Einzelwahl bestimmt, der Rest in einem Blockwahlverfahren. Damit sah der Landeswahlausschuss die Chancengleichheit nicht gewährleistet. Die AfD legte dagegen Verfassungsbeschwerden ein.

Wie entschied das Gericht zu den Eilanträgen und in der Hauptsache?

Das Gericht ließ am 25. Juli vorläufig auch die Listenplätze 19 bis 30 zur Landtagswahl zu. Bei der Verkündung des Urteils zu den Eilanträgen fand die Vorsitzende Richterin deutliche Worte: "Die Entscheidung des Landeswahlausschusses zur Streichung dieser Listenplätze ist nach vorläufiger Bewertung mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig." Das bekräftigen die Richter am Freitag auch im Hauptsacheverfahren. "Die Entscheidung des Landeswahlausschusses zur Streichung dieser Listenplätze ist nicht mit den sächsischen Wahlgesetzen vereinbar und verletzt die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Chancengleichheit bei der Teilnahme an der Landtagswahl", hieß es. Die Streichung der Listenplätze 31 bis 61 sei hingegen vertretbar und Verfassungsbeschwerden dagegen nicht zulässig.

Was bedeutete die vorläufige Zulassung der Listenplätze 19 bis 30 für das Urteil am Freitag?

Der Verfassungsgerichtshof war im eigentlichen Verfahren nicht an die Entscheidung zu den Eilanträgen gebunden. Dennoch hatte die erste, vorläufige Entscheidung "Signalwirkung", wie eine Sprecherin des Gerichts vorab sagte.

Welche Urteils-Szenarien waren denkbar?

Der VGH hätte die Verfassungsbeschwerde immer noch abweisen können. Damit hätten trotz der ersten Entscheidung nur 18 Kandidaten der Landesliste antreten dürfen. Als wahrscheinlicher galt aber, dass das Gericht die Entscheidung vom 25. Juli bestätigt und 30 AfD-Listenkandidaten als rechtmäßig gewählt anerkennt. Eine weitere Option wäre gewesen, den Fall zurück an den Landeswahlausschuss zu verweisen. Dieser hätten dann erneut entscheiden müssen. Auch eine Anerkennung der restlichen AfD-Listenplätze wäre eine Möglichkeit gewesen.

Ist das Urteil des Gerichts abschließend?

Vor den Wahlen ist theoretisch noch eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe denkbar, wenn Beteiligte ihre Prozessgrundrechte verletzt sehen. Allerdings hat das Gericht eine Beschwerde der AfD in dem Fall bereits abgewiesen, die Erfolgsaussichten währen wohl eher gering. Am Freitag erklärte die AfD bereits ihren Verzicht auf einen nochmaligen Gang nach Karlsruhe. Nach den Landtagswahlen besteht die Möglichkeit auf ein Wahlprüfungsverfahren. Davon will die AfD Gebrauch machen. Sollte die Überprüfung in diesem Gremium Fehler ergeben, könnte das in letzter Konsequenz sogar zu einer Neuwahl führen. Bei bisherigen Beschweren vorangegangener Landtagswahlen war das aber noch nicht der Fall.

Auf wie viele Sitze im Landtag könnte die AfD kommen?

Die sächsische AfD lag in den jüngsten Wahlumfragen konstant bei 25 oder 26 Prozent der Zweitstimmen. Wie viele Mandate das am Ende ausmachen würde, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die FDP den Sprung als zusätzliche Partei in den Landtag schafft und die Karten somit neu mischt. In erster Linie kommt es aber auf das Ergebnis bei den Direktstimmen an, die zuerst zählen. Sollte die AfD beispielsweise 35 Direktmandate gewinnen, dann wäre sie auch mit 35 Abgeordneten im Parlament. Die Begrenzung der Listenplätze würde dann gar keine Rolle mehr spielen.

Der sächsische Landtag hat insgesamt 120 Sitze. Durch Ausgleichs- und Überhangmandate gab es in der zu Ende gehenden Legislaturperiode 126 Abgeordnete. Sie verteilen sich wie folgt: CDU 59, Linke 27, SPD 18, AfD 9, Grüne 8, fraktionslos 5. Die CDU kam bei der Wahl 2014 auf 39,4 Prozent, die Linke auf 18,9.

Ist es üblich, dass Gerichte bei der Wahlorganisation mitsprechen?

Bereits die erste Entscheidung des VGH rückt nach Einschätzung eines Verfassungsrechtlers von der bisherigen Rechtsprechung ab. Ein Gericht habe in Sachsen bislang nicht vor der Wahl eingreifen können, sagte Jochen Rozek von der Universität Leipzig. Die Entscheidung des Gerichts führe zu einem Zwei-Klassen-Rechtsschutz, kritisierte er. Denn in besonders schweren Fällen könne man nun vor der Wahl juristisch gegen die Entscheidungen des Landeswahlausschusses vorgehen. Weniger schwere Fälle würden hingegen weiterhin auf das Wahlprüfungsverfahren verwiesen. Nach der Entscheidung des Landeswahlausschusses waren in Sachsen Forderungen nach einer Reform des Wahlrechtes laut geworden.