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Analyse Bomben gegen den reichen Nachbarn: Was treibt Jemens Huthis?

Der bitterarme Jemen versinkt seit Jahren in einem Bürgerkrieg. Millionen Menschen müssen leiden. Bei saudischen Luftangriffen sterben immer wieder Zivilisten. Davon profitieren die Rebellen.

Von Jan Kuhlmann, dpa 18.09.2019, 17:02

Dschidda/Sanaa (dpa) - Der Jemen war schon früher ein Land, in dem ausländische Mächte ein Fiasko erleben konnten. In den 1960er Jahren schickte der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser Truppen in den Süden der Arabischen Halbinsel, um Putschisten zu unterstützen. Der Einsatz endete mit einer Niederlage, die als Ägyptens "Vietnam" gilt.

Rund ein halbes Jahrhundert später fliegen saudi-arabische Jets regelmäßig Luftangriffe gegen Jemens Huthi-Rebellen. Doch auch für das Königshaus läuft der Einsatz ganz und gar nicht in seinem Sinne. Im Gegenteil: Die Bombardierung der saudischen Ölanlagen am Wochenende hat den Saudis schlagartig vor Augen geführt, welch böse Folgen die Intervention für das Land hat.

Auch wenn ein Militärsprecher in Riad erklärte, dass die eingesetzten Raketen und Drohnen nicht vom Jemen aus gestartet worden seien, zeigt das Bekenntnis der Huthis zu den Angriffen die Verbindung zum Bürgerkrieg im Nachbarland - was auch am Mittwoch auf der Agenda eines Treffens des mächtigen saudische Kronprinzen Mohammed bin Salman mit US-Außenminister Mike Pompeo gestanden haben dürfte.

Mit dem Militäreinsatz im Jemen will das reiche Saudi-Arabien die Huthi-Rebellen bekämpfen, die 2014 große Teile des bittarmen Nachbarlandes überrannten und auch die Hauptstadt Sanaa unter ihre Kontrolle brachten. Die Huthis stammen aus dem Norden des Jemens. Lange sahen sie sich an den Rand gedrängt. Der frühere Langzeitherrscher Ali Abdullah Saleh bekämpfte sie mit Gewalt.

Als nach dessen Sturz im Zuge der arabischen Aufstände 2011 eine nationale Dialogkonferenz den Jemen in eine Föderation mit sechs Regionen verwandeln wollte, begehrten die Huthis auf, nicht zuletzt weil sie mit dem ihnen zugeteilten Gebiet ohne Zugang zum Meer unzufrieden waren. Im Bund mit anderen Gegnern des neuen Staatsmodells - unter ihnen auch der gestürzte Saleh - stießen sie bis nach Sanaa vor. Der international anerkannte Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi floh in die saudische Hauptstadt Riad.

Für die saudische Führung schien damals eines ihrer schlimmsten Bedrohungsszenarien wahr zu werden. Das sunnitische Königreich sieht in den Rebellen enge Verbündete seines schiitischen Erzfeindes Iran. Die Huthis gehören der Glaubensgemeinschaft der Zaiditen an, einem Zweig des schiitischen Islams. Plötzlich stand der ärgste Rivale nach saudischer Lesart direkt an der eigenen Grenze.

Als Reaktion flogen im März 2015 saudische Jets an der Spitze einer Koalition erstmals Angriffe gegen die Huthis, offiziell auf Anfrage Hadis. Die saudische Propaganda berichtete damals rund um die Uhr über die "Herstellung der legitimen Herrschaft", wie Riads offizieller Kriegsslogan heißt.

Nach Einschätzung von Beobachtern bauten die Rebellen jedoch erst als Reaktion auf Riads Bombardierungen ihre Drähte nach Teheran stark aus. Die Huthis hätten sich vor der Intervention nicht gegen Saudi-Arabien gewandt, sagt der Autor Said AlDailami, dessen Buch "Jemen - Der vergessene Krieg" im Oktober auf den Markt kommt. "Die Saudis haben sich mit der Intervention ihren Feind erst geschaffen."

Zurückdrängen konnten die Saudis die Huthis bislang kaum. Die Rebellen haben vielmehr ihre Herrschaft in Sanaa gefestigt, während der international anerkannte Präsident nur noch geringen Rückhalt im Jemen besitzt und dort als Herrscher verspottet wird, der aus einem Fünf-Sterne-Hotel in Riad regiert, finanziert von Saudi-Arabien.

Mit iranischer Hilfe habe die Huthis auch ihr Waffenarsenal ausgebaut. Vor einigen Monaten präsentierten sie in einem Video ihre neueste Militärprodukte, die sie feierlich enthüllten. Zu sehen war etwa eine Drohne mit dem Namen "Samad-3", die Entfernungen von bis zu 1500 Kilometer zurücklegen soll - und damit weit auf saudisches Gebiet vordringen kann. UN-Experten kamen schon vorher zu dem Schluss, dass die Huthi-Drohnen praktisch baugleich mit iranischen Modellen sind. Regelmäßig greifen die Rebellen Saudi-Arabien an.

Die Huthis sehen die Angriffe als Vergeltung für die saudische "Aggressionen" im Jemen. Sie wollen solange weiter Drohnen und Raketen nach Saudi-Arabien schicken, bis das Königreich seinen Einsatz im Bürgerkriegsland beendet. "Wir versichern dem saudischen Regime, dass unser langer Arm jeden von uns gewünschten Ort zum von uns bestimmten Zeitpunkt erreichen kann", drohte ein Huthi-Sprecher.

Ein schnelles Ende des Konflikts erwartet Jemen-Experte AlDailami jedoch nicht. "Der Krieg wird noch lange dauern, weil alle Konfliktparteien gut damit leben können", sagt er. Alle Bemühungen des UN-Sondervermittlers Martin Griffiths, einen politischen Prozess einzuleiten, trugen bislang kaum greifbare Früchte.

Opfer des Konflikts sind die Jemeniten, die unter der Gewalt leiden. Bei den saudischen Luftangriffen sterben immer wieder viele Zivilisten. Nach fünf Jahren Bürgerkrieg müssen Hunderttausende Menschen hungern. Die UN warfen den Huthis vor, Hilfsgüter für Notleidende zu blockieren. Rund 24 Millionen Menschen sind den Vereinten Nationen zufolge auf humanitäre Hilfe angewiesen - rund 80 Prozent der Bevölkerung.

Der Jemen erlebt, so die UN, die größte humanitäre Krise der Neuzeit. Hilfsorganisationen klagen aber, Geberländer wie Saudi-Arabien hätten in diesem Jahr ihre finanziellen Zusagen noch nicht erfüllt - wichtige Hilfsprogramme mussten deshalb gestoppt werden.

UN-Bericht zur humanitären Lage im Jemen

UN-Nothilfebüro Ocha zum Jemen

Video der Huthis zu neuen Waffen

Buch von Said AlDailami

Analyse SWP zum Vormarsch der Huthis

European Council on Foreign Relations zum Jemen-Konflikt