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Proteste nach der Wahl Die Schockwellen aus Thüringen und die Folgen

Nach der Wahl des Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag gibt es viele Verlierer. Vorweg CDU-Landeschef Mohring in Erfurt, aber auch dessen Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer in Berlin. Auch die FDP-Spitze steht unter Druck. Freuen kann sich die AfD.

Von Theresa Münch, Stefan Hantzschmann und Ruppert Mayr, dpa 06.02.2020, 04:44

Berlin/Erfurt (dpa) - Selten sind in Deutschland Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Wahl eines Ministerpräsidenten zu protestieren.

Am Mittwochabend jedoch, nur wenige Stunden, nachdem sich der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von CDU und AfD zum neuen Thüringer Regierungschef wählen ließ, machten deutschlandweit mehrere tausend Menschen ihrem Ärger Luft. Vor allem CDU und FDP geraten unter Druck - und mit der CDU auch die große Koalition im Bund.

BUND:

CDU: War die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nicht deutlich genug, als sie den Thüringer Fraktionschef Mike Mohring vor einer Zusammenarbeit mit der rechten AfD warnte? Kaum dass sie wieder Oberwasser in der Partei bekommen hat, nachdem sie auf dem Leipziger Parteitag im November erfolgreich die Vertrauensfrage gestellt hatte, werden nun wieder Fragen laut, ob sie die richtige für die Parteiführung ist. Ganz unverhohlen wirft die SPD-Spitze, vor kurzem noch selbst unter Druck, der CDU-Chefin vor, die eigene Mannschaft nicht im Griff zu haben. Was in Thüringen passiert sei, sei "keine regionale Angelegenheit", sagte Norbert Walter-Borjans dem ZDF. Die CDU müsse jetzt Konsequenzen ziehen statt nur zu reden.

Schnell rief Kramp-Karrenbauer am Mittwoch das Parteipräsidium zu einer Telefonschalte zusammen, um sich Rückendeckung für die Forderung nach einer Neuwahl in Thüringen zu holen. Doch die Thüringer CDU erklärte sich am Abend bereit für Gespräche mit Kemmerich. "Voraussetzung dafür ist aber, dass jede Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen sein muss", betonte CDU-Generalsekretär Raymond Walk. Wie es ausgeht, ist offen. Kramp-Karrenbauer sagte im ZDF, es gehe nicht um sie, es gehe um die Glaubwürdigkeit der CDU insgesamt.

FDP: FDP-Chef Christian Lindner versuchte zunächst, auf Distanz zu Kemmerich zu gehen. Seit dieser aber klarstellte, dass der Parteichef im Voraus in die strategischen Überlegungen eingeweiht gewesen sei, nimmt der Druck auf Lindner erkennbar zu. Der Parteichef ist zwar unbestritten die Nummer eins in der FDP. Aber sein Licht leuchtet nicht mehr ganz so hell wie vor zweieinhalb Jahren nach dem Wiedereinzug in den Bundestag. Die Taktiererei in Thüringen dürfte eine bisher schon spürbare Unzufriedenheit bei manchen Mitgliedern nicht unbedingt ausräumen. Kramp-Karrenbauer sagte, offenbar sei es Lindner nicht gelungen, genügend Einfluss auf Kemmerich zu nehmen. Dieser Ministerpräsident habe keine parlamentarische Mehrheit und müsse sich immer auf die AfD stützen.

SPD: Die Sozialdemokraten könnten - trotz aller Bestürzung über den indirekten Erfolg der AfD - von dem Wahl-Eklat profitieren. Bei den Reaktionen liest man zwischen den Zeilen: Wir haben es doch immer gesagt. Parteichef Walter-Borjans betonte gleich, die SPD müsse sich keine Vorwürfe machen und bleibe ein Bollwerk gegen rechts. Vor allem kann die SPD nun aber im Bund wieder mehr Druck auf die den Koalitionspartner ausüben.

Die Sozialdemokraten haben kurzfristig für Samstag einen Koalitionsausschuss durchgesetzt, bei dem sie ihre drängenden Fragen direkt an den Koalitionspartner stellen wollen. Pikant dabei: Ausgerechnet am Sonntag und Montag will der neu gewählte SPD-Parteivorstand ohnehin darüber beraten, mit welchen Themen es in der Koalition weitergehen könnte.

LINKE und GRÜNE: Ebenso wie die SPD haben auch sie in Thüringen ihre Regierungsmacht verloren. Dabei trifft es die Linken aber am härtesten: Sie verlieren mit der Abwahl von Bodo Ramelow ihren ersten Ministerpräsidenten. Entsprechend gedrückt und geschockt war die Stimmung am Mittwoch. Auf der anderen Seite sind fein raus bei der Diskussion, wer Verantwortung für den Wahlausgang trägt. Sie haben versucht, mit Rot-Rot-Grün eine Regierung ohne AfD-Beteiligung auf die Beine zu stellen - und haben vergeblich um Unterstützung von FDP oder CDU geworben.

THÜRINGEN:

FDP: Seit der überraschenden Wahl Kemmerich hat Thüringen keine Minister mehr. Es dürfte also zu Kemmerichs ersten Aufgaben gehören, ein Kabinett zu bilden und Minister zu benennen. Die wären aber auch erst im Amt, wenn sie in einer Sitzung des Thüringer Landtages vereidigt worden sind. Völlig unklar ist bislang, mit welchen Partnern Kemmerich die Regierung bilden will. Linke, SPD und Grüne haben bereits abgewunken. Mit der AfD zusammenzuarbeiten, schloss Kemmerich nach seiner Wahl selbst kategorisch aus.

Die Thüringer FDP schaffte bei der Landtagswahl im Herbst nur knapp mit 73 Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde den Einzug ins Parlament. Nun stellt sie auf so dramatische Weise den Ministerpräsidenten. Ob sie das durchhält? Schon am Mittwoch gab es auch aus der FDP Forderungen nach einem Rücktritt Kemmerichs.

CDU: Auf die Thüringer CDU wächst nach der Ministerpräsidentenwahl der Druck, den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Dazu ist sie im Moment nicht bereit: "Wir sehen unsere Verantwortung darin, Stillstand und Neuwahlen zu vermeiden", sagte ein Fraktionssprecher am Mittwoch. Doch nach dem desaströsen Wahlergebnis bei der Landtagswahl im Herbst steht der Landespartei- und Fraktionschef Mike Mohring bei Teilen seines Landesverbandes und der Fraktion massiv in der Kritik. Einige Abgeordnete in der Fraktion monieren Führungslosigkeit und kritisieren den unklaren Kurs ihres Landesverbandes. Die Wahl dürfte seine Position nicht unbedingt gefestigt haben.