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SPD und Union in der Krise Zwei Parteichefinnen in schwerer See

Die Stimmenverluste bei der Europawahl und der Bremen-Wahl wirbeln die große Koalition durcheinander. Die CDU sucht nach dem richtigen Umgang mit Internetstars, die SPD möglicherweise nach einer neuen Fraktionsspitze.

29.05.2019, 13:49

Berlin (dpa) - Nach den Wahlschlappen für SPD und CDU bei der Europawahl stehen die Parteivorsitzenden Andrea Nahles und Annegret Kramp-Karrenbauer weiterhin schwer unter Druck. Die CDU-Chefin wehrte sich am Dienstag in Berlin erneut gegen den Vorwurf, sie wolle die Meinungsfreiheit im Internet einschränken.

"Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt werden wir alle in der CDU immer verteidigen", versicherte Kramp-Karrenbauer. In der SPD geht es unterdessen um die Zukunft von Partei- und Fraktionschefin Nahles, die mittlerweile auf eine schnelle Lösung der Machtfrage dringt.

Für die kommende Woche hatte Nahles am Montagabend überraschend eine Neuwahl der Fraktionsspitze angekündigt, bei der sie sich dem Votum der sozialdemokratischen Abgeordneten stellen will. Angesichts der Turbulenzen kam die SPD-Bundestagsfraktion aber schon an diesem Mittwoch zu einer Sondersitzung zusammen.

Der SPD-Abgeordnete und ehemalige Kanzlerkandidat Martin Schulz kritisierte die von Nahles angekündigte Neuwahl. "Diese Wahl ist für September angesetzt", sagte Schulz der Wochenzeitung "Die Zeit". "Der Fraktion sollte die Zeit gegeben werden, die letzten Entwicklungen zu analysieren." Die Frage, ob er selbst gegen Nahles antrete, "stellt sich zurzeit nicht", sagte Schulz weiter. "Wir sollten Ruhe bewahren und die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit treffen."

Seit Tagen gibt es Spekulationen, wonach Schulz selbst den Fraktionsvorsitz anstrebt. Als mögliche Kandidaten gelten außerdem der Chef der NRW-Landesgruppe, Achim Post, und der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch. Bis Dienstagnachmittag hatte sich aber noch kein Gegenkandidat für Nahles offiziell in Stellung gebracht.

Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer bekräftigte unterdessen, dass sie keine Einschränkung der Meinungsfreiheit plane. In ihren umstrittenen Aussagen vom Vortag sei es ihr nur um die Frage gegangen, wie sich Kommunikation und politische Kultur durch soziale Medien verändere. "Gerade in kontroversen Zeiten, etwa im Wahlkampf, tragen wir alle dafür eine Verantwortung, wie wir miteinander diskutieren und wie sich politische Meinung bildet."

Unmittelbar vor den Wahlen am vergangenen Sonntag hatte ein Video von zahlreichen Youtube-Stars für Furore gesorgt, in dem sich diese ausdrücklich gegen eine Wahl von CDU und SPD aussprachen. Daraufhin hatte Kramp-Karrenbauer am Montag eine Debatte über digitale "Meinungsmache" angestoßen: "Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen."

Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, warf der CDU-Chefin daraufhin vor, sie wolle das Grundrecht der Meinungsfreiheit schleifen. "Würden tatsächlich 70 Redaktionen zu dem Schluss kommen, dass eine Partei schlechte Arbeit gemacht hat, und dies zufällig auch kurz vor der Wahl, wäre das komplett legitim und durch Pressefreiheit gedeckt", sagte Überall der "Heilbronner Stimme" (Mittwoch).

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bezeichnete Kramp-Karrenbauers Kritik als absurd. "Niemand würde sich aufregen, wenn ein Schauspieler oder ein Sportler eine Wahlempfehlung abgibt." Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) wandte sich in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwoch) gegen eventuelle Einschränkungen: "Die Meinungsfreiheit gilt auch im Netz. Mit der SPD ist so etwas sicher nicht zu machen."

Auch in der CDU sind die Aussagen von Kramp-Karrenbauer umstritten. CDU-Bundesvize Armin Laschet sagte bei einem Medienforum der Deutschen Welle in Bonn: "Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern. Dafür gibt es keine Grenzen." Er bezog sich auf den Streit um den Umgang mit dem millionenfach geklickten Video des Youtubers Rezo mit dem Titel "Die Zerstörung der CDU". Laschet betonte: "Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und dieser vor 70 Jahren formulierte Artikel gilt heute uneingeschränkt als Grundrecht. Und deshalb muss man das hinnehmen und diskutieren, in welcher Form eine Partei auf sowas antworten kann."

Niedersachsens CDU-Landeschef Bernd Althusmann sagte der Deutschen Presse-Agentur in Göttingen: "Verbote oder eine strengere Regulierung helfen nicht weiter." Mit Angriffen sollte zielorientiert und sachlich umgegangen werden. CDU-Bundesvize Thomas Strobl verteidigte seine Parteivorsitzende hingegen. Auch im Netz gebe es Regeln. "Wer glaubt, er sei im Internet im rechtsfreien Raum, obliegt einfach einem Irrtum."

Mehrere zehntausend Bürger haben derweil eine Petition für Meinungsfreiheit unterzeichnet. Die Youtuber Marmeladenoma (87) und Herr Newstime (29) äußern darin ihre Befürchtung, dass "unbequeme Videos in der heißen Wahlkampfphase" künftig gefiltert werden sollten. Sie fordern Kramp-Karrenbauer auf: "Stoppen Sie die Zensur und den Angriff auf die Meinungsfreiheit!"

Ergebnisse der Europawahl 2014 in Deutschland

Ergebnisse der Bundestagswahl 2017

Offizielle Projektion zur Sitzeverteilung im Europaparlament von Ende April

Zahlen und Fakten zur Europawahl vom Bundeswahlleiter

Informationen des Europaparlaments zur Europawahl

Europawahlprogramm der Grünen

Wahlprogramm Linke

FDP-Europawahlprogramm

SPD-Wahlprogramm

AfD-Wahlprogramm

Gemeinsames Europawahlprogramm von CDU und CSU

Fraktionsbildung im Europaparlament

Weder CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles haben nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen ihren Parteien geholfen. Foto: Gregor Fischer
Weder CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer noch die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles haben nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen ihren Parteien geholfen. Foto: Gregor Fischer
dpa