Ekel-Museum Schau mir in die Augen, Kleines
Das neue Disgusting- Food -Museum in Berlin präsentiert „Spezialitäten“ aus 80 Ländern. Ein Volksstimme-Redakteur macht den Selbstversuch.

Berlin - Am Einlass des Ekel-Museums gibt es anstelle einer Eintrittskarte eine Eintrittstüte. Kotztüte. Ob ich die heute brauchen werde – wir werden sehen. „Wäre schön, wenn nicht“, sage ich. „Sicher ist sicher“, sagt Martin Völker und zwinkert mir vielsagend zu. Der Direktor des Disgusting- Food-Museums in Berlin hat versprochen, mich auf eine kulinarische Reise rund um den Globus mitzunehmen. Ein Rundgang der etwas anderen Art. Mit ausgesprochen lebendig gestalteten Exponaten plus Besuch an der museumseigenen Knabbertheke.
Das Tagesmenü steht auf einer Tafel am Eingang geschrieben. Heute gibt es Hákarl, fermentierten Grönlandhai aus Island. Dazu ein knuspriges Heimchen sowie quicklebendigen Milbenkäse. Mmh, klingt lecker. Spätestens jetzt steigt so etwas wie Vorfreude in mir auf.
Der Museumsrundgang ist einem mehrgängigen Essen nachempfunden. Zum Start gibt es einen Überblick über die bizarrsten Getränke, um die Mahlzeit standesgemäß einzuläuten. Ein paar Meter weiter wartet Geflügel, zwischendrin Käsetheke. Innereien und Meeresfrüchte sind auch vertreten, dann Insekten, am Schluss die Desserts. Kompliment an den Küchenchef, wirklich an alles gedacht.
Schmeckt wirklich schlimm, irgendwie nach Tankstelle.
„Ekel ist individuell“, sagt Martin Völker. Was für den einen ungenießbar ist, ist für den anderen eine Delikatesse. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, mit welchen Speisen wir aufgewachsen sind. Vorstellungen von Ekel können sich zudem verändern.
Vor 200 Jahren sei etwa Hummer nur an Sklaven verfüttert worden, heute ist er eine Delikatesse. Das Museum hat sich auf die Fahnen geschrieben, das komplette Spektrum abzubilden und Vorurteile, wo möglich, zu entkräften.
Beim chinesischen Mäusewein klappt das leider nur mit Einschränkung. Felllose Baby-Mäuse haben es sich am Boden einer Art großen Einweckglases, na ja, gemütlich gemacht. Sie wurden ertränkt und sogleich in Reiswein gebraut. Ein Jahr gereift, wird die Mixtur teils als Aperitif, aber viel häufiger als Medizin gegen Leberleiden und Asthma verabreicht. Mäusewein habe einen starken Nachgeschmack nach verrottendem Tier, heißt es auf der Erklärtafel. „Schmeckt wirklich schlimm, irgendwie nach Tankstelle“, findet Martin Völker. Der Museumschef hat – natürlich – alle Exponate gekostet.
Auch für die Mitarbeiter ist Probieren bei Dienstantritt Pflicht. „Sie müssen ja wissen, wie es schmeckt, wenn die Besucher sie fragen“, sagt Völker.
Der Kelch geht an dieser Station an mir vorüber. Glück gehabt. Es folgt die Schafsaugen-Suppe: Tomatensaft mit wachsam dreinblickender Garnitur. In der Mongolei werden damit Kopfschmerzen kuriert. Soll gut als Katerfrühstück funktionieren. Puh. Kein Konterbier, sondern Konterauge. Gewöhnungsbedürftig.
Beim nächsten Ausstellungsstück heißt es für mich aber: Nicht lang schnacken, Kopp in Nacken. Bevergäll, übersetzt: Biberschrei, ist ein Schnaps aus Schweden. Hergestellt wird er, indem die Analdrüse des Nagetieres mehrere Wochen in Alkohol eingelegt wird.
Geschmacklich liegt er wohl zwischen Kiefer, Teer, Leder und Urin. An dieser Stelle mal wieder Glück im Unglück für mich. Ich bekomme ein Schlückchen der deutschen Abwandlung „Bibergeil“ kredenzt. Ein Kräuterschnaps, hergestellt von Kullmann & Sohn aus Wiesenburg/Mark mit Brennerei in Loburg. Fast ein Heimspiel. Schmeckt. So kann es weitergehen, Herr Völker.
Es geht weiter. Allerdings mit ziemlich verstörenden Bildern. Auf einem Video wird den Besuchern gezeigt, wie Gänsestopfleber entsteht. Es sieht qualvoll aus, wie den Tieren über Rohre Futterbrei in die Mägen gepumpt wird. Auf diese Weise entsteht eine vergrößerte, krankhafte Fettleber. Vielerorts als Delikatesse geadelt. Die Produktion ist in Deutschland verboten, Import und Verkauf sind aber genehmigt.
Ein jeder müsse es selbst mit sich ausmachen, welchen Schluss er aus den Bildern ziehe, sagt Völker. Nur so viel: Die Ausstellung ziele auch darauf ab, Gewohnheiten zu hinterfragen und in neuem Licht zu beurteilen.
Anderes Beispiel: Su Callu, ein exquisiter Käse aus Sardinien. Ein Zicklein wird dafür geschlachtet – kurz nachdem es Milch getrunken hat. Der Magen des Tieres wird mit Salz eingerieben und mehrere Monate lang zum Trocknen aufgehängt.
Der lebendigste Käse der Welt.
Der englische Food-Tester Andrew Zimmern verglich den Geschmack des Käses einmal mit Benzin und Ammoniak, gemischt mit Fett und Wachs. Tankstellen-Geruch mag ich persönlich ja. Aber im Essen, wirklich!?
Und dann sind wir auch schon bei einer Spezialität aus Sachsen-Anhalt, bei der sich dem einen oder anderen die Nackenhaare aufstellen dürften.
Was man dem Hersteller des Würchwitzer Milbenkäses lassen muss – der Werbeslogan „Der lebendigste Käse der Welt“ ist einfach nur überragend.
Dabei ist die Käsemilbe von Hause aus eher der unscheinbare Typ. 0,5 Millimeter groß, acht Beine und eine wallende Mähne auf dem Panzer. So präsentiert sie sich.
Tritt das eigentlich nur unter dem Mikroskop aggressiv anmutende Tier im Verbund mit mehreren Kameraden auf, kommt richtig Bewegung in die Sache. Nach Herstellerangaben krabbeln etwa 50000 der possierlichen Tierchen in einer Packung Würchwitzer Milbenkäse. Im Disgusting-Food-Museum darf ich den Geschmackstest machen. Mein Urteil: Schaltet man das Kopfkino aus, ist das einfach nur ein leckerer Käse. Sehr würzig, Granate. Eine wahre Geschmacksexplosion, wenn man auf intensiv schmeckenden Käse steht. Beim Rundgang kommen wir nun langsam, aber sicher in die Ecke der kräftigenden Hauptmahlzeiten. Ein besonderes Schmankerl ist der Bullenpenis. In China schreibt man ihm eine aphrodisierende Wirkung zu. Um essbar zu werden, wird das beste Stück des Bullen lange gekocht. Etwas fettig soll es dennoch schmecken. „Alles eine Frage der Zubereitung“, sagt Martin Völker. Schön angebraten, gingen Geschmack und Konsistenz auch gern mal in die Calamari-Richtung.
Nebenan lässt sich besichtigen, wie dicht beieinander das vermeintliche Ekel-Gericht und ein solides Berliner Schnitzel liegen. Den kolonialistischen Blick auf die Essgewohnheiten anderer Länder kann man sich gleich mal schenken. Denn für den leckeren Lappen aus Kalbfleisch verarbeitet man in der Regel kostengünstige Kuheuter, erfahre ich. Drei Stunden kochen, dann wird das Kuheuter abgekühlt in Scheiben geschnitten, gewürzt, paniert und in Butter gebraten. Klingt eigentlich ganz okay.
Die Desserts im letzten Teil der Ausstellung streifen wir nur kurz. Im Vorübergehen erkenne ich Vegemite. Ein Aufstrich aus Hefeextrakt aus Australien. Kenne ich. Schmeckt wie Biss in einen Brühwürfel. Da ich nicht so der Nachspeisen-Typ bin, kommt sogleich der krönende Abschluss. Die versprochenen Happen an der Bar.
Als Erstes kommt eine Portion Buffalo-Würmer auf mich zu. Die knuspere ich aber so was von routiniert weg. Sehr nussig. Nie wieder Nic Nacs, sage ich mal.
Dann wird mir ein Löffel mit Mehlwürmern kredenzt. Auch die sind ruckzuck einverleibt, top Protein-Quelle. Kurz nachspülen mit „Salgam Suyu“, fermentiertem Rübensaft. In Berlin gibt es den in beinahe jedem türkischen Supermarkt. Zieht extrem gut rein, sehr sauerkrautig. Urteil dennoch: Schmeckt mir gar nicht mal so gut.
Der kann einem ganz schön zwischen den Zähnen hängen bleiben, oder?
Beim folgenden Juni-Käfer muss ich dann doch ganz schön mein Gebiss aktivieren. Und kauen. Und noch mal kauen. „Der kann einem ganz schön zwischen den Zähnen hängen bleiben, oder?“, fragt mich Martin Völker. Ich würde gern antworten, aber der Knabberspaß blockiert mir ganz kapital den kompletten Rachen. Ich huste ihm so etwas wie „Käfer lecker“ entgegen.
In Corona-Zeiten kann das Museum vor Ort nur Kostproben reichen. Ein kleines Fresspaket darf ich aber mit nach Hause nehmen. Ein Dankeschön an Martin Völker für den Rundgang. Ich entschuldige mich für meine kaum verständliche Abschiedsformel. Der große Käfer stellt sich noch einmal so richtig quer.
Zu Hause mache ich mich sofort pflichtschuldig an das Stück fermentierten Hai. Im Museum hat es schon Beschwerden gegeben, man müsse nach dem Transport der stinkenden Mahlzeit Rucksack oder Tasche aus Kontaminationsgründen eigentlich verbrennen. Definitiv auch mein Eindruck. Aber der Hai, was soll ich sagen, schmeckt super. Etwas sabschige Konsistenz, null fischig, irgendwie würzig. Ich bin angetan. Das ändert sich beim Biss in die Lakritze. Wo die eigentlich herkommt, ich weiß es nicht mehr. Brennt aber wie Hölle.
Einige Stunden später ist die Aufregung langsam verdaut. Ich freue mich diebisch auf ein ganz normales Brot mit Käse, diesmal aus häuslichem Bestand. Der Geschmack – enttäuscht ein bisschen. Der Milbenkäse hat die Messlatte doch ziemlich hoch gehängt.




