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So feiert eine ukrainische Familie Weihnachten in Zeitz Sehnsucht nach Papa

Die Tochylkinas leben seit 2022 in Zeitz. Tochter Polina schreibt einen Brief an den Nikolaus. Was sich die junge Ukrainerin wünscht und wie sie Weihnachten feiert.

Aktualisiert: 17.12.2024, 14:54
Olena Tochylkina (li.) zündet eine Kerze an. Tochter Polina freut sich besonders auf das traditionelle Gericht Kutja. Der Brei aus gekochten Weizenkörnern wird mit Walnüssen, Honig, Mohn und Rosinen angerichtet.
Olena Tochylkina (li.) zündet eine Kerze an. Tochter Polina freut sich besonders auf das traditionelle Gericht Kutja. Der Brei aus gekochten Weizenkörnern wird mit Walnüssen, Honig, Mohn und Rosinen angerichtet. (Foto: Margit Herrmann)

Zeitz/MZ. - „Lieber Nikolaus“, steht in einer kindlichen Handschrift auf einem Brief an eben diesen. Das Mädchen mit den langen braunen Haaren lächelt, als sie dem alten Mann gute Gesundheit wünscht. Dann wird ihr Blick ernst und weiter schreibt die Neunjährige ihren Herzenswunsch: „Ich würde gerne meinen Vater sehen.“

„Meine Seele ist in der Ukraine.“

Den hat sie zuletzt im Sommer gesehen, bei der Beerdigung ihres Opas in der Ukraine. Polinas Papa ist wehrdienstpflichtig und darf das Land nicht verlassen. Gemeinsam mit ihrer Mama Olena Tochylkina, ihrem 17-jährigen Bruder und ihrer Oma väterlicherseits kam sie im Frühjahr 2022 als Flüchtling nach Deutschland. Ein Jahr bekam Polina Online-Unterricht an einer ukrainischen Schule. Jetzt lernt sie in der Grundschule Elstervorstadt in Zeitz. Die Schülerin fühlt sich hier wohl. Ihre Mama Olena beschreibt ihre eigenen Gefühle so: „Mein Kopf sagt, wir sollen in Deutschland bleiben. Doch meine Seele ist in der Ukraine.“ Die zweifache Mutter lernt fleißig Deutsch, hilft als Freiwillige im Ukrainischen Zentrum in Zeitz, macht dort die Buchhaltung, kümmert sich um die Finanzen und die Steuererklärung.

Mit Freude auf deutschen Weihnachtsmärkten

Der Ukrainische Verein bringt sich in die Feste der Stadt Zeitz ein, zeigt Traditionen und ist offen für Neues. Im Jahr 2021 hat die Familie Tochylkina das letzte Mal Weihnachten in ihrer Heimat gefeiert. Und auch dieses Jahr werden sie wieder in Deutschland das Fest begehen. „Ich vermisse die Feierlichkeiten zu Hause. Aber mit Freude besuche ich die Weihnachtsmärkte hier“, sagt Olena Tochylkina. „Ich liebe die Atmosphäre und das Lächeln der Deutschen zu dieser Zeit. Dann liegt eine ganz besondere Stimmung in der Luft.“

Rituale in traditioneller Kleidung

Verführerisch duftet es, wenn sie ihrem Hobby nachgeht. Schon viele Back-Kurse hat sie besucht. Auch Stollen backt die Ukrainerin selbst – glutenfrei und ohne Zucker. Ganz und gar nicht zuckerfrei, aber dafür sehr aufregend war am 6. Dezember der Nikolaustag für Polina. Denn unter ihrem Kissen hat sie am Morgen kleine süße Geschenke gefunden. Ein weiteres Ritual begeht die ukrainische Familie am Abend vor Weihnachten und in der Woche danach. In traditioneller Kleidung singen sie Nachbarn und Freunden Weihnachtslieder und überbringen ihnen gute Wünsche. „Wir Kinder erhalten Süßigkeiten und Kleingeld“, ergänzt Polina mit leuchtenden Augen.

Geschenke gibt es nicht vom Weihnachtsmann, sondern von Väterchen Frost am 31. Dezember.
Geschenke gibt es nicht vom Weihnachtsmann, sondern von Väterchen Frost am 31. Dezember.
(Foto: Margit Herrmann)

In der Ukraine feierte die Familie meistens am 7. Januar nach dem Julianischen Kalender Weihnachten. „Doch heute hat sich das in vielen Familien geändert“, weiß Olena Tochylkina. „Viele feiern nach dem Gregorianischen Kalender schon am 25. Dezember.“ Am Morgen dieses Tages gehen die Familien in die Kirche und feiern das religiöse Fest. Die Tochylkinas fahren nach Gera in die Orthodoxe Kirche, um dort Freunde zu treffen. Auch der Heiligabend, der Sviaty Vechir, wird von der ukrainischen Familie gefeiert. Verwandte und Freunde werden eingeladen. Dafür wird ein festliches Mahl mit zwölf fastenfreundlichen Gerichten aufgetafelt. Dabei stehen die zwölf Gerichte für die zwölf Apostel, die Gesandten Christi. Das Hauptgericht ist „Kutja“, ein süßes Gericht aus Weizen, Mohn und Honig. Dazu wird Uzvar, ein traditionelles ukrainisches Getränk aus Trockenfrüchten, gereicht. An diesem Abend werden Kerzen angezündet und an die Vorfahren gedacht.

An Heiligabend, dem letzten Fastentag, werden zwölf Fastenspeisen aufgetischt.
An Heiligabend, dem letzten Fastentag, werden zwölf Fastenspeisen aufgetischt.
(Foto: Margit Herrmann)
Auch bei Familie Tochylkina werden die vier Kerzen nacheinander an einem Adventskranz angezündet.
Auch bei Familie Tochylkina werden die vier Kerzen nacheinander an einem Adventskranz angezündet.
Herrmann

Auch einen Weihnachtsbaum haben die Tochylkinas aufgestellt. Der ist aus Plaste, damit sie ihn immer wieder aufstellen können. Die Familie kommt zusammen und schmückt den Baum mit Lichterkette, gebastelten Schmuck und Kugeln. Diese mussten neu gekauft werden, da die Familie in großer Hast mit wenig Gepäck geflohen ist.

Motankas sind alte ukrainische Familientalismane. Sie sind ein Symbol für Wohlstand, Güte und Hoffnung und wohnen jedem Fest bei.
Motankas sind alte ukrainische Familientalismane. Sie sind ein Symbol für Wohlstand, Güte und Hoffnung und wohnen jedem Fest bei.
(Foto: Margit Herrmann)

Flucht vor Schüssen und Explosionen

„Bei unserer Flucht haben wir nur eine große Tasche für die ganze Familie mitnehmen können“, erinnert sich die 45-Jährige. Neun Tage habe die Familie gemeinsam mit den Nachbarn im Keller gewohnt. In der letzten Nacht hörten sie, wie die Schüsse immer näher kamen, und beschlossen gemeinsam zu fliehen. Nach 15 Minuten Vorbereitungszeit stiegen sie in den Bus der Nachbarn und flohen aus dem Kriegsgebiet. Beim letzten Heimatbesuch im Sommer haben Mutter und Tochter schlimme Sachen erlebt und gesehen. In ihrem Wohnort, zwei Kilometer von der ukrainischen Hauptstadt Kyjiw entfernt, sind viele Häuser zerstört. „Jeden Tag gingen die Sirenen und einmal gab es eine Explosion“, erzählt Olena Tochylkina. „Meine Tochter hatte Angst und ihre Hände haben gezittert. Kein Kind sollte jemals so etwas erleben müssen.“

Wünsche in der magischen Weihnachtszeit

Polina schreibt einen Brief an den Nikolaus.
Polina schreibt einen Brief an den Nikolaus.
(Foto: Margit Herrmann)

Polina hat den Brief an den Nikolaus beendet und steckt ihn in einen Umschlag. Vielleicht werden Wünsche in dieser magischen Weihnachtszeit wahr und Polina kann bald ihren geliebten Papa wieder in die Arme schließen.