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Könnte Anreiz sein Verbraucherschutz: Bahn soll häufiger für Verspätung zahlen

Wer mit der Bahn eine Stunde zu spät ans Ziel kommt, kann Geld zurück verlangen. Je strenger die Regeln, desto pünktlicher die Bahn, meinen Verbraucherschützer. Doch ob es künftig auch bei Unwettern noch Entschädigungen gibt, ist umstritten.

Von Theresa Münch und Sascha Meyer, dpa 20.08.2020, 15:09
Wolfgang Kumm
Wolfgang Kumm dpa

Berlin (dpa) - Die Deutsche Bahn sollte bei Zugverspätungen nach Ansicht von Verbraucherschützern deutlich häufiger Geld zurückzahlen.

"Bisher bekomme ich ja erst nach einer Stunde eine Entschädigung. Wir appellieren und werben dringend bei der Politik dafür, dies auf eine halbe Stunde zu reduzieren", sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, der Deutschen Presse-Agentur. Das könne auch einen Anreiz geben, dass die Bahn pünktlicher werde.

Bisher gibt es ab einer Stunde Verspätung ein Viertel des Fahrpreises zurück, ab zwei Stunden die Hälfte. Im vergangenen Jahr musste die Bahn rund 52,6 Millionen Euro erstatten.

Der Fahrgastverband Pro Bahn unterstützte Müllers Vorstoß. Eine solche Änderung könne die Bahn unter Druck setzen, sagte der Bundesvorsitzende Detlef Neuß im Radioprogramm SWR Aktuell. "Selbst wenn die Summen, die da zurückgezahlt werden müssen, gar nicht so hoch sind, ist das jedes Mal ein Verwaltungsaufwand, der die Bahn mehr Geld kostet, als sie erstatten muss."

Neuß ging jedoch noch weiter: Die Bahn solle Reisende bei Verspätungen für die gesamte Reisekette entschädigen - also auch, wenn wegen Zugverspätung ein Flug verpasst werde. "Wenn ich nach München in Urlaub fahre und komme da eine Stunde später an, ist das nicht weiter tragisch. Wenn ich aber mit einem Supersparpreis zum Flughafen will und da dann mein Flugzeug versäume, nutzt mir eine Entschädigung von 5 oder 10 Euro herzlich wenig", betonte er.

Die Bahn betonte, ihre Züge seien im ersten Halbjahr 2020 so pünktlich unterwegs gewesen, wie seit Jahren nicht. Außerdem habe es angesichts der Corona-Pandemie zuletzt sehr kulante Regeln gegeben, die weit über die Fahrgastrechte hinausgingen. "So haben wir die Stornierung und flexible Nutzung von rund fünf Millionen Fahrten ermöglicht."

Verbraucherschützer Müller forderte zudem, die Entschädigung müsse einfacher zu beantragen sein. "Herr Scheuer hat sich vor einem Jahr für ein automatisiertes Entschädigungssystem ausgesprochen. Sichtbar geschehen ist seitdem nichts", kritisierte er. Im vergangenen Jahr hatte die Bahn angekündigt, dass Fahrgäste ihre Entschädigung spätestens 2021 auch online beantragen können sollen. Diesen Zeitplan werde man auch halten, erklärte das Unternehmen nun.

Bislang braucht man für den Antrag ein Papierformular. Die meisten Bahnfahrten würden inzwischen aber online gebucht, sagte Müller. "Das ist klasse, denn ich habe meine Daten hinterlegt und könnte eine Entschädigung oder eine Erstattung sofort ausgezahlt bekommen."

Nach einem Vorschlag auf EU-Ebene könnten künftig allerdings deutlich seltener Entschädigungen fließen. Ende 2019 hatten sich die EU-Verkehrsminister verständigt, dass Bahnunternehmen in Fällen höherer Gewalt - etwa bei extremen Wetterbedingungen - nicht mehr zwingend zahlen sollen. Dem müsste allerdings das Europaparlament noch zustimmen, das sich bereits negativ geäußert hat.

Auch Müller kritisierte das Vorhaben: "Wir wollen Bahnfahren attraktiver machen. Dazu gehört, dass die Bahn alles dafür tun muss, so zuverlässig, sicher und sauber wie möglich zu sein", sagte er. "Die Gefahr ist, dass "höhere Gewalt" zu einer Generalklausel wird und letztlich die Bahn dann bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf höhere Gewalt verweist."

Konsequenz seien teure gerichtliche Auseinandersetzungen und die Bahn werde unattraktiver. "Darum glaube ich, dass es eine total kurzsichtige Betrachtung ist, zu glauben, man tue der Bahn damit irgendetwas Gutes", sagte Müller. Gerade unter deutscher Ratspräsidentschaft müssten Verbraucherministerin Christine Lambrecht (SPD) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Interesse der Bahnkunden entscheiden und die Vorschläge ad acta legen.

Auch Pro Bahn erteilte dem Vorschlag eine Absage: "Wir sind der Meinung, dass die Bahn bei höherer Gewalt zahlen sollte", sagte Neuß dem SWR. Allerdings müsse die Ursache von Verspätungen berücksichtigt werden: Sei ein Baum von einem Privatgrundstück im Sturm auf die Gleise gestürzt, müsse auch der Grundstückseigentümer haftbar gemacht werden.

© dpa-infocom, dpa:200820-99-242115/3