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Training in künstlichen Welten Unternehmen setzen in Schulungen auf Virtual Reality

Virtuelle Realität ist ein Thema mit großer Zukunft. Dank 3D-Optik und Hightech-Sensoren hat man mitunter den Eindruck, leibhaftig in andere Welten einzutauchen. Auch Unternehmen setzen in Schulungen auf die Technik - etwa für aufwendige und heikle Situationen.

Von Rabea Gruber, dpa 03.01.2019, 14:54

Köln (dpa) - Zuerst den Vierkantschlüssel rausholen, dann zwei
Sicherungshebel lösen und zahlreiche andere Handgriffe tätigen:
Nachdem Zugbegleiter Daniel von Contzen alle 28 Arbeitsschritte
erledigt hat, ist der Hublift - eine Art Mini-Lift am Zug -
ausgeklappt.

Nun kann ein Rollstuhlfahrer rein in den ICE. Doch der
Rollstuhlfahrer ist gar nicht da. Und auch ein Zug ist nicht vor Ort.
Von Contzen übt die Arbeitsschritte in einem Kölner Konferenzraum -
mit einer Virtual-Reality-Brille. Er hält Kontrollgeräte und steuert
damit seine virtuellen Hände. Was genau er gerade tut, sehen andere
Schulungsteilnehmer ohne VR-Brille auf einer Leinwand.

Übungsszenarien für den neuen ICE 4

Die Idee ist simpel, die Umsetzung komplex: Übungen in der
Wirklichkeit sind aufwendig, schließlich muss ein echter Zug dafür
bereitstehen. Also greift die Bahn auf die Technik zurück. Die
realitätsnahe Schulung soll die Zugbegleiter fit machen für den Tag,
wenn auf einer Fahrt tatsächlich einmal ein Rollstuhlfahrer
am Bahnsteig ist und er in den Zug soll. Die Übungsszenarien beziehen
sich größtenteils auf den neuen ICE 4. Separat hierzu gibt es auch
Übungen im echten Zug.

Die Realitätsnähe der VR-Schulung ist unter den Teilnehmern ein
großes Thema. "Die Handgriffe kommen denen am echten Hublift schon
nah", erzählt der Zugbegleiter von Contzen nach seinem VR-Training.
Von Contzen ist einer von rund 1000 Mitarbeitern der Deutschen Bahn,
die 2018 mit der neuen Technik geschult wurden.

Kosten für Technik deutlich gesunken

Die Bahn ist nur ein Beispiel für Firmen, die auf VR-Schulungen
setzen. Auch in anderen Branchen wird auf diese Technik zum Lehren
und Lernen gesetzt. In der Industrie, im Gesundheitswesen oder im
Rettungsdienst wird diese Technik ebenfalls bereits zum Lehren und
Lernen verwendet. Die Kosten für die Technik seien deutlich gesunken,
sagt Martin Zimmermann, Gründer der europäischen Kompetenzeinrichtung
Virtual Dimension Center (VDC) in Fellbach und St. Georgen. Über das
VDC vernetzen sich seit 15 Jahren Unternehmen, Hochschulen und
Entwickler von Soft- und Hardware.

In den Anfängen seien für eine VR-Anlage mehrere Millionen Mark
fällig gewesen, heute sei man für eine VR-Brille, Sensoren und einen
Rechner mit einem niedrigen vierstelligen Euro-Betrag dabei,
sagt Zimmermann. Man arbeite nun auch mit Volkshochschulen,
Berufsschulen und allgemeinbildenden Schulen zusammen.

Gruppenerlebnis und Interaktivität

Der Fachmann sieht die Vorteile der Schulungen in der Kombination aus
interaktivem Lernen und dreidimensionaler Umgebung. Dadurch könne man
die Aufgabe ganz anders wahrnehmen und begreifen als über einen
klassischen Vortrag oder Frontalunterricht. Außerdem biete VR ein
Gruppenerlebnis. Wenn die virtuelle Realität über einen Beamer an die
Wand geworfen werde, könnten alle Teilnehmer mithelfen, eine Aufgabe
zu lösen. "Und natürlich spielt der Spaß am Lernen eine Rolle."

Auch der Motorsägenhersteller Stihl setzt auf Virtuelle Realität: Das
schwäbische Unternehmen schult eigene Mitarbeiter und Fachhändler in
einem Motorsägen-Simulator. Eine gefährliche Situation - das Fällen
eines Baumes - wird in einer sicheren Umgebung geübt. Der
Schulungsteilnehmer hält eine echte Säge in der Hand, auf der
Sensortechnik angebracht ist. "Mit dem Simulator kann man das
Baumfällen Schritt für Schritt durchgehen und wird dadurch auf den
echten Wald vorbereitet", erklärt der zuständige
Stihl-Abteilungsleiter Marbod Lemke. Auch der Zeitfaktor ist
ein Vorteil, denn das Training kann bei jedem Wetter und zu jeder
Jahreszeit durchgeführt werden - die Übung ist also gut planbar.

Waggons virtuell kuppeln

Die Realität ersetzen sollen die Schulungen im virtuellen Raum nicht,
vielmehr sollen sie das Training ergänzen. "Mit dem VR-Programm
können Bewegungsabläufe in Ruhe geübt werden, die in der Praxis
schnell ablaufen müssen", erklärt Lars Tiedermann. Er hat das
Programm "Eve" mitentwickelt, mit dem die Bahn-Mitarbeiter lernen. Es
geht bei den Arbeitsschritten nicht nur um den Hublift für
Rollstuhlfahrer, sondern zum Beispiel auch um das Öffnen virtueller
Bugklappen zum Abschleppen eines Zuges. Ab diesem Jahr sollen
Auszubildende mit der VR-Brille auch üben, Waggons zu kuppeln.

Positiv sieht das Thema die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft
(EVG). Solch ein Simulationstraining sei hilfreich, da es
Handlungssicherheit gebe, sagt Gewerkschafterin Claudia Dunst. "Viele
Kollegen müssen ja immer wieder direkt auf die Gleise, und das ist
immer gefährlich." Das Training ersetze jedoch nicht die Einweisung
vor Ort. Und es müsse regelmäßig überprüft werden, ob die erlernten
Arbeitsschritte auch in der Praxis umsetzbar seien.

Auch bei einer VR-Übung muss Zugbegleiter Daniel von Contzen in die Hocke gehen. Foto: Rolf Vennenbernd
Auch bei einer VR-Übung muss Zugbegleiter Daniel von Contzen in die Hocke gehen. Foto: Rolf Vennenbernd
dpa
Zugbegleiter Daniel von Contzen übt bei einer Schulung mit Virtual Reality die Bedienung eines eingebauten Hublifts an den Türen eines ICE 4 fu?r Reisende mit Rollstuhl. Foto: Rolf Vennenbernd
Zugbegleiter Daniel von Contzen übt bei einer Schulung mit Virtual Reality die Bedienung eines eingebauten Hublifts an den Türen eines ICE 4 fu?r Reisende mit Rollstuhl. Foto: Rolf Vennenbernd
dpa