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Die Erinnerungen der Klarsfelds

Beate Klarsfeld wurde in Deutschland vor allem als Ohrfeigen-Beate bekannt. Sie und ihr Mann Serge machten aber auch mit ihrer Jagd auf Nazi-Kriegsverbrecher wie den Gestapo-Chef von Lyon international Schlagzeilen. Jetzt hat das Ehepaar seine Erinnerungen vorgelegt.

Von Wilfried Mommert, dpa 01.12.2015, 13:46

Berlin (dpa) - Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) war schon in den Anfangsjahren der Bundesrepublik 1952 der Ansicht, wir sollten jetzt mit der Naziriecherei mal Schluss machen. Der Mann, der später den Grundstein zur Aussöhnung mit den Juden und dem Staat Israel legte, meinte damit das Stöbern in der NS-Vergangenheit mancher bundesdeutscher Politiker. Das sah die im Trümmer-Berlin der Nachkriegszeit aufgewachsene und 1960 nach Frankreich gegangene Beate Klarsfeld Jahre später aber ganz anders.

Sie ohrfeigte Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 1968, wie zuvor auf einer studentischen Versammlung in der Technischen Universität Berlin öffentlich angekündigt, auf einem CDU-Parteitag in Berlin aus Protest gegen dessen NS-Propaganda-Vergangenheit. Die hatte sie zwar vorher immer wieder dokumentiert, ohne dafür größeres öffentliches Interesse zu finden. Kiesinger hatte nach der Ohrfeige daher nur eine Frage: War das die Klarsfeld? Die prompte Antwort der Justiz war noch am selben Abend ein Jahr Gefängnis (das Klarsfeld allerdings nicht verbüßen musste) in einem sogenannten Schnellgerichtsverfahren mit dem Verteidiger Horst Mahler, der wegen fehlender Robe und weißer Krawatte erstmal gerügt wurde.

Fast ein halbes Jahrhundert später, im Sommer 2015, wurden Beate (76) und Serge (80) Klarsfeld, dessen Vater in Auschwitz umgebracht wurde, von Bundespräsident Joachim Gauck mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In Frankreich, wo sie auch von Staatspräsident Francois Hollande Orden erhielten, werden sie auch als Ritter des guten Gedächtnisses bezeichnet. Jetzt sind die Memoiren der neben Simon Wiesenthal wohl bekanntesten Nazi-Jäger auf Deutsch erschienen (Erinnerungen, Piper Verlag).

Die Erinnerungen mit minutiös festgehaltenen Details und Abläufen sowohl der umfangreichen Recherchen als auch mitunter atemberaubenden Verfolgungsjagden über die Jahrzehnte zwischen Bolivien und Damaskus lesen sich wie ein Kriminal- oder Abenteuerroman, ein Thriller würde man sagen, wenn es nicht um so grauenhafte Geschehen wie die Nazi-Verbrechen ginge. Deutlich wird dabei die Hartnäckigkeit, um nicht zu sagen die Besessenheit bei der Verfolgung der noch Jahrzehnte nach Kriegsende unbehelligten NS-Kriegsverbrecher.

Ein Hauptmotiv für diese Hartnäckigkeit war aber auch die bittere Erkenntnis, dass die meisten der Gestapo- und SS-Männer, die im besetzten Frankreich gewütet hatten und - mit Hilfe der französischen Polizei - für die Deportation von etwa 75 000 Juden in die Vernichtungslager verantwortlich waren, bis dahin nie vor Gericht gestellt worden waren. Aber auch die Kollaboration des französischen Vichy-Regimes mit den Deutschen war ihr Thema (Vichy-Auschwitz - Holocaust-sur-Seine).

Die Jagd auf den berüchtigten Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie (Schlächter von Lyon), der sich unter dem Decknamen Klaus Altmann in Südamerika versteckt hatte, und dessen Auslieferung nach Frankreich war einer der größten Erfolge des Ehepaars. Dabei hatten die Klarsfelds die frustrierende Erfahrung machen müssen, dass französische Zeitungen zunächst für die ihnen zugeleiteten Dokumente wenig Interesse zeigten.

Ähnlich war es Beate Klarsfeld mit den Dokumenten zu Kiesingers NS-Vergangenheit ergangen, nach deren Veröffentlichung schließlich im Combat sie sogar ihre Stelle im Deutsch-Französischen Jugendwerk verlor. Das verbreitete Medien-Desinteresse erinnert an die resignierende Feststellung des jüdischen Historikers Joseph Wulf, der nach der Veröffentlichung von 18 Büchern (unter anderem über die Literatur, Musik, Bildende Kunst, das Theater, die Presse und den Rundfunk im Dritten Reich) meinte: Man kann sich in Deutschland tot dokumentieren - und die Massenmörder züchten Blumen vor ihrem Häuschen. 1974 nahm sich Wulf in Berlin das Leben.

Klarsfeld wusste, dass sie mit spektakulären Aktionen die Öffentlichkeit für ihre Fakten und Recherchen interessieren konnte, die sie in mühsamer Kleinarbeit in den Archiven zusammengetragen hatte. Das funktionierte, von der Ohrfeige bis zu einer versuchten Entführung, die Schlagzeilen machte. In Warschau kettete sie sich an einen Baum und demonstrierte gegen den in Polen ihrer Meinung nach vorherrschenden Antisemitismus.

Die Kiesinger-Ohrfeige hatte sie sich bei den Sponti-Aktionen der damaligen Außerparlamentarischen Opposition (Apo) in der Bundesrepublik um Rudi Dutschke, Fritz Teufel und Rainer Langhans abgeschaut. Ansonsten gab es allerdings wenig Berührungspunkte mit den 68er Rebellen, erstaunlich genug, war doch das Schweigen der Väter ein gemeinsamer Dorn im Auge.

Umso größere Unterstützung fand Klarsfeld in der DDR, weil es um den verhassten westdeutschen Klassenfeind ging, über den man zudem in den eigenen Staatsarchiven auch einige brisante Dokumente besaß, die Serge Klarsfeld einsehen konnte. Beate Klarsfeld räumt in ihren Erinnerungen auch freimütig Zahlungen und Privilegien wie Flugtickets oder Sommerurlaube ein, betont aber auch, sie habe sich niemals von irgendjemand instrumentalisieren lassen: Ich habe immer in meinem eigenen Auftrag gehandelt. Sie sei auch nie Anhängerin des kommunistischen Regimes gewesen und habe sich zudem immer als Deutsche, nie als West- oder Ostdeutsche, gefühlt.

Nach ihren Demonstrationen in Warschau und Prag kühlten sich denn auch die Beziehungen zur DDR deutlich ab. Mit einiger Beklemmung liest man dennoch die Passagen über Beate Klarsfelds Teilnahme an festlichen Empfängen zum 20. Jahrestag der DDR 1969. Ein Empfang jagte den anderen. Ich trug ein zugleich pariserisch chices und sittsames Cocktailkleid, das die Blicke der kommunistischen Politiker auf sich zog. Es waren die Empfänge eines Staates, in dem fast täglich auf Flüchtlinge geschossen wurde und politisch Andersdenkende zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, was die Klarsfelds vermutlich auch wussten.

2012 wurde Beate Klarsfeld im wiedervereinten Deutschland von der Partei Die Linke gegen Joachim Gauck als Bundespräsidenten-Kandidatin aufgestellt, für Klarsfeld ein ungleiches Duell, das Deutschland jedoch zur Ehre gereichte. Damit hätten sich ein Mann und eine Frau gegenüber gestanden, die jeweils eine Seite der deutschen Nachkriegsgeschichte verkörperten. Sie habe sofort Ja gesagt, weil ich mich an meine Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis erinnerte und auf den langen Weg zurückblickte, den Deutschland und ich seit 1968 zurückgelegt hatten. Diesen Weg in diesen Erinnerungen noch einmal nachzulesen, ist eine der spannendsten und berührendsten Dokumentationslektüren über die jüngere Zeitgeschichte.

Beate und Serge Klarsfeld: Erinnerungen. Piper Verlag, München, Berlin, Zürich. 624 Seiten, 28,00 Euro, ISBN 978-3-492-05707-3.

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