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Der Untergang Die letzten Tage des Weltkrieges

Deutschland liegt in Trümmern, Hitler ist tot, aber der Krieg tobt weiter. Zum 75. Jahrestag des Kriegsendes beschreibt der Historiker Volker Ullrich ein Schreckensszenario.

Von Oliver Pietschmann, dpa 28.04.2020, 11:40

Darmstadt (dpa) - Der Diktator Adolf Hitler ist tot, doch der sinnlose Krieg mit all seinen Grausamkeiten dauert noch Tage. Selbstmordwellen, Massenvergewaltigungen, Todesmärsche, Flüchtlingtrecks.

Der Historiker Volker Ullrich beschreibt in seinem neuen Buch "Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches" den Untergang des nationalsozialistischen Deutschlands vor 75 Jahren in all seinen Facetten. Der Hitler-Biograf berichtet erzählerisch und eindringlich mit den Worten von Zeitzeugen und Erinnerungen über Leid, Wirren, Ängste, weiter bestehende Vorurteile und Verdrängung von Schuld.

In das Untergangsszenario baut Ullrich grausame Episoden und kurze biografische Abschnitte über für die Nachkriegszeit bedeutsame Menschen. So erzählt er vom späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt, vom später mächtigen DDR-Politiker Walter Ulbricht, von Raketenkonstrukteur Wernher von Braun oder von der in Deutschland geborenen Hollywood-Diva Marlene Dietrich, deren Schwester zusammen mit ihrem Mann im Konzentrationslager Bergen-Belsen im Krieg ein Truppenkino für Wehrmachtssoldaten und SS-Männer betrieben hatte.

Seine Darstellung baut Ullrich chronologisch auf und erzählt die Geschehnisse Tag für Tag bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945.

"Viele Zeitgenossen erlebten die Tage zwischen Hitlers Tod am 30. April und der bedingungslosen Kapitulation am 7./8. Mai 1945 als eine tiefgreifende lebensgeschichtliche Zäsur, als vielzitierte "Stunde Null"", schreibt Ullrich. Der Auflösungsprozess habe sich so rasant und plötzlich vollzogen, dass zeitgenössische Beobachter Mühe gehabt hätten, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Mit seinem Buch will Ullrich die chaotische Abfolge anschaulich machen.

Nach den Selbstmorden von Hitler und kurz darauf auch von Propaganda-Minister Joseph Goebbels bildete Großadmiral Karl Dönitz eine geschäftsführende Regierung. Dass die Alliierten diese als ernsthaften Verhandlungspartner in Betracht ziehen konnten, war Ullrich zufolge von vorneherein ausgeschlossen. Dönitz griff auf politisch schwerbelastetes Personal der nationalsozialistischen Führungsriege zurück. "Von einem Neuanfang konnte also überhaupt keine Rede sein. Vielmehr zeigte sich eine nahezu ungebrochene Kontinuität der nationalsozialistischen Machtelite."

Und auch rhetorisch knüpfte die noch bis zum 23. Mai tätige Regierung an die NS-Propaganda an. Nach Hitlers Selbstmord war sie nicht bereit, den Krieg sofort zu beenden. Sie wollte einen Separatfrieden mit den Westalliierten erreichen und weiter gegen die Rote Armee kämpfen, um Zeit zu gewinnen. Dönitz griff nicht nur die Version von Hitlers "Heldentod" auf. Er übernahm auch die NS-Propaganda und deutete den deutschen Vernichtungskrieg im Osten als Kreuzzug für Europa und die ganze Zivilisation um. "Mit dem Schreckgespenst des "Bolschewismus" begründete der Großadmiral überdies, warum er den Krieg nicht sofort beenden wollte."

Diese Regierung sei auch nach der Kapitulation bemüht gewesen, Elemente der Kontinuität mit dem Hitler-Regime zu bewahren. Eine Aussprache über Regierungsfragen am 9. Mai sei zu dem Ergebnis gekommen: "Grundlage für die weitere Existenz des deutschen Volkes ist die vom Nationalsozialismus geschaffene Volksgemeinschaft."

Die Menschen in Deutschland hatten zu diesem Zeitpunkt andere Probleme. Gewalt durch Besatzer vor allem in den von der Roten Armee besetzten Gebieten. Die Städte lagen in Trümmern, Nahrungsmittel waren rar. Doch noch für die Wochen vor Kriegsende konstatiert Ullrich: "Trotz wachsender Kritik an der NSDAP und ihrem Führungspersonal gab es in Wehrmacht und Bevölkerung bis in die Agonie des "Dritten Reiches" hinein ein erstaunlich hohes Maß an Durchhaltebereitschaft." Die Besiegten hätten sich zunehmend als die eigentlichen Opfer gesehen, die im Bombenkrieg oder durch Flucht und Vertreibung Schreckliches erlitten hätten. "Für das unermessliche Leid, das sie den Völkern in den eroberten und besetzten Gebieten zugefügt hatten, brachten die meisten Deutschen kein Interesse, schon gar kein Mitgefühl auf."

- Volker Ullrich: Acht Tage im Mai. Die letzte Woche des Dritten Reiches" Verlag C.H.Beck, München, 317 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-406-74985-8.

Acht Tage im Mai