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Kulturprojekt Ein Fundbüro für Angst, Glück, Sehnsucht

Eine verrückte Idee zuerst: ein Fundbüro für Dinge, die man nicht anfassen kann. Zwei Schweizer haben es gewagt, mehr als 600 Meldungen gesammelt und daraus jetzt ein kluges Buch zum Nachdenken gemacht.

Von Christiane Oelrich, dpa 30.10.2018, 14:10
In Zürichs Fundbüro 2 können Menschen Fund- und Verlustmeldungen für immaterielle Dinge wie Liebe, Wut oder Trauer aufgeben. Foto: Christiane Oelrich
In Zürichs Fundbüro 2 können Menschen Fund- und Verlustmeldungen für immaterielle Dinge wie Liebe, Wut oder Trauer aufgeben. Foto: Christiane Oelrich dpa

Zürich (dpa) - Man kann ja über Verlorenes froh und traurig sein: Zum Beispiel die Angst, die würde wohl kaum jemand vermissen, während einen verlorene Zeit, Zuversicht oder der Glaube an die Menschen schon mitnehmen kann.

Beim Finden ist die Sache anders, da sind die meisten Menschen positiv unterwegs: Der eine findet Ruhe, der andere Selbstvertrauen und der dritte Glück.

Zwei Züricher Kulturschaffende haben im vergangenen Jahr ein Fundbüro eröffnet für Dinge, die man nicht anfassen kann. Glück eben oder auch Angst, Unbeschwertheit, Gelassenheit, Lust. Jetzt haben sie ein Buch vorgelegt über die Verlust- und Fundmeldungen der rund 600 Menschen, die mitgemacht haben. Entstanden ist ein gut 170 Seiten dickes Bändchen voller Weisheiten, Humor, Überraschungen, Denkanstößen und Ermunterungen zur Suche in den eigenen Gefühlen.

"Guten Tag, haben sie ein Glück gefunden?" heißt das Buch von Patrick Bolle und Andrea Keller - "Ein Fundbüro für Gefühle, Hoffnungen und Wünsche" im Untertitel. Die beiden haben im vergangenen Jahr an mehreren Samstagen in der Einkaufszone von Zürich einen richtigen Schalter betrieben, an dem jeder Vorbeikommende Meldungen über Gefundenes oder Verlorenes machen konnte. Andere Menschen haben die Internetseite genutzt, um sich zu äußern.

Eine Auswahl: Verloren: die Angst davor, in den Keller zu gehen. Die Freude an der Farbe Orange. Den Antrieb, Visionen umzusetzen. Die Illusion, dass ich selbst nie alt werde. Das Bedürfnis nach Besitz. Die Erinnerung daran, was meine Lebensaufgabe auf dieser Welt ist. Und diese Weisheit einer Teenagerin: "Ich selbst habe nichts verloren, aber die jungen Männer, denen fehlt Vernunft!"

Gefunden: den Ausstieg aus dem Hamsterrad des Getriebenseins. Mein Vertrauen in mich selbst und in einen Gott, der mich sieht. Gänsehaut und irrsinniges Kribbeln, beim Zuhören eines Chors. Die Kraft des Gebens. Das Herz eines wunderbaren Mannes. Oder auch beides: "Ich habe die Gewissheit verloren, steinalt zu werden. Aber ich habe auch etwas gefunden: Lebenshunger! Er war plötzlich da, während der Chemotherapie."

Bolle und Keller glauben, dass viele Kunden den Besuch im Fundbüro für immaterielle Dinge ähnlich erlebt haben: "Als Wegstück eines Prozesses, der es erlaubt, selbst schwierige, vielleicht sogar schmerzhafte Erfahrungen zu identifizieren, zu benennen und dadurch besser zu verstehen", schreiben sie. So ähnlich drückten es seinerzeit auch Besucher aus: "Es auszusprechen ordnet die Gedanken", sagte eine Besucherin. "Daraus entsteht vielleicht etwas Neues."

Bolle und Keller haben die Verlust- und Fundmeldungen jetzt sortiert, nach Kategorien wie "Gesundheit", "Liebe, Beziehung, Gemeinschaft" oder "Zeit". Und sich kluge Gedanken dazu gemacht. Ob alle Zweifel stets beseitigt werden müssten? Sie gehörten doch zum Leben, man dürfe ruhig Freundschaft mit ihnen schließen. Was der Glaube bewegt oder hemmt. Den gesunden Umgang mit der Krankheit. Keine Belehrungen, oder nur ganz wenige. Viel mehr immer wieder die Frage: Und wie sehen Sie das? Am Ende jedes Kapitels kommt die Aufforderung: und jetzt sind Sie dran mit einer unbeschriebenen Seite zum Selbstbefüllen.

- Patrick Bolle/Andrea Keller: Guten Tag, haben Sie mein Glück gefunden?, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck, 175 Seiten, 14 Euro, ISBN 9783 499 63367 6.

Guten Tag, haben Sie mein Glück gefunden?