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Teufelskrone Rebecca Gablé: Das Mittelalter war besser als sein Ruf

Rebecca Gablé gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern Deutschlands. Fast alle ihre Bücher sind im Mittelalter angesiedelt - eine Zeit, die nicht gar so finster gewesen sei, wie viele heute sagen. Voller Vorurteile aber dennoch.

Von Interview: Chris Deckert, dpa 03.09.2019, 11:47
Die deutsche Schriftstellerin Rebecca Gable thematisiert in ihrem neuen Roman «Teufelskrone» die Regierungszeit König Johns I. Foto: Chris Melzer
Die deutsche Schriftstellerin Rebecca Gable thematisiert in ihrem neuen Roman «Teufelskrone» die Regierungszeit König Johns I. Foto: Chris Melzer dpa

London (dpa) - Das neue Buch "Teufelskrone" von Rebecca Gablé spielt, natürlich, im englischen Mittelalter. Im Interview mit dpa erzählt die 54-Jährige, was sie am Schreiben liebt und warum sie gern Gott spielt, was "die stumme Sünde" war und welcher Schriftsteller überschätzt ist.

Frau Gablé, Sie bleiben Ihrem Erfolgsrezept treu: Ihr Held ist wieder ein pubertierender Jüngling aus mittlerem Adel, der viel von Pferden versteht, unglücklich verliebt ist und durch Zufall in die Nähe der Mächtigen kommt. Warum nicht mal ein Mädchen oder eine junge Frau?

Das habe ich auch schon gemacht. In "Palast der Meere" zum Beispiel gibt es zwei Waringhams, einen Bruder und eine Schwester. Aber ja, ich schreibe lieber über Männer. Ganz besonders im Mittelalter-Kosmos, weil meine Romane einen Schwerpunkt auf der politischen Ebene haben, und das waren eben im Mittelalter die Männer, die die Politik gemacht haben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa die wunderbare Eleonore von Aquitanien.

Wie schreiben Sie? Gibt es von Anfang an ein festes Konzept, kennen Sie schon das Ende? Wie viel Spontanität erlauben Sie sich noch?

Da ist noch eine ganze Menge Spontanität drin. Ich habe zwar mein Gerüst, vor allem die Fakten und die historischen Figuren. Dann stelle ich ihnen meinen erfundenen Charakter an die Seite, hier Yvain of Waringham, und überlege mir die wichtigsten Eckdaten, die in seinem Leben passieren sollen. Viel mehr plane ich aber nicht. Ich fange dann an zu schreiben und lasse viel Spielraum für spontane Ideen. Ich weiß vorher nicht ganz genau, wie der Charakter meines Protagonisten sich beim Erwachsenwerden, in diesen 20 Jahren seines Lebens, entwickeln wird.

Aber als Schriftstellerin können Sie entscheiden, ob jemand Glück hat oder Pech, lebt oder stirbt. Macht es Spaß, Gott zu spielen?

Ja, das macht schon Spaß. Es sind meine Figuren und ich kann mit ihnen machen was ich will und das ist schon ein tolles Gefühl.

Und entscheiden Sie dann manchmal gegen Ihre Sympathien? Nach dem Motto, eigentlich möchte ich ja, dass er lebt, aber aus dramaturgischen Gründen stirbt er jetzt?

Ja, man muss schon hart zu seinen Figuren sein können, weil es sonst ein langweiliger Roman wird. "Lass‘ sie leiden" ist ein Grundsatz des Erzählens.

Sie schreiben praktisch immer über das Mittelalter und das hat heutzutage keine gute Presse. Es war grausam, die Menschen waren abergläubisch und ungebildet und es war eben das finstere Mittelalter. War es wirklich so?

Das war sicherlich ein Aspekt, aber das Mittelalter war viel besser als sein Ruf. Und das ist auch ein bisschen meine Mission, mit diesen Klischees aufzuräumen. Und zu zeigen, dass es auch eine ganz andere Seite und viele schöne Facetten gab. Zumal diese Vorurteile erst in der Aufklärung geprägt wurden.

Gibt es da ein klassisches Klischee, dass Sie jedes Mal aufregt?

Hexenverbrennung! Das wird immer dem Mittelalter angelastet und es hat auch eine Handvoll von Hexenverbrennungen im Mittelalter gegeben, aber die Hochzeit dieses Grauens war die Zeit der Gegenreformation. Und das zog sich bis ins 18. Jahrhundert hin. Aber das wird immer dem Mittelalter zugerechnet und das ist unwahr und das ärgert mich.

Über das Mittelalter gibt es Hunderte Bücher. Wie informiert sind die Deutschen aber tatsächlich über diese Zeit?

Das sehe ich sehr differenziert. Am meisten tausche ich mich darüber natürlich mit meinen Lesern aus. Und das sind Menschen, die gern historische Romane lesen und deshalb natürlich auch interessiert sind. Aber manchmal werde ich ins Fernsehen eingeladen, um über mein neues Buch zu sprechen, und dann sitzt mir ein 30 Jahre alter Moderator gegenüber, der keinen Geschichtsunterricht in der Schule hatte, und da ist das Unwissen dann schon oft frappierend.

Seit 800 Jahren diskutieren die Historiker, ob Richard Löwenherz homosexuell war. Wenn er es war und seine Zeitgenossen hätten es gewusst, hätte er dann König sein können?

Das Mittelalter war sehr intolerant was Homosexualität angeht. Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, wie stigmatisiert es war. Es wurde "die stumme Sünde" genannt, weil sie so schrecklich war, dass man nicht drüber sprechen konnte. Aber Richard war natürlich in einer Machtposition und konnte sich deshalb zumindest die Gerüchte leisten. Ein Chronist berichtet zum Beispiel, dass Richard, als er schon auf dem Sterbebett lag, sich junge Männer und junge Frauen aus den umliegenden Dörfern bringen ließ, mit denen er sich dann noch vergnügte. Ob das stimmt? Es war ein Chronist, der ihm nicht besonders wohlgesinnt war. Aber obwohl es damit quasi aktenkundig war, blieb sein Ruf intakt.

Ganz anderes Thema: Was halten Sie von E-Books, von elektronischen Büchern auf Lesegeräten? Ist das der Tod der Literatur oder ein tolles neues Medium?

Nein, das ist ohne Frage ein tolles Medium. Nichts ist in der Tat so schön wie ein Buch, dass man in die Hand nehmen und aufschlagen kann. Gerade, wenn es neu ist, hat es noch diesen wunderbaren Duft. Und das Rascheln der Seiten beim Umblättern! Nichts kann je so schön sein. Aber wenn ich beim Zahnarzt im Wartezimmer sitze und kann auf meinem Telefon das Buch weiterlesen, in dem ich gerade lese, und muss nicht zur Frauenzeitschrift greifen, ist das doch toll. Und wenn ich in den Urlaub fahre, muss ich nicht genau planen, wie viel und welche Bücher ich mitnehmen darf und dann ist trotzdem zur Mitte des Urlaubs nichts mehr zu lesen da, was für mich früher immer ein Schrecken des Urlaubs war. Das ist doch alles viel einfacher geworden.

Und wie sieht es mit Hörbüchern aus?

Ich liebe Hörbücher! Ich höre sehr viel und im Moment höre ich sogar mehr als ich lese. Alle manuellen Tätigkeiten, die man nicht gerne macht - Gartenarbeit oder Bügeln oder anderes mehr - kann man sich versüßen mit Hörbüchern. Als das Hörbuch aufkam, hat ein amerikanischer Verlag mit dem Slogan "Verdoppele Deine Zeit!" geworben. Und das finde ich sehr treffend.

Wer sind denn Ihre Lieblingsautoren? Und was Ihr Lieblingsbuch?

Das ist ganz, ganz schwer, weil es nicht das eine Lieblingsbuch gibt. Aber zu dem Stapel, den ich mit auf eine einsame Insel mitnehmen würde, würde "Der Herr der Ringe" gehören und "Das Bildnis des Dorian Gray" von Oscar Wilde und fünf, sechs andere. Oder auch der "Medicus" von Noah Gordon. Den habe ich vor kurzem noch einmal als Hörbuch gehört und so richtig wiederentdeckt. Das ist einfach eine großartige Geschichte. Die ist nicht einmal so toll recherchiert und viele Details sind falsch, aber die Summe ist richtig. Natürlich ist es Quatsch, dass damals die Leute alle lesen konnten und Glasfenster in den Häusern hatten. Aber das Gesamtbild des Mittelalters ist schon irgendwie richtig.

Und wer ist zu Unrecht erfolgreich?

Rebecca Gablé: Oh, was für eine gemeine Frage. Aber Dona Leon! Das sind sehr lahme Krimis, die nur von diesem Venedig-Flair leben. Regionalkrimis sind sowieso ein rotes Tuch für mich. Ein Buch wird nicht deshalb gut, weil alle Straßennamen in der richtigen Reihenfolge korrekt genannt sind. Die Figuren haben kein Fleisch auf den Rippen und die Stories sind lahm und man könnte jetzt gehässig sagen, dass es deshalb auch nur von deutschen Lehrern gelesen wird. Ich weiß, das ist gemein und sie ist ja nun auch wirklich sehr erfolgreich. Aber warum, das erschließt sich mir überhaupt nicht. Und es ist ja auch bezeichnend, dass sie in Italien überhaupt nicht gelesen wird.

Sie bekommen bestimmt viel Fanpost. Aber wenn sich mal einer beschwert, worüber?

Vor zwei Wochen habe ich eine E-Mail von einer Geschichtsstudentin bekommen, die sich bitterlich darüber beklagte, dass ich Richard III. den Mord an seinen beiden Neffen angelastet habe. Das ist in der Tat eine strittige historische Frage. Ich bin von seiner Schuld überzeugt. Das habe ich ihr gegenüber auch vertreten. Aber sie fand das Buch auch ansonsten doof. Aber das passiert. Man kann nun mal kein Buch schreiben, dass allen gefällt. Manchmal ist es natürlich auch sehr berechtigte Kritik. Einmal habe ich eine Kräuterfrau Kleehonig verwenden lassen. Und da schrieb mir dann eine Kundige, dass der aus Amerika komme und dass es den im Mittelalter in Europa noch gar nicht gegeben habe. Da habe ich mir gesagt, hättest du mal einfach "Honig" geschrieben!

ZUR PERSON: Rebecca Gablé, 1964 geboren, war früh vom englischen Mittelalter fasziniert. Schon während des Studiums der Literaturwissenschaft und Mediävistik schrieb sie, anfangs wollte aber niemand ihre Romane verlegen. Anfangs schrieb sie Kriminalromane, der Durchbruch kam aber 1997 mit dem Historienroman "Das Lächeln der Fortuna". Seitdem veröffentlicht sie regelmäßig Krimis und vor allem historische Bücher, von denen die um das fiktive Geschlecht der Waringhams die bekanntesten sind. Sie lebt nach wie vor in ihrem Geburtsort Wickrath, heute ein Teil von Mönchengladbach.

Website Rebecca Gablé

"Teufelskrone" bei Bastei-Lübbe