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Kriminalität Acht Schüsse auf Intensivtäter - Rache?

Ermittler in Berlin haben kriminelle Teile arabischer Großfamilien in den letzten Wochen unter Druck gesetzt. Nun gibt es einen Toten.

10.09.2018, 23:01

Berlin (dpa) l Nach tödlichen Schüssen auf einen polizeibekannten Straftäter aus einer arabischstämmigen Großfamilie will die Hauptstadt-Polizei Racheakte verhindern. Berlin habe "exzellente Szenekenntnisse", doch Gewaltexzesse ließen sich nicht immer verhindern, sagte der Leiter der Abteilung Organisierte Kriminalität im Landeskriminalamt, Sebastian Laudan, am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. In dem Fall stünden die Ermittlungen erst am Anfang. "Wir müssen Licht ins Dunkel bringen." Das Tatmotiv war noch unklar – zu hören waren aber Spekulationen über Rivalitäten konkurrierender Familien und persönliche Rache.

Nidal R. war am Sonntag gegen 17.40 Uhr auf der Oderstraße in Neukölln niedergeschossen worden, wo er mit seiner Familie unterwegs war. Anschließend flüchteten laut Polizei mehrere Menschen mit einem Auto vom Tatort. Zeugen alarmierten Polizei und Rettungskräfte. Der Angeschossene wurde am Tatort nahe dem Tempelhofer Feld reanimiert und in ein Krankenhaus in Steglitz gebracht, wo er seinen schweren Verletzungen erlag.

Von der Polizei hieß es zur Identität des Opfers nur, der Mann sei im Libanon geboren. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Martin Steltner dementierte jedoch den Namen des Opfers am Montag nicht. Vier Menschen kamen demnach auf den 36-Jährigen zu, dann fielen acht Schüsse, wie der Sprecher mitteilte. Die Obduktion habe ergeben, dass das Opfer innerlich verblutete. Vier Schüsse hatten demnach innere Organe verletzt.

Zwischenzeitlich hätten die Ermittler einen Mann unter Verdacht gehabt, dieser habe sich aber nicht erhärtet, so der Sprecher. Jetzt werden laut Staatsanwaltschaft auch Bilder vom Geschehen unmittelbar vor den Schüssen ausgewertet.

Eine heiße Spur zum Täter gibt es noch nicht. Die kurz nach der Tat zunächst getwitterte Information, es sei ein Verdächtiger festgenommen worden, war laut Polizei falsch.

Vor dem Krankenhaus, in das der angeschossenen Mann gebracht worden war, hatte sich am Sonntagabend eine aufgebrachte Menge versammelt. Mit einem Großaufgebot bewachte die Polizei das Gebäude in Steglitz. Das Krankenhaus wurde aber nicht beschädigt, es seien auch keine Steine in Fenster geworfen worden.

Nidal R. soll bereits im Alter von zehn Jahren erste Straftaten verübt haben, war damals aber noch strafunmündig. Seit seinem 15. Lebensjahr stand er immer wieder vor Gericht – aus Jugendschutzgründen wurde unter dem Namen "Mahmoud" über ihn berichtet. Anklagen lauteten auf Körperverletzung, Raub, Bedrohung, Nötigung, Drogendelikten sowie Fahrens ohne Führerschein, Gefährdung des Straßenverkehrs, Unfallflucht.

Im Fall des Intensivtäters gab es Dutzende Ermittlungsverfahren. Diese kriminelle Karriere war auch Auslöser für die Staatsanwaltschaft, eine Spezialabteilung für jugendliche Intensivtäter zu gründen.

Eine Abschiebung in den Libanon scheiterte 2004 wegen ungeklärter Staatsbürgerschaft. Der kräftige Mann verbrachte viele Jahre hinter Gittern. Zuletzt wurde er im Mai 2014 zu dreieinhalb Jahren Haft wegen mehrerer Verkehrsdelikte verurteilt. Schon im November 2010 war auf den damals 28-Jährigen in Neukölln geschossen worden, kurz nach einer damaligen Haftentlassung. Er war damals nur leicht verletzt worden.

Experte Laudan vom Landeskriminalamt verwies im Innenausschuss auf zahlreiche Aktionen gegen kriminelle Mitglieder von arabischstämmigen Clans wie Durchsuchungen, Beschlagnahmungen von Immobilien und Autos in den vergangenen Wochen. Zugleich betonte Laudan: "Wir ermitteln nicht gegen Familien, sondern gegen Straftäter." Den Clan-Begriff verwende die Polizei nicht, er sei stigmatisierend.

Zur sogenannten arabischen Liga zählt das LKA demnach etwa 138.000 Einwohner, davon seien 36 Prozent deutsche Staatsbürger. 13 Ermittlungskomplexe wie Eigentumsdelikte, Rauschgifthandel und Schmuggel bezogen sich auf diese Personengruppe. Zunehmend hätten es die Ermittler mit "multifunktionalen Tätern" zu tun, zunehmend würden über das Internet weitere lukrative Geschäftsfelder erschlossen. Zudem formiere sich die Rapperszene neu und wachse. Es gehe um sehr viel Geld, Macht und Einfluss, sagte Laudan. Mit Sorge werde auch eine "Tendenz zur Bewaffnung" beobachtet.