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Fragen und Antworten zur Finanznot der Kommunen in Deutschland Am Ende kommt der Sparkommissar

Von Georg Ismar 20.04.2010, 05:16

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 19.04.2010 22:00:00
Wirtschaftskrise, schrumpfende Steuereinnahmen, Geldverschwendung: Die Kommunen in Deutschland geraten finanziell immer stärker unter Druck. Schon jetzt klaffen in den Kassen der meisten Städte und Gemeinden enorme Löcher. Nach der nächsten Steuerschätzung im Mai dürften die Geldsorgen noch größer werden. Wie groß ist die Not? Was erwartet die Bürger? Fragen und Antworten zur Finanznot der Kommunen.

Menden ist eine 60000- Einwohner-Stadt im Sauerland. Der 1872 eröffnete Bahnhof ist einer der hässlichsten Deutschlands. Das einst stolze Gebäude modert vor sich hin. Der Stadt fehlen Geld und seriöse Investoren, um den Bahnhof zu retten. Jetzt wird er abgerissen, an seine Stelle kommt ein Parkplatz und Parkgebühren sollen etwas Geld in die Kasse spülen.

Das Beispiel zeigt: Kommunalfinanzen sind ein Thema, das jeden angeht. Viele Städte und Gemeinden agieren nur noch mit einem Nothaushalt – die Kommunalaufsicht diktiert, wofür noch Geld ausgegeben werden darf. Mit bangem Blick schauen die Kämmerer auf die nächste Steuerschätzung im Mai.

p Wo ist die Finanzmisere am größten?

Am höchsten verschuldet sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Gemeinden im Saarland mit 5403 Euro Schulden pro Einwohner (2008). Es folgten Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt.

Wo Unternehmen wegen der Krise weniger Gewerbesteuern abführen, ist die Lage besonders schwierig. Mit "nur" 2006 Euro Schulden pro Einwohner standen die Kommunen Schleswig-Holsteins 2008 am besten da. Der Geschäftsführer des schleswig-holsteinischen Gemeindetags, Jörg Bülow, begründet das mit den vielen kleinen Kommunen im Norden, in denen etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt. Diese Kommunen hätten viel Personal abgebaut und wirtschafteten sparsam.

p Sind die Kommunen nur Opfer steigender Sozialausgaben und sinkender Steuereinnahmen?

Nicht nur. Sie haben lange über ihre Verhältnisse gelebt. Kritiker fragen: Braucht eine 50000-Einwohner-Stadt drei Freibäder und ein Erlebnishallenbad? Im dicht besiedelten Ruhrgebiet hat fast jede Stadt eigene Theater und Orchester.

Konkurrenz statt Kooperation hat teure Doppelstrukturen geschaffen. Um Kredite und Zinsen bezahlen zu können, werden immer mehr Kassenkredite aufgenommen, deren variable Zinsen für die Gemeinden hohe Risiken bergen. Und: Kommunen schlossen über 130 Cross-Border-Leasing-Verträge ab (siehe unten).

p Kann eine Stadt eigentlich pleitegehen?

Eigentlich nicht, in der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung, § 128, Absatz 2, heißt es zum Beispiel: "Ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinde ist unzulässig." Im Notfall muss das Land einspringen. Eine Pleite habe es seines Wissens noch nicht gegeben, höchstens mal eine Zahlungsunfähigkeit für einen Tag, sagt der Kommunalwissenschaftler Lars Holtkamp. "Ein Problem ist auch, dass viele Kredite bei Sparkassen und Volksbanken aufgenommen werden, die wiederum von den Kommunen selbst kontrolliert werden", sagt Holtkamp, der an der Fern-Universität Hagen lehrt. Letztlich zählen vor allem politische Gründe: Einschnitte oder gar eine Insolvenz fallen auf die Landtagsabgeordneten aus den Regionen zurück und schmälern ihre Wiederwahlchancen.

p Reichen die Sanktionsinstrumente?

Bei nicht ausgeglichenem Haushalt müssen Kommunen meist der Bezirksregierung ein Haushaltssicherungskonzept mit Sparmaßnahmen vorlegen. Genehmigt die Bezirksregierung als Kommunalaufsicht das Konzept nicht, hat die Kommune einen Nothaushalt. Sie verliert ihre Autonomie und die Bezirksregierung kann einzelne Ausgaben untersagen. Im schlimmsten Fall kann sie einen Sparkommissar bestellen, der an Stelle von Rat und Bürgermeister entscheidet. Das Problem sei, dass sich viele Kommunen im Nothaushalt einrichten, sagt Holtkamp.

Weil es immer mehr Notkommunen gibt, werden die Kontrollen der Kommunalaufsicht oberflächlicher, sagt Holtkamp. Er bilanziert: "Wird die Kommunalaufsicht zum Massenbetrieb, kommt die einzelne Kommune mit gravierenden Haushaltsproblemen in der Horde häufig ungeschoren davon."

p Wie kann eine Lösung der Probleme aussehen?

Der Städte- und Gemeindebund fordert vom Bund eine Neuverteilung der Steuern. Wirtschaftsverbände kritisieren, dass Freiberufler vom Anwalt und Architekten bis zum Arzt von der Gewerbesteuer befreit sind. Es gibt auch Rufe nach einer Mehrwertsteuererhöhung auf 21 Prozent . Eine Kommission von Bund und Ländern sucht nach einer Lösung – vorerst bleibt aber nur ein Mix aus Schließungen, Personalabbau und dem Drehen an der Gebührenschraube.

p Was wird die Steuerschätzung im Mai bringen?

Experten von Bund und Ländern, kommunalen Verbänden, Bundesbank, Forschungsinstituten und Statistischem Bundesamt prognostizieren zweimal im Jahr die Steuereinnahmen. Ihre Vorhersagen bilden die Basis für die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen.

Für die Kommunen ist die diesjährige Mai-Schätzung wegweisend, da sie in einer der schwersten Krisen seit Jahrzehnten stecken. Nach einem Minus von 7 Milliarden Euro 2009 erwarten die deutschen Kommunen für das Jahr 2010 ein Rekorddefizit von insgesamt 12 Milliarden Euro.(dpa)