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Neues Gesetz in Nordrhein-Westfalen macht Sauerland-Abwahl in Duisburg möglich Bürger stürzen ihren Bürgermeister - geht so etwas auch in Sachsen-Anhalt?

14.02.2012, 05:24

Die Stadt Duisburg hat ihren Oberbürgermeister per Bürgerentscheid abgewählt. Die Mehrheit der Bürger sah also in Adolf Sauerland (CDU) den politischen Verantwortlichen für das Unglück bei der Loveparade am 24. Juli 2010, bei dem 21 Menschen ums Leben gekommen waren. Als Oberbürgermeister leitete er die Stadtverwaltung, welche die Veranstaltung genehmigt hatte. Vor dem Unglück habe er keine Kenntnis von Sicherheitsbedenken gehabt, beteuerte Sauerland immer wieder und wies Rücktrittsforderungen stets zurück.

Als der Duisburger Stadtrat am 13. September 2010 über einen Abwahlantrag abstimmte, erreichte dieser nicht die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. Doch die heftige und mitunter auch mit parteipolitischen Vorzeichen geführte Debatte erreichte schnell den Landtag von Nordrhein-Westfalen. Dieser verabschiedete am 18. Mai 2011 auf Antrag der Linken das Gesetz zur Einleitung von Abwahlverfahren von Bürgermeistern und Landräten durch Bürgerbegehren. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Rat war nicht mehr notwendige Voraussetzung. Das sollte die Mitwirkungsrechte der Bürger stärken.

Daraufhin sammelte die Bürgerinitiative "Neuanfang für Duisburg" bis Mitte Oktober 2011 insgesamt 79149 Unterschriften (knapp 22 Prozent der Wahlberechtigten). Der Bürgerentscheid über die Abwahl fand schließlich am vergangenen Sonntag statt. Adolf Sauerland, der am 30. August 2009 für eine weitere Amtszeit wiedergewählt worden war, wurde abgewählt. Am Rande bemerkt ist es womöglich mehr als eine juristische Petitesse, darauf hinzuweisen, dass das Abwahlgesetz in Kraft trat, als Sauerland schon längst im Amt war. Schon möglich, dass sich ein Kläger gegen diese Rückwirkung findet.

Vorerst aber entfacht das Duisburger Abstimmungsergebnis die Debatte über mehr Bürgerbeteiligungen - nicht nur in Nordrhein-Westfalen. Die Möglichkeit zur direkten Abwahl von Bürgermeistern durch die Bevölkerung habe sich bei ihrem ersten Praxistest in einer Großstadt bewährt, meint der Münsteraner Wahlrechtsexperte Prof. Janbernd Oebbecke. "Die Quoren für Einleitung und Abwahl sind nicht zu hoch, aber auch nicht zu niedrig", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Die Abwahl per Bürgerentscheid sei eine sinnvolle Ergänzung der Gemeindeordnung, die politische Korrektur durch die Bürger erlaube, ohne das repräsentative System auszuhebeln, findet Oebbecke. Er rechne nicht mit Abwahlinitiativen als Massenphänomen.

"Bürgermeister sollen eine starke Position haben"

Für die Abwahl Sauerlands hatten fast 130000 Bürger gestimmt. Damit wurde das Abwahlquorum von 25 Prozent der Wahlberechtigten deutlich überschritten. Bevor diese Abwahlmöglichkeit im vergangenen Jahr eingeführt wurde, war - wie gesagt- eine Abwahl nur bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Rat möglich. Eine ähnliche Barriere errichtet auch die für das Land Sachsen-Anhalt gültige Gemeindeordnung.

Wie können in diesem Land Bürger ihre Stadtoberhäupter vorzeitig abwählen? Nach Paragraph 26 der Gemeindeordnung könne dies nicht einfach durch einen Bürgerentscheid geschehen, erläutert Jürgen Leindecker, Landesgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes in Sachsen-Anhalt, gegenüber der Volksstimme.

Paragraph 61 zufolge muss ein Antrag auf Abwahl im Gemeinderat von einer Zwei-Drittel-Mehrheit gestützt werden, dann müssen drei Viertel der Mitglieder eines Gemeinderates die vorzeitige Abwahl beschließen.

Dem schließt sich eine direkte Abwahl durch die Bürger der Gemeinde an. Damit folge das Gesetz der Logik der direkten Wahl, wie Leindecker sagt. Nur wer den Bürgermeister - in Sachsen-Anhalt für sieben Jahre - gewählt hat, kann ihn letztlich auch abwählen.

Freilich stellt das Gesetz auch da Hürden auf. So müssen bei der Abstimmung wenigstens 30 Prozent aller Wahlberechtigten für die Abwahl votieren. "Der Bürgermeister ist "abgewählt, wenn sich für die Abwahl eine Mehrheit der gültigen Stimmen ergibt, sofern diese Mehrheit mindestens 30 vom Hundert der Wahlberechtigten beträgt", heißt es im Gesetz.

Insgesamt steht also ein recht hoher Hürdenwald, bevor das "plebiszitäre Element" greifen kann. Warum ist das so? "In den Jahren von 1992 bis 1994 gab es ein regelrechtes Bürgermeisterkegeln in Sachsen-Anhalt", erinnert sich Leindecker. Das lag daran, dass die DDR-Kommunalverfassung vom Mai 1990 keine Quoren vorgab.

"Aber wir wollen, dass die Bürgermeister nicht von aktuellen Verärgerungen und Missstimmungen abhängig sind. Bürgermeister sollen nicht schmalbrüstig sein, sondern eine starke Position haben. Deshalb stärkt ihnen das Gesetz den Rücken", so Leindecker.

Freilich, der Bürgermeister muss erst einmal eine Zwei-Drittel-Mehrheit bzw. Drei-Viertel-Mehrheit im Rat gegen sich haben. Das dürfte wohl sehr selten der Fall sein. "Sobald es nicht um persönliche Verfehlungen, sondern um politisch strittige Sachverhalte geht, stützt die Fraktion des Bürgermeisters natürlich ihren Mann", sagt Wahlrechtsexperte Oebbecke.