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Reichsbürgerszene Ex-AfD-Abgeordnete bei Razzia festgenommen

Der Verfassungsschutz spricht von einem „Schlag gegen militante und weit vernetzte Teile der Reichsbürgerszene“. Bundesweit gab es Razzien und Festnahmen - auch in Berlin. Festgenommen wurde auch eine frühere AfD-Abgeordnete, die heute als Richterin tätig ist.

Von dpa Aktualisiert: 08.12.2022, 22:29
Ein Mann hält ein Heft mit dem Aufdruck „Deutsches Reich Reisepass“ in der Hand.
Ein Mann hält ein Heft mit dem Aufdruck „Deutsches Reich Reisepass“ in der Hand. Patrick Seeger/dpa/Symbolbild

Berlin/Karlsruhe - Im Zuge der Anti-Terror-Aktion gegen die Reichsbürgerszene ist die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann festgenommen worden. Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft gehört die 58-Jährige einer terroristische Vereinigung an, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereitet hat. In Berlin wurden ihre Wohnung und ein Lagerraum durchsucht. Laut Senatsinnenverwaltung war es die einzige Aktion im Rahmen der deutschlandweiten Razzia in der Hauptstadt. Am Landgericht Berlin ist Malsack-Winkemann ab sofort zunächst nicht mehr an aktuellen Entscheidungen beteiligt.

Insgesamt ließ die Bundesanwaltschaft 25 Menschen in mehreren Bundesländern sowie in Italien und Österreich festnehmen. Als ein Rädelsführer gilt der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen. „Reichsbürger“ sind Menschen, die die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht anerkennen. Der Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu.

Malsack-Winkemann war im März 2022 ins Richteramt zurückgekehrt, nachdem sie von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag war. Berlins Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hatte versucht, dies zu verhindern - erfolglos. Nun sieht sie sich bestätigt. Die Juristin sei nach ihrer Einschätzung eine „brandgefährliche Person“, sagte Kreck. „Das ist eine Person, die als Richterin auf keinen Fall mehr tätig sein darf.“

Die Senatsverwaltung werde alle Mittel ausschöpfen, um dies durchzusetzen, betonte die Senatorin. Sie werde dafür kämpfen, dass die Richterin nicht nur ihr Amt verliere, sondern auch kein Ruhegehalt bekomme.

Das Verwaltungsgericht Berlin hatte im vergangenen Oktober als Dienstgericht den Antrag der Senatsjustizverwaltung zurückgewiesen, die gebürtige Darmstädterin wegen ihrer politischen Reden im Bundestag und weiterer Äußerungen in den Ruhestand zu versetzen. Das Grundgesetz garantiere die Redefreiheit im Bundestag, die dortigen Reden dürften zu keinen dienstlichen Verfolgungen oder anderen Sanktionen durch den Staat führen, hieß es vom Gericht.

Malsack-Winkemann sagte damals, sie habe die Aufgaben getrennt und nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag „sofort reagiert und davon Abstand genommen“. Die Mutter zwei Kinder, die ihr zweites Staatsexamen 1993 in Stuttgart ablegte, war zuletzt am Landgericht in der Zivilkammer 19a für Bausachen zuständig. Am Mittwoch sei die Juristin aus dieser Kammer ausgeschieden, teilte eine Gerichtssprecherin auf Anfrage mit. Der Geschäftsverteilungsplan sei am selben Tag per Eilverfügung entsprechend geändert worden.

Malsack-Winkemann ist damit vorerst nicht in aktuelle Verfahren eingebunden. Sie steht den Angaben zufolge aber weiterhin als Richterin zur Verfügung auf einer sogenannten Bereitschaftsliste. Weitere Angaben zum Dienstverhältnis der Richterin könne sie nicht machen, erklärte die Sprecherin und verwies auf die Zuständigkeit der Senatsjustizverwaltung. Justizsenatorin Kreck teilte mit, ihr Haus gehe in Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts. Dies sei ohnehin beabsichtigt gewesen, erklärte Kreck. „Jetzt haben wir natürlich allen Grund dafür.“

Zuständig für den Fall ist nun der Dienstgerichtshof beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg. Inwiefern dort bereits die aktuellen Ermittlungen bei einer Entscheidung berücksichtigt werden, hängt vom Gericht ab.

Die Parteispitze der AfD wusste nach eigenen Angaben nichts von möglichen Aktivitäten der früheren Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann im sogenannten Reichsbürgermilieu. „Von dem Fall haben wir heute, wie die meisten Bürger auch, erst aus den Medien erfahren“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel vom Mittwoch.

Die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker reagierte bestürzt auf die Festnahme von Malsack-Winkemann. „Wir sind alle überrascht“, sagte Brinker am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Der Verdacht wiegt sehr schwer.“ Allerdings gelte auch für Malsack-Winkemann zunächst die Unschuldsvermutung. „Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre sicher ein Parteiausschlussverfahren die Folge.“

Malsack-Winkemann ist nach eigenen Angaben seit April 2013 Mitglied der AfD. Von 2015 bis 2017 war sie stellvertretende Vorsitzende der AfD im Berliner Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf. Nach Angaben von Landesparteichefin Brinker nahm die Juristin bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag rege am Parteileben teil. „Dann hatte man den Eindruck, dass sie sich zurückgezogen hat.“ Sie sei seither in der Partei quasi nicht mehr in Erscheinung getreten. Dies habe sie offenbar getan, weil sie wieder als Richterin arbeitete.

Für Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) verdeutlichen die Vorgänge, welche Bedrohung „Reichsbürger“ darstellen. „Die kruden Vorstellungen dieser Szene, die oft mit Verschwörungserzählungen einhergehen, sind eine toxische Mischung, aus der sich konkrete Gefährdungen für unsere Demokratie entwickeln“, sagte Spranger.

CDU-Landeschef Kai Wegner sprach sich für eine konsequente Beobachtung des sogenannten Reichsbürger-Milieus durch den Verfassungsschutz aus. Die Szene radikalisiere sich immer stärker und müsse weiter intensiv durch den Verfassungsschutz beobachtet werden. „Das Netzwerk, zu dem offenkundig auch einflussreiche Kreise der AfD zählen, muss vollständig ausgeleuchtet werden“, forderte Wegner. „Deshalb muss die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz neu auf die Agenda.“

Berlins Linke-Vorsitzende Katina Schubert erklärte, Rechtsextreme dürften in einer Demokratie kein Recht sprechen. „Mutmaßliche Rechtsterroristinnen gehören im Gerichtssaal auf die Anklagebank und nicht an den Richtertisch“, sagte sie.