1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Parlament in Kiew stimmt Verhängung des Kriegsrechts zu

Konflikt mit Moskau eskaliert Parlament in Kiew stimmt Verhängung des Kriegsrechts zu

Kleine Meerenge, großer Konflikt: Im jahrelangen Streit zwischen den Nachbarstaaten Ukraine und Russland droht eine weitere Eskalation. Präsident Poroschenko bekommt deshalb vom Parlament freie Hand für den Ausnahmezustand.

26.11.2018, 22:05

Kiew (dpa) - Im Konflikt mit Russland im Asowschen Meer hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko für 30 Tage das Kriegsrecht verhängt, um das Land besser schützen zu können.

Zur Begründung nannte der Staatschef in einer Fernsehansprache den Übergriff russischer Küstenwachschiffe auf ukrainische Marineboote in der Meerenge von Kertsch. Das Kriegsrecht gilt von Mittwoch an.

Nach turbulenter Debatte billigte das Parlament in Kiew am Montag Poroschenkos Erlass mit großer Mehrheit. Die Abgeordneten rangen ihm aber Zugeständnisse ab. Sie legten auch die nächste Präsidentenwahl in der Ex-Sowjetrepublik auf den 31. März 2019 fest.

International löst die jüngste Eskalation zwischen Russland und der Ukraine Besorgnis aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte in einem Telefonat mit Poroschenko, notwendig seien Deeskalation und Dialog. Dafür werde sich die Kanzlerin einsetzen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. "Die Entwicklungen, die wir rund um das Asowsche Meer sehen, sind außerordentlich besorgniserregend. Wir rufen alle Beteiligten zu größtmöglicher Zurückhaltung auf", sagte Außenminister Heiko Maas bei einem Besuch in Spanien. US-Präsident Donald Trump erklärte, die Entwicklung sei nicht gut. "Wir sind darüber überhaupt nicht glücklich."

Im UN-Sicherheitsrat warfen die USA Russland eine "skandalöse Verletzung" der ukrainischen Souveränität vor. Die wiederholten "gesetzlosen Handlungen" Russlands machten es unmöglich für US-Präsident Donald Trump, eine normale Beziehung zu Moskau aufzubauen. Das sagte die US-Botschafterin Nikki Haley bei einer Dringlichkeitssitzung des Rates in New York. Der Rat lehnte den russischen Antrag ab, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen.

Am Sonntag hatte die russische Küstenwache Patrouillenbooten der ukrainischen Marine die Durchfahrt in der Meerenge von Kertsch an der annektierten Halbinsel Krim verweigert. Eines der Schiffe wurde dabei gerammt. Später wurden alle drei ukrainischen Schiffe gestoppt, Russen übernahmen an Bord die Kontrolle. Dabei wurden mehrere Menschen verletzt. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB begründete die Blockade mit einer Verletzung der russischen Grenze.

Poroschenko sprach in der Obersten Rada in Kiew von der Gefahr, dass Russland auch zu Land angreifen könnte. Die Maßnahmen des Kriegsrechts wurden deshalb auf die ukrainischen Gebiete begrenzt, die an Russland grenzen. Außerdem gehören die Gebiete an den Küsten von Schwarzem und Asowschen Meer sowie die ukrainische Grenzregion zu Transnistrien in der Republik Moldau dazu. Auch dort stehen russische Truppen. "Das ist überall dort, wo ein Angriff erfolgen kann", sagte Poroschenko.

Die räumliche Begrenzung war jedoch ebenso ein Zugeständnis wie die Dauer von 30 Tagen. In einem ersten Erlass vom Montagnachmittag hatte Poroschenko noch 60 Tage verfügt. Für das Kriegsrecht stimmten am Ende 276 Abgeordnete der nominell 450 Abgeordneten, 30 votierten dagegen. Es gab jedoch auch grundsätzliche Kritik. Die drei Ex-Präsidenten Leonid Krawtschuk, Leonid Kutschma und Viktor Juschtschenko sagten, die Ausrufung des Kriegsrechts werde die Lage nicht verändern. "Sind die Risiken gerechtfertigt? Hilft es im Kampf gegen den Aggressor?", hieß es in einer Erklärung.

Moskau mutmaßt, dass der Vorfall auf See vor allem Poroschenko im Wahlkampf zugute kommen könnte. In Umfragen liegt er nämlich seit Wochen weit abgeschlagen hinter der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. "Die westlichen Unterstützer Kiews sollen dort jene zur Vernunft bringen, die aus Kriegshysterie politischen Profit schlagen wollen", sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Der Kreml nannte das Vorgehen Kiews deshalb auch eine gezielte Provokation.

Der Konflikt der Nachbarländer dauert seit fünf Jahren. 2013 hatten Massenproteste zu einer Absetzung des pro-russischen Präsidenten Viktor Janukowitsch geführt. Die anschließende Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und der bis heute andauernde Krieg in der Ostukraine führten zur schwersten Krise zwischen dem Westen und Russland seit Ende des Kalten Krieges. Im Osten beschießen sich Regierungssoldaten und von Moskau unterstützte Separatisten täglich; bislang sind mehr als 10 000 Menschen in dem Konflikt getötet worden.

Die Nato-Staaten forderten Russland zu Zurückhaltung auf. "Es gibt keinerlei Rechtfertigung für den Einsatz von militärischer Gewalt gegen ukrainische Schiffe und Marinepersonal", sagte Generalsekretär Jens Stoltenberg nach einer Sondersitzung der Nato-Ukraine-Kommission in Brüssel. Man rufe Russland auf, die festgesetzten ukrainischen Seeleute und Schiffe unverzüglich freizugeben.

Die Behörden auf der Halbinsel Krim teilten mit, die mehr als 20 festgehaltenen ukrainischen Matrosen würden als Grenzverletzer in Arrest genommen. Später könnten sie gegen russische Gefangene in der Ukraine ausgetauscht werden.

Tusk auf Twitter

Poroschenko, Ukrainisch

Seite des ukrainischen Präsidenten

Poroschenko zu Gebieten mit Kriegsrecht (Ukr.)

Ukrainische Marineboote fahren an der Halbinsel Krim in der Nähe der Meerenge zum Asowschen Meer in Gewässern, die von Russland beansprucht werden. Foto: Tass
Ukrainische Marineboote fahren an der Halbinsel Krim in der Nähe der Meerenge zum Asowschen Meer in Gewässern, die von Russland beansprucht werden. Foto: Tass
Tass
Kinder aus einem Waisenhaus helfen den Verteidigern der Stadt Mariupol, Schützengräben auszuheben. Foto: Sergey Vaganov/AP
Kinder aus einem Waisenhaus helfen den Verteidigern der Stadt Mariupol, Schützengräben auszuheben. Foto: Sergey Vaganov/AP
AP
Ein Demonstrant wirft eine Rauchgranate während einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Kiew. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine droht erneut zu eskalieren. Foto: Efrem Lukatsky/AP
Ein Demonstrant wirft eine Rauchgranate während einer Demonstration vor der russischen Botschaft in Kiew. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine droht erneut zu eskalieren. Foto: Efrem Lukatsky/AP
AP
Ein starkes Polizeiaufgebot sichert die russische Botschaft in Kiew ab. Foto: Efrem Lukatsky/AP
Ein starkes Polizeiaufgebot sichert die russische Botschaft in Kiew ab. Foto: Efrem Lukatsky/AP
AP
Vermummte Demonstranten nehmen an einem Protest vor dem ukrainischen Parlamentsgebäude teil. Foto: Serg Glovny/ZUMA Wire
Vermummte Demonstranten nehmen an einem Protest vor dem ukrainischen Parlamentsgebäude teil. Foto: Serg Glovny/ZUMA Wire
ZUMA Wire
In Kiew versammelten sich Dutzende Demonstranten vor der russischen Botschaft. Foto: Efrem Lukatsky/AP
In Kiew versammelten sich Dutzende Demonstranten vor der russischen Botschaft. Foto: Efrem Lukatsky/AP
AP
Am Ende hinterließen die aufgebrachten Ukrainer weiße Papierschiffchen. Foto: Serg Glovny/ZUMA Wire
Am Ende hinterließen die aufgebrachten Ukrainer weiße Papierschiffchen. Foto: Serg Glovny/ZUMA Wire
ZUMA Wire
Erste Maßnahmen: Poroschenko, Präsident der Ukraine, setzte die Reservisten der Streitkräfte in Bereitschaft. Foto: Mykhailo Markiv/Pool, Presidential Press Service
Erste Maßnahmen: Poroschenko, Präsident der Ukraine, setzte die Reservisten der Streitkräfte in Bereitschaft. Foto: Mykhailo Markiv/Pool, Presidential Press Service
Pool, Presidential Press Service
Die ukrainischen Schiffe waren von der Russischen Marine gekapert worden und werden nun wegen angeblicher Grenzverletzung festgehalten. Foto: AP
Die ukrainischen Schiffe waren von der Russischen Marine gekapert worden und werden nun wegen angeblicher Grenzverletzung festgehalten. Foto: AP
AP