Flüchtlinge Tod im Eurotunnel

Von Teresa Dapp und Sebastian Kunigkeit 30.07.2015, 18:11
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French gendarmes try to stop migrants on the Eurotunnel site in Coquelles near Calais, northern France, on late July 29, 2015. One man died Wednesday in a desperate attempt to reach England via the Channel Tunnel as overwhelmed authorities fought off hundreds of migrants, prompting France to beef up its police presence. AFP PHOTO / PHILIPPE HUGUEN
TOPSHOTS French gendarmes try to stop migrants on the Eurotunnel site in Coquelles near Calais, northern France, on late July 29, 2015. One man died Wednesday in a desperate attempt to reach England via the Channel Tunnel as overwhelmed authorities fought off hundreds of migrants, prompting France to beef up its police presence. AFP PHOTO / PHILIPPE HUGUEN AFP

Als es langsam dunkel wird, versuchen die jungen Männer ihr Glück - und riskieren ihr Leben. Sie überqueren Autobahnen und Gleise, schlüpfen durch Löcher im Zaun um das Eurotunnel-Terminal, verstecken sich vor der Polizei. Die Warnschilder vor der Hochspannung halten sie nicht auf, genauso wenig wie die Mahnungen der Mitarbeiter von Hilfsorganisationen.

"Wir sind super-motiviert. Voller Hoffnung", erzählt der Flüchtling Ellias, 22, früherer Wirtschaftsstudent. "Ich habe vor nichts mehr Angst - nach all dem, was wir durchgemacht haben", sagt er dem Sender France Info.

Es sind Verzweiflung und die Hoffnung auf ein besseres Leben, die Flüchtlinge in Calais Tag für Tag nach einem Weg auf die andere Seite des Ärmelkanals suchen lassen. Seit zwei Jahrzehnten stranden Migranten auf dem Weg nach Großbritannien in der nordfranzösischen Hafenstadt; mehrere Tausend leben zurzeit in einem slumartigen Lager. Der Staat reagiert mit Zäunen und Polizisten.

Zehn Tote seit Anfang Juni

Am Tunnel unter dem Ärmelkanal starben allein seit Anfang Juni zehn Migranten beim Versuch, auf Züge zu gelangen. Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve schickte 120 weitere Beamte - Nachschub für das tägliche Katz- und Mausspiel. Der Hafen von Calais ist eine Stacheldraht-Festung, nun soll auch am Eurotunnel-Terminal weiter aufgerüstet werden.

"Diese Leute sind Kriegsflüchtlinge. Je mehr Konflikte es in der Welt gibt, desto mehr Druck gibt es hier", sagt Christian Salomé von der Hilfsorganisation Auberge des Migrants. "Man muss sich die Frage stellen, ob es wirklich nötig ist, diese Grenze zu diesem Preis zu blockieren, mit so vielen Todesfällen."

Cameron gibt den harten Hund

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals teilt man diese Ansicht keineswegs. Premier David Cameron gibt den harten Hund: Strengere Gesetze und mehr Abschiebungen würden den Leuten schon zeigen, dass Großbritannien kein "sicherer Hafen" sei. Mehr Aufsehen erregte er mit der Bemerkung, ein "Menschenschwarm" komme übers Mittelmeer, um sich im Vereinigten Königreich niederzulassen.

Flüchtlingsorganisationen und die Opposition verurteilten die Wortwahl als "verantwortungslos" und "erbärmlich". "Er sollte sich erinnern, dass er über Menschen spricht, nicht Insekten", sagte Labour-Interimschefin Harriet Harman.

Migration ist eines der heißesten Eisen der britischen Politik. Meist dreht sich die Debatte um EU-Einwanderer, bevorzugt mit Brüssel als Buhmann. Die Flüchtlingskrise in Calais ist vor allem Thema, wenn sich deswegen Lastwagen und Autos der Urlauber in Südengland stauen.

Dass Großbritannien den Menschen helfen und mehr von ihnen aufnehmen solle, fordern Hilfsorganisationen - und die Vereinten Nationen. Es gehe um eine relativ kleine Zahl von Menschen, um die man sich dringend kümmern müsse, sagt Peter Sutherland, Sonderbeauftragter für Migration, der BBC. "Wer denkt, dass durch das Hochziehen von Grenzen oder Zäunen ein bestimmter Staat irgendwie vor einer angeblichen Flut - die alles andere als eine Flut ist - geschützt werden kann, der wohnt in Wolkenkuckucksheim."

Derweil wird in und um Calais weiter aufgerüstet. Auch die Briten bauen Zäune, um den Bahnhof dort zu schützen. Das Material hatten sie vorrätig: Es ist dasselbe, das vergangenes Jahr den Nato-Gipfel in Wales abgeschirmt hat. (dpa)