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In Sierra Leone, einem der ärmsten Länder der Welt, wird die Kritik am "Landgrabbing" lauter Wo sich Politiker über Investoren freuen, sind Bauern in ihrer Existenz bedroht

19.05.2012, 03:17

Der deutsche Botschafter in Sierra Leone, ein in Querfurt geborener Diplomat, der bereits in der DDR im diplomatischen Dienst stand und am 2. Oktober 1990 in der New Yorker Botschaft das Licht ausknipste, spricht lieber von "Landleasing". Das von den Kritikern des "Landausverkaufs" in dem westafrikanischen Land benutzte Wort "Landgrabbing" schere alle Investoren über einen Kamm und stelle sie in eine Ecke, in die sie nicht hingehörten, sagt Rüdiger John mit Nachdruck.

Er "sehe mehr Positives" in der Vergabe der großen Flächen, als Negatives, so der Botschafter bei einem Gespräch mit der Präsidentin der Welthungerhilfe Bärbel Dieckmann in Freetown.

"Die Vergabe von Land gefährdet die Eigenversorgung der Bauern."

Allerdings räumte John ein, dass es auch "Missbrauch" bei der Landvergabe an Investoren gebe. "Es gibt zwar eine Reihe von Regularien, zum Beispiel der Weltbank und der Afrikanischen Union, aber es komme letztlich immer auf die Länder selbst an." Die "Schwäche der staatlichen Instrumente" in Sierra Leone seien in einem Land, das in den vergangenen 30 Jahren eine sehr geringe Entwicklung durchlaufen habe und das selbst zehn Jahre nach dem Bürgerkrieg dessen Auswirkungen nur langsam überwinde, jedoch nachzuvollziehen. "Die Interessen des Volkes werden nicht immer genügend kontrolliert. Stichwort: Korruption", meinte der Ex-Sachsen-Anhalter.

Im Gegensatz zu dem Diplomaten lässt Joseph Rahall am Engagement von Großkonzernen in Sierra Leone kein gutes Haar. "Die Vergabe von mehr als 43000 Hektar Land für 15 Jahre an solche Unternehmen wie an die belgisch-luxemburgischen SOCFIN oder der indischen SIVA-Gruppe für ihre riesigen Palmöl- oder Kautschukplantagen ist verantwortungslos und gefährdet auf Dauer die landwirtschaftliche Produktion und Eigenversorgung der Bauern in Sierra Leone", sagt der Mann von "Green Scenery", einer Organisation, die eng mit der Deutschen Welthungerhilfe zusammenarbeitet.

Mehr als eine halbe Million Hektar Land sei während der vergangenen zehn Jahre an zwölf Investoren gegangen. Die Anbauflächen für die Bauern würden immer kleiner und die althergebrachte Brachzeit von mehreren Jahren, in der sich der Boden erholen kann, dadurch immer kürzer. Das Ergebnis seien geringere Erträge.

Und das in einem Land, in dem von 1000 Kindern vor dem Erreichen des fünften Lebensjahrs 192 sterben und 66,4 Prozent der Einwohner als arm gelten.

Rahall kritisiert zudem, dass die Investoren sich nicht in die Karten gucken lassen und verlangt Transparenz. "Alle Verträge mit Investoren müssen veröffentlicht werden."

Für Landwirtschafts- und Ernährungssicherheitsminister Joseph Sam Sesay ist die Lage nicht eindeutig: "Es gibt Zahlen und Diskussionen. Selbst in Europa gibt es keine klare Position zu den Verträgen." Er spricht von einem "fragilen Stand der Entwicklung" des Landes. Die Pole lägen zwischen vorbehaltloser Zustimmung und Verteufelung der Landverpachtung an Großinvestoren. Die Zurückhaltung deutscher Unternehmen fasste er in ein Bild: "Ich schaue die Straße hinunter, aber niemand kommt."