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FPÖ100 Tage Ibiza-Video

Das Ibiza-Video hat Österreich erschüttert. Seitdem wird über Parteienfinanzierung und parteinahe Vereine diskutiert.

19.08.2019, 23:01

Wien (dpa) l Heinz-Christian Strache mag Ibiza immer noch. Auch diesen Sommer machte der österreichische Ex-Vizekanzler von der rechtspopulistischen FPÖ auf der Mittelmeerinsel Urlaub – alles wie immer, seit 17 Jahren entspannt er sich dort. In einem lustig gemeinten Facebook-Beitrag sprach Strache gar von der Ehrenbürgerschaft, die ihm doch für die Medien-Berichterstattung über ihn und die Insel verliehen werden könnte. Traumatische Erinnerungen an den Ort, an dem seine politische Karriere ausgebremst wurde? Keine Spur. Warum auch, wenn man sich als Opfer einer Schmutzkübel-Kampagne wahrnimmt und die Schuld in erster Linie bei anderen sieht.

"Ich habe dort an niemanden etwas zu verkaufen gehabt", behauptete Strache kürzlich in seinem ersten TV-Interview seit der Ibiza-Affäre, das er ausgerechnet dem deutschen Ableger von RT (ehemals "Russia Today") gab. "Ich habe nichts Unredliches angeboten", so Strache. Vielmehr sei das Video manipulativ zusammengeschnitten und seine Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen worden.

Die Öffentlichkeit sah das anders. "Seine Äußerungen zeigen ein Sittenbild eines Politikers, dem es nur um Macht und Unterwanderung der Strukturen zu gehen scheint", kommentierte der "Kurier" mitten in der Krise. Und auch die Justiz ist Strache auf der Spur, erst vor wenigen Tagen wurde sein Haus durchsucht und nicht zuletzt sein Handy beschlagnahmt.

Die Affäre begann vor rund 100 Tagen, am Abend des 17. Mai. Der "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" veröffentlichten einen wenige Minuten langen Zusammenschnitt aus vielen Stunden Videomaterial einer verhängnisvollen Nacht auf Ibiza. Hauptdarsteller: HC Strache, damals FPÖ-Chef, mitten im Wahlkampf und auf bestem Weg zu einem für die Partei sehr guten Wahlergebnis. Mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte spricht er über möglicherweise illegale Spenden an parteinahe Vereine, über Staatsaufträge, die er ihr zuschanzen würde.

Und auch darüber, dass die vermeintliche Russin gerne bei der in Österreich sehr einflussreichen "Kronen-Zeitung" einsteigen sollte, um die FPÖ zu unterstützen. Das Blatt hat laut Media-Analyse in Österreich eine Reichweite von 27,2 Prozent. Wer das Blatt auf seiner Seite hat, darf sich für gewöhnlich über ein gutes Wahlergebnis freuen. Das ist der Köder – und Strache beißt an. Sein "zack, zack, zack" ist in Österreich zum geflügelten Wort geworden.

Gedreht wurde das Video, eine lange geplante Falle für Strache und seinen ebenfalls anwesenden Parteifreund Johann Gudenus, im Sommer 2017. Wieso es dann so lange bis zur Veröffentlichung dauerte, ist eine der offenen Fragen bei diesem Thema. Der "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" beteuern, dass sie das Material kostenlos erhalten haben.

Fakt ist: Die Veröffentlichung löste ein politisches Beben aus. Nach Straches Rücktritt zerbrach die gesamte Regierung, letztlich konnte sich auch der junge Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht im Amt halten. Am 29. September stehen Neuwahlen an.

Seit der Veröffentlichung wurde in Österreich viel über parteinahe Vereine diskutiert, die Gesetze für Parteispenden wurden zudem deutlich verschärft. In den vergangenen Tagen bekam die gesamte Affäre dann überraschend neuen Schwung, nachdem Straches Haus von Ermittlern durchsucht wurde. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob die FPÖ und ein Glücksspielunternehmen einen Deal vereinbart haben: Ein FPÖ-Mann soll demnach einen Vorstandsposten im Gegenzug für Glücksspiellizenzen für das Unternehmen bekommen haben. Die Beteiligten weisen die Vorwürfe von sich, doch der Vorgang hat für große Unruhe wenige Wochen vor der Nationalratswahl gesorgt.

Die politische Karriere von HC Strache ist trotz allem wohl aber noch nicht am Ende, zumindest aus seiner Sicht. Vor allem bei Facebook präsentiert sich der 50-Jährige gerne als Opfer, das veröffentlichte Ibiza-Video als Produkt einer kriminellen Inszenierung. Bei seinen Fans kommt das an, nach der Europawahl hätte er durch Vorzugsstimmen für seine Person die Möglichkeit auf ein Mandat im EU-Parlament gehabt. Tatsächlich könnte das Comeback aber 2020 folgen.

"Ich glaube, die FPÖ ist so opportunistisch und so stimmengeil, dass sie die propagierten Werte verraten werden und Strache 2020 bei der Landtagswahl in Wien wieder kandidieren wird", sagt Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Falter". Klenk hat große Teile des Videomaterials gesehen, "Spiegel" und "SZ" holten sich extra auch ein österreichisches Medium ins Boot. "Strache beherrscht die sozialen Medien und die Bildsprache perfekt", sagt Klenk. Wenn er Videos veröffentlicht, trägt er dabei meist ein weißes Hemd, steht vor einer grünen Garten-Kulisse, auf Fotos ist er oft mit seiner Frau zu sehen.

"Selbst das Foto aus dem Video, Strache mit Bauch, darüber das eng anliegende Shirt, einem Drink in der Hand – das ist für seine Klientel sicher authentischer als vieles, was man sonst so sieht", glaubt Klenk. Der Ex-Vizekanzler hat bei Facebook mehr als 770.000 Follower, seine Beiträge werden hundertfach kommentiert. Strache hat hier alles, um vielen Österreichern seine Sicht der Dinge ungefiltert darzustellen – ähnlich wie bei seinem bereits erwähnten ersten, höchst unkritischen TV-Interview.

Bei der Nationalratswahl am 29. September tritt der 50-Jährige nicht an, dafür aber seine Frau. Philippa Strache hat bei den Wiener Freiheitlichen einen Listenplatz erhalten, der sie höchstwahrscheinlich auch ins Parlament bringen wird. "Ich glaube, dass uns die FPÖ überraschen wird", meint Klenk.

Derzeit steht die Partei in Umfragen bei 18 bis 20 Prozent. Das wäre zwar deutlich weniger als die 26 Prozent bei der Wahl 2017, aber sicher keine Klatsche, wie man sie direkt nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos hätte erwarten können. "Vermutlich reißt Strache die ganze FPÖ mit in den Abgrund", schrieb der Kurier am 19. Mai – und liegt damit dem Anschein nach erstmal daneben.

Klenk hält es auch nicht für ausgeschlossen, dass die ÖVP von Sebastian Kurz und die FPÖ nach der Wahl erneut eine Koalition schmieden werden. Der designierte FPÖ-Chef Norbert Hofer hat das sogar als einzige Koalitionsoption für seine Partei ausgerufen. Wer hätte das am 17. Mai um 18 Uhr gedacht?