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Referendum Brexit-Lager gewinnt uneinholbar

Großbritannien will die Europäischen Union verlassen. Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 70 Prozent.

24.06.2016, 04:18

London (dpa/AFD/mh) l Mit einer Mehrheit von rund 52 Prozent der Stimmen sprach sich die Mehrheit der britischen Wähler für den Brexit aus, den Austritt aus der Europäischen Union. Die Europäische Gemeinschaft wird damit in die schwerste Krise ihrer Geschichte gestürzt.

Am Freitagmorgen war der Vorsprung des Brexit-Lagers mit 16,8 Millionen Stimmen uneinholbar. Der radikalste Brexit-Fürsprecher Nigel Farage schrieb auf dem Kurznachrichten- dienst Twitter: "Ich wage von einem unabhängigen Großbritannien zu träumen." Die Wahlbeteiligung lag nach offiziellen Angaben bei 72,2 Prozent. Insgesamt hatten sich 46,5 Millionen Wähler registriert.

Infografik: Die Briten verlassen die EU | Statista
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Lediglich in der Hauptstadt London und in Schottland hatten sich stabile Mehrheiten für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU abgezeichnet. In den anderen Teilen vor allem Englands, aber auch in Nordirland und Wales war das Brexit-Lager um den früheren Londoner Bürgermeister Boris Johnson überraschend stark. Zunächst war völlig unklar, was dieses Abstimmungs- ergebnis für die politische und wirtschaftliche Zukunft Großbritanniens und der Europäischen Union bedeuten würde. Befürchtet wird eine Regierungskrise in Großbritannien. Zudem könnten weitere Länder ein Referendum anstreben.

Premierminister David Cameron dürfte noch am Vormittag vor seinem Amtssitz Downing Street 10 eine Erklärung abgeben. Er hatte das Referendum bereits 2013 vorgeschlagen – vor allem mit dem innenpolitischen Kalkül, EU-Kritiker in den eigenen Reihen ruhigzustellen.

Die Aussicht auf einen Brexit drückte das britische Pfund auf den tiefsten Stand seit mehr als 30 Jahren. Am frühen Freitagmorgen fiel die britische Währung erstmals seit 1985 unter die Marke von 1,35 US-Dollar. In den ersten Handelsstunden des Tages hatte das Pfund wegen der Hoffnung auf einen Verbleib in der Europäischen Union zeitweise noch etwas mehr als 1,50 Dollar gekostet.

Um kurz vor 5 Uhr hatte das "Leave"-Lager dann 7,8 Millionen Stimmen, das "Remain"-Lager hatte 7,3 Millionen Stimmen - und damit einen Rückstand von 3,4 Prozentpunkten. Zu den ökonomischen und politischen Turbulenzen auf der Insel käme auf die gesamte EU eine schwere Bewährungsprobe zu.

Lag die Brexit-Wahrscheinlichkeit bei den Buchmachern zu Beginn der Nacht noch bei gerade 20 Prozent, drehte die Quote bei Betfair dramatisch, um kurz nach 3 Uhr lag die Brexit-Wahrscheinlichkeit dort bei 60 Prozent. Beim Wettanbieter Ladbroks waren es gar 63 Prozent.

Infografik: Zustimmung zum Brexit steigt | Statista
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Zu den Bezirken, in denen die Brexit-Verfechter triumphierten, gehörte auch das mittelenglische Nuneaton. Die Stadt hat sich bei Parlamentswahlen oft als gutes Stimmungsbarometer erwiesen. 66 Prozent stimmten in Nuneaton für den EU-Ausstieg. In der City of London gewannen erwartungsgemäß die EU-Befürworter.

Infografik: Deutschland würde am meisten draufzahlen | Statista
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Rechtspopulist Farage von der Unabhängigkeitspartei Ukip hatte dem Sender Sky News unmittelbar nach Schließung der Wahllokale gesagt, anscheinend habe das "Remain"-Lager das Referendum knapp gewonnen. Nur wenig später relativierte er seine Äußerungen wieder und sagte mit Blick auf seine frühe Beinahe-Festlegung: "Ich hoffe, ich werde zum Clown gemacht." Um 5 Uhr schrieb er schließlich auf Twitter: "Ich wage nun davon zu träumen, dass für ein unabhängiges Vereinigtes Königreich die Morgenröte anbricht."

46,5 Millionen Bürger hatten sich für das Referendum registriert. Gegner und Befürworter des Austritts hatten bis zur letzten Minute eindringlich um Stimmen geworben. "Out is out" warnte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker aus Brüssel - beim No werde keine Rückkehr möglich sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Donnerstag ihren Wunsch bekräftigt, dass Großbritannien Teil der EU bleibe. Die Angst in vielen Hauptstädten ist groß, ein Brexit könne Nationalisten und Rechtspopulisten in ganz Europa Auftrieb geben. Auch die Wirtschaft könnte weit über das Königreich hinaus von Schockwellen getroffen werden.

In der hart und emotional ausgefochtenen Kampagne hatten die Brexit-Befürworter das Thema Einwanderung in den Mittelpunkt gerückt und argumentiert, bei einem EU-Austritt könne sich Großbritannien besser gegen Einwanderer aus den ärmeren EU-Staaten abschotten. Sie kritisierten eine Gängelung des Königreichs durch Brüssel und appellierten an den Nationalstolz der Briten.

Premierminister David Cameron, der das Referendum angesetzt hatte, warnte immer wieder eindringlich vor den wirtschaftlichen und politischen Folgen der Isolation. Seine politische Zukunft wäre beim Brexit völlig ungewiss. 84 konservative Abgeordnete, die einen Brexit unterstützen, forderten ihn in einem Brief zum Verbleib im Amt unabhängig vom Ausgang des EU-Referendums auf. Wie auch immer die Volksabstimmung ausgehe, Cameron habe den Auftrag und die Pflicht, "die Nation weiterhin zu führen". Zu den Unterzeichnern gehörte auch der erklärte EU-Gegner Boris Johnson.

Der Wahlkampf wurde von dem tödlichen Angriff auf die EU-freundliche Labour-Abgeordnete Jo Cox überschattet. Sie hatte sich in der Vergangenheit vehement für einen Verbleib des Königreichs in der EU ausgesprochen.