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Reformprogramm Medizin für französische Malaise

Ob Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit seinen Reformen Erfolg haben wird, wurde in Magdeburg diskutiert.

06.07.2017, 23:01

Magdeburg l Man stelle sich vor, Gerhard Schröder wäre vor seiner Wiederwahl zum Kanzler 2002 mit der Agenda 2010 als Programm angetreten. Er hätte nicht einmal die Klinke vom Kanzleramt zu fassen bekommen.

In Frankreich erleben wir gerade das Gegenteil. Emmanuel Macron hat mit einem einschneidenden Reformprogramm, seiner „Révolution“, die Wahlen zur Präsidentschaft und zum Parlament gewonnen und wird dafür gefeiert wie ein Popstar. Was es mit dem frischen Wind aus Paris auf sich hat, versuchte am Mittwoch in Magdeburg ein Forum der Deutschen Atlantischen Gesellschaft zu ergründen. Als deren Vertreter erinnerte Thomas Reitmann daran, dass Referent Reiner Marcowitz von der Universität Lothringen in Metz bereits vor fünf Jahren, nach der Wahl von François Hollande, in Magdeburg die Lage erläuterte.

Hollande hat, wie bekannt, wenig bewegt und, wie Historiker Marcowitz meint, das Amt regelrecht entwertet: „Die Franzosen wollen keinen Präsidenten, der wie der Nachbar nebenan ist.“

Macron habe dem Amt seine „angestammte Würde zurückgegeben und die Autorität, die dem französischen Präsidenten zukommt“. Gut sei es gewesen, rechtzeitig auf Distanz zu Hollande zu gehen und seine eigene Bewegung „En Marche!“ aufzubauen. Die zähle drei Millionen Mitglieder, die sich unter dem Motto „Weder links noch rechts“ vereinigt hätten. Inzwischen ist aus der Bewegung die Partei „La République en Marche!“ (dt.: „Die Republik in Bewegung!“) geworden.

Der Hype um Emmanuel Macron ist derweil kaum noch zu steigern: „Er ist derart beliebt, dass es fast schon ein bisschen unanständig ist“, sagt der Wissenschaftler. Selbst Politiker machten Selfies mit ihm. In Frankreich sei bei dieser Übersteigerung schon nicht mehr vom „Sonnenprinz“ die Rede, sondern von „Sonnenkönig“ und sogar von „Pharao“.

Dabei steht der harte Reform-Alltag noch vor der Tür. Dass sich in ihrem Land etwas ändern muss, ist den meisten Franzosen wohl klar, 25 Prozent Jugendarbeitslosigkeit sind nur ein Indiz dafür.

Die Liste umfasst „radikale wirtschaftliche und politische Maßnahmen“ (Marcowitz): Lockerung von Arbeitsrecht und Kündigungsschutz, mehr Handlungsautonomie in den Betrieben, Anreize für Arbeitslose, Steuersenkungen, Einsparungen im öffentlichen Dienst. Dazu kommt die Relativierung des Mehrheitswahlrechts, um kleineren Parteien mehr Mitsprache zu ermöglichen.

„Macron will dabei herauskommen aus der Kampflogik“, sagt der Historiker. Dazu strebe er einen Dialog mit den Gewerkschaften an. Die Arbeitgeber hätte er auf seiner Seite. Einführen wolle der Präsident, in dessen Kabinett auch Repu-blikaner und Sozialisten sitzen, die Reformen mit Hilfe von Verordnungen. „Bei Sozialreformen ist dies ein neuer Weg“, erläutert Marcowitz.

In der Außenpolitik nennt er das dezidierte Bekenntnis Macrons zu Europa und zur Freundschaft mit Deutschland „mutig“. Die Eurozone will der Präsident ausbauen, einen Wirtschafts- und Finanzminister dafür einsetzen sowie die EU-Verteidigungspolitik stärken. Hält er den Finanzminister wirklich für realistisch?, will ein Gast wissen. Für Marcowitz steht zumindest fest: „Die Eurozone ist bislang unvollständig.“

Der Historiker hält sich gemeinhin mit Prognosen zurück. Doch wollen die rund 60 Zuhörer natürlich wissen, ob sich der neue Präsident denn auch durchsetzen können wird. Für den Professor aus Metz halten sich Pro und Kontra die Waage: der deutliche Wahlsieg, die Professionalität von Präsident und Regierung und die neue „Entente“ zwischen Frankreich und Deutschland sprächen dafür.

Negativ würden möglicher Widerstand gegen geplante Arbeitsmarkt-Reformen, die unpopuläre Forderung nach permanenter Weiterbildung und das Protestpotenzial der Radikalen von Links und Rechts zu Buche schlagen.

Dann doch eine klare Position von Marcowitz: „Wir sollten uns wünschen, dass Macron Erfolg hat.“ Wie schnell das gehe, wisse er auch nicht: „Das ist bittere Medizin für eine lange Heilung.“