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Russland Der blinde Fleck in Putins Politik

Stalinismus-Opfer sollen in Russland ein Mahnmal erhalten. Mit Arseni Roginski von der Organisation „Memorial“ sprach Mandy Ganske-Zapf.

01.11.2015, 23:01

Das erste Mal in Russlands Geschichte will man in Moskau ein Mahnmal als landesweiten Gedenkort für die Opfer politischer Repression errichten. Freut Sie das?

Ja. Auch wenn mir klar ist, dass es eine bittere Note hat und schon die Tatsache an sich Erstaunen hervorrufen muss, dass es ausgerechnet Wladimir Putin ist, der das beschließt. Es läuft seiner Politik komplett zuwider. Ich halte das Mahnmal aber trotzdem für sehr wichtig, denn die Gedenkkultur in meinem Land ist in einem katastrophalen Zustand. Man muss sich der Opfer erinnern, insbesondere wenn das im Namen des Staates geschieht.

Sie sagten es schon: Es passt nicht zu Putins Politik. Wie geht das damit zusammen?

Gar nicht. Will man sein Bedauern über die Menschen ausdrücken, die unter Missachtung aller Menschenrechte in der Vergangenheit sterben mussten, dann darf man heute keine Verletzungen begehen oder zulassen. Das ist ein großer Widerspruch, wenn auch offenbar nicht für Putin.

Jüngste Umfragen zeigen, dass Stalins Ansehen bei der Bevölkerung steigt. Beunruhigt Sie das?

Natürlich. Aber das ist eine komplizierte Geschichte. Diese Hochachtung vor Stalin resultiert daraus, dass der Sieg im Zweiten Weltkrieg, dass wir, die Russen, immer und über alle gesiegt haben, durch die Politik zur alles beherrschenden Ideologie erhoben wurde. Solange die Situation so ist wie jetzt, die Propagandamaschine so auf Hochtouren läuft, kann sich das sogar noch steigern. Sollten sich die staatliche Politik und die Fernsehpropaganda aber wieder ändern, wird auch Stalins Ansehen erneut sinken.

Kürzlich wurde ein ganzes Regierungsprogramm für das Gedenken verabschiedet. Darin werden erstmals auf staatlicher Ebene Stalins Verbrechen verurteilt.

Ja, es ist ein Programm, das einige Erfolge mit sich bringt. Das erscheint im Vergleich zu dem, was bei uns politisch vor sich geht, vielleicht gering. Aber in meinen Augen ist das keine Kleinigkeit. Eine Verurteilung der stalinschen Verbrechen ist es jedoch nicht ganz. Es ist dort die Rede davon, dass der Opfer politischer Repression gedacht werden müsse. Nicht aber vom Terror, auch nicht von staatlichem. Erneut gedenkt man der Opfer, aber „vergisst“, die Täter deutlich zu benennen.

Wohin soll der Trend in der aktuellen Politik noch führen? Das betrifft auch „Memorial“. Laut Gesetz müssten Sie sich als „ausländischer Agent“ kennzeichnen, weil sie Mittel aus dem Ausland beziehen, tun es aber nicht. Sie sind Wegbereiter für Mahnmal und Regierungsprogramm, zugleich haben Sie mit Geldstrafen und Prozessen zu kämpfen.

Insgesamt kann uns das in die Katastrophe führen. Vielleicht zur absoluten Isolierung Russlands von der Welt. In unserer konkreten Arbeit sind wir es gewöhnt, mit schlechten Aussichten zu leben. Solange wir arbeiten können, tun wir es. Seit 25 Jahren.