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Krise Auch Brasilien hat einen "Trump"

Brasilien wird von einer Krise durchgeschüttelt. Ein rechter Abgeordneter liegt bei Umfragen auf Platz zwei.

Von Georg Ismar 30.08.2017, 23:01

Sao Paulo (dpa) l Zwei Zahlen zeigen das ganze Drama. 94 Prozent der Brasilianer fühlen sich von den Parteien in Lateinamerikas größter Volkswirtschaft schlecht vertreten. Und fünf Prozent stehen noch hinter Präsident Michel Temer. Er war es, der durch den Bruch der Koalition die Amtsenthebung der linken Präsidentin Dilma Rousseff forcierte. Am 31. August 2016 musste sie verbittert ihr Büro räumen. Temer ist nun bis zur regulären Wahl Ende 2018 im Amt.

Brasilien, vor wenigen Jahren noch ein globaler Hoffnungsträger und von Investoren umgarnt, durchlebt eine der größten politischen Krisen seit dem Ende der Militärdiktatur 1985. Es passt fast ins Bild, dass in Kürze eine Dokumentation mit dem Titel „Tião – Der Kandidat des Volkes“ erscheint. Sie erzählt die Geschichte des Affen Tião aus dem Zoo in Rio de Janeiro, der 1988 bei den Kommunalwahlen von der Partido Bananista Brasileiro (PBB), der Bananenpartei, als Kandidat aufgestellt wurde. Aus Protest gegen den Mangel an vertrauenswürdigen Parteien und Kandidaten. Der Schimpanse bekam 400.000 Stimmen und wurde bei der Wahl Dritter.

Auch anno 2017 gibt es viel Verdruss, ein Jahr nach Rousseffs Amtsenthebung gibt es statt Aufbruch Agonie und Frust. Das fängt bei Temer an, der nach Mitschnitten und der gefilmten Übergabe eines Geldkoffers an einen Vertrauten am Rande des Rücktritts stand. Dabei ging es um eine mögliche Bevorteilung des weltgrößten Fleischkonzerns JBS. Erst durch millionenschwere Zugeständnisse schaffte er es, genug Abgeordnete auf seine Seite zu ziehen, damit das Parlament eine Anklage wegen Korruption abschmettern konnte.

Wo er öffentlich auftritt, wird er ausgepfiffen, beim G-20-Gipfel in Hamburg hatte er kein einziges bilaterales Treffen mit anderen Staats- oder Regierungschefs. Der Kampf um den Machterhalt bremst wichtige Arbeitsmarkt-, Renten- und Steuerreformen. Aber: Nach einem Einbruch der Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent seit 2015, der bisher tiefsten Rezession, gibt es wieder Wachstum und kleine Lichtblicke. Auch die Zahl der Arbeitslosen ging im Juli etwas zurück auf 13,5 Millionen (Quote: 13 Prozent).

Der Staat hat ein enormes Defizit, auch wegen der überbordenden Pensionslasten, viele Brasilianer gehen schon mit Mitte 50 in Rente. Im Juli musste das Erfolgsprogramm der linken Regierungen von Luiz Inácio „Lula“ da Silva und Rousseff, die Familiensozialhilfe („Bolsa Familia“), gekürzt werden, 543.000 Menschen fielen aus der Hilfe. Immerhin stiegen im Vorjahr auch wieder die ausländischen Direktinvestitionen auf knapp 80 Milliarden Dollar an. Ein Zeichen, dass Investoren angesichts vieler anderer Krisenherde wieder etwas Vertrauen zurückgewinnen.

Spiegelbild der Krise sind Rio und der Regenwald: Temer musste 8500 Soldaten in die Olympiastadt 2016 schicken, die bis Ende des Jahres bleiben, um die ausufernde Gewalt zu stoppen. Und im Amazonasgebiet werden indigene Völker brutal vertrieben und Tropenholz gerodet, im Kampf um mehr Flächen für den Mais- und Sojaanbau und für die Rohstoffausbeutung. Ökonomische Interessen gewinnen die Oberhand, unterstützt durch Dekrete der Regierung.

Wenn in dem Niedergang eine Chance liegt, dann diese: Durch die jahrelangen Korruptionsnetzwerke, die im „Lava-Jato“-Skandal um milliardenschwere Schmiergelder bei Auftragsvergaben von Konzernen wie Petrobras (Öl/Gas) und Odebrecht (Bau/Infrastruktur) gipfelten, hoffen viele auf einen Reinigungsprozess in der Politik. Der federführende „Lava-Jato“-Richter Sergio Moro ist zum Star aufgestiegen, er klagt ohne Rücksicht auf Namen Politiker und Manager an. Die Angst vor dem Gefängnis könnte zur Läuterung fühlen.

Dennoch führt Lula (71) in allen Umfragen – Temer darf wegen Unregelmäßigkeiten bei der letzten Kampagne nicht antreten. Aber es wächst die Sehnsucht nach etwas anderem – immer stärkeren Einfluss gewinnen die evangelikalen Sekten. Rios neuer Bürgermeister Marcelo Crivella ist ein ehemaliger Sektenbischof, der wegen Streichung der Zuschüsse den Sambakarneval 2018 ins Wasser fallen lassen könnte.

Hinter Lula folgt in vielen Umfragen der von Medien als „Donald Trump“ Brasiliens betitelte ultrarechte Abgeordnete Jair Bolsonaro. Er liebt die Provokation: So lobte er ausdrücklich den Folterer der Guerillakämpferin Rousseff während der Militärdiktatur. Jüngst wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er zu einer Abgeordneten der Arbeiterpartei gesagt hatte, sie sei es nicht wert, vergewaltigt zu werden, „weil sie sehr hässlich ist“.

Sollte Lula nicht antreten können, könnte Bolsonaro neuer Präsident Brasiliens werden – er wäre ein Präsident, der die Spaltung des Landes vertiefen könnte. Wie Donald Trump in den USA.