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Bildung Kann Berlin Schule machen?

Bildung kostet. Doch wie viel sollen Eltern für ihre Kinder zahlen? Etliche Bundesländer wollen Familien stärker entlasten.

29.07.2019, 23:01

Berlin  (dpa) l Wer Kinder hat, kann ein Lied davon singen: Neben Kleidung, Spielzeug oder Handy können auch Kitabeiträge, Schulbücher oder das Bus- ticket ins Geld gehen, vor allem für Familien mit geringerem Einkommen. Wenn dazu zum Beispiel noch steigende Mieten kommen, wird es finanziell schnell eng – trotz Zuschüssen wie dem Kindergeld. Das Land Berlin, das im Moment von Rot-Rot-Grün regiert wird, hat sich vor diesem Hintergrund an die Spitze einer bundesweiten Bewegung gesetzt. Ziel ist, mehr Kinder mit Bildungsangeboten zu erreichen und Familien von den Kosten zu entlasten.

Die Hauptstadt, in der fast jedes dritte Kind von Hartz IV lebt, ist dabei weiter als jedes andere Bundesland. Bereits seit 2007 schaffte sie die Kitagebühren schrittweise ab. Seit einem Jahr ist die Betreuung in Kindergarten oder Tagespflege komplett kostenlos – bei einem Rechtsanspruch auf sieben Stunden Betreuung am Tag, ohne dass Eltern den Bedarf nachweisen müssen. An Grundschulen muss kein Schüler mehr für Lehrbücher bezahlen.

Nun folgen weitere Schritte: Ab 1. August sind die ersten beiden Hortjahre beitragsfrei. Das Mittagessen in der Schule kostet nichts mehr, um wirklich jedem Kind eine warme Mahlzeit zu ermöglichen. Obendrein gibt es für alle rund 360.000 Schüler ein Freiticket für Busse und Bahnen, das Azubi-Ticket wird preisreduziert. Der Senat lässt sich das Paket rund 225 Millionen Euro jährlich kosten. Eine Familie mit einem Kind kann bis zu 1400 Euro im Jahr sparen. „Wir wollen Berlin zur familienfreundlichsten Stadt der Welt machen“, sagt SPD-Fraktionschef Raed Saleh, einer der Väter des Projekts. Gute Bildung dürfe nicht vom Portemonnaie der Eltern abhängen. So sieht das auch Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD): „Wir wollen wirklich allen Kindern einen Zugang in das Bildungssystem und in unser Ganztagsangebot ermöglichen. Hier erfahren sie schon frühzeitig gezielte Förderung.“ Gleichzeitig würden Familien entlastet, um die Stadt „bezahlbar für alle“ zu halten, sagt Saleh mit Blick auf den teils starken Anstieg der Mieten in Berlin. Die Opposition in der mit 57 Milliarden Euro hoch verschuldeten Hauptstadt kann dem Geldregen, der Millionärsfamilien und Hartz-IV-Empfänger gleichermaßen trifft, nichts abgewinnen. „Gute Bildung ist keine Frage von Beitragsfreiheit“, sagt CDU-Fraktionsvize Mario Czaja – zumal schon jetzt viele Schüler aus Familien mit wenig Geld von Zuzahlungen befreit seien. „Mit der jetzigen Beitragsfreiheit wird vor allem die Mittelschicht entlastet. Dies ist gut, aber nur dann, wenn es auch der Qualität von Schule und Schulverpflegung zugutekommt – und das ist leider nicht der Fall.“

Auch andere Bundesländer haben sich auf den Weg in Richtung kostenfreie Bildung gemacht. Sie wollen beitragsfreie Angebote in Schulen ausweiten, haben Gebühren für bestimmte Kita-Jahre abgeschafft. Die 5,5 Milliarden Euro vom Bund, die im Rahmen des neuen „Gute-Kita-Gesetzes“ fließen, wollen einige Länder teils für weitere Reduzierungen an dieser Stelle einsetzen. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) als Initiatorin des Gesetzes möchte, dass die Kitas in Deutschland schrittweise beitragsfrei werden. Das Einkommen der Eltern dürfe nicht darüber entscheiden, ob und wann Kinder in eine Kindertageseinrichtung gehen.

Die Bildungsgewerkschaft GEW sieht dies mit Skepsis. „Grundsätzlich bewerten wir es positiv, wenn Bildungsangebote kostenfrei sind. Trotzdem darf Beitragsfreiheit nicht zulasten der Qualität gehen“, sagt Vorstandsmitglied Björn Köhler. „Gerade in Berlin gibt es einen erheblichen Mangel an Kita- und Hortplätzen. Gleichzeitig fehlen Tausende Fachkräfte.“ Zu befürchten sei, dass weniger auf hochwertige Bildung Wert gelegt werde als auf kostengünstige Betreuung.

In diese Kerbe schlägt auch Bildungsforscherin Anette Stein. „Der Trend geht seit ein paar Jahren immer mehr in Richtung Beitragsfreiheit“, sagt die Expertin der Bertelsmann-Stiftung. „Langfristig kann es der richtige Weg sein, gerade frühkindliche Bildung beitragsfrei zu machen.“ Jedoch sei eine gute Qualität der Betreuung maßgebend. „Und solange die Qualität nicht kindgerecht ist, und das ist vielfach der Fall, auch in Berlin, halten wir es für einen echten Fehler, Beitragsfreiheit für alle Eltern einzuführen.“

Priorität müssten zunächst der weitere Ausbau der Kita-Angebote und eine höhere Qualität haben, etwa durch mehr Erzieher und bessere Arbeitsbedingungen. Für zielführender hält Stein daher eine Beitragsstaffelung nach sozialen Kriterien wie dem Armutsrisiko. Studien zeigten, dass viele Eltern bereit seien, für bessere Kita-Qualität zu zahlen.