1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Lebensmodell unter Druck

Europäische Union Lebensmodell unter Druck

Der frühere Brüsseler ARD-Studioleiter Rolf-Dieter Krause war Talk-Gast von SPD-Politiker Burkhard Lischka.

Von Steffen Honig 05.05.2017, 01:01

Magdeburg l Wenn 150 Zuschauer einem Talk-Gast zwei Stunden andächtig lauschen, muss der Gast im Podium schon ewas zu sagen haben. Rolf-Dieter Krauses Erzählung ist die von einem Europa, das sein Gesellschaftsmodell nur verteidigen können wird, wenn es zusammenhält. Das sei aber keinesfalls sicher: „Unser Lebensmodell ist unter Druck.“ Krause mahnt: „Jede Hochkultur ist bisher baden gegangen – immer wegen eigener Fehler.“

Griechenland-Rettung, Flüchtlingskrise, Brexit – seit 2010 arbeite das Brüsseler ARD-Büro im Krisenmodus , sagt Krause, der bis Sommer 2016 dessen Chef war. Er selbst sei, meint der parteilose Journalist sei bei seiner Arbeit in der EU-Hauptstadt „privilegiert“ gewesen: „Ich war frei. Mir hat nie jemand Fesseln angelegt.“ Über seinen früheren Sender, den WDR, sagt er: „Wir sind ein volkseigener Betrieb im besten Sinne des Wortes.“ Zugleich kritisiert der 66-Jährige den verschärften Stress für Journalisten insgesamt: „Viele meiner Kollegen erleben eine Arbeitsverdichtung, die nicht mehr gut ist.“

Der gebürtige Lüneburger plaudert aus dem Brüsseler Nähkästchen, wenn er auf die Profilierungssucht nationaler Politiker durch Empörung über EU-Bürokratie kommt. Etwa über Standards für Traktorensitze. Die seien aber nicht auf Brüsseler Regelungswut zurückzuführen, sondern auf eine Initiative des ewig EU-kritischen Bayerns, wo nach einem Traktor-Unfall die fehlende Regelung auffiel.

Lischka und später das Publikum bedienen nachfragend diverse Felder der Europa-Politik. Krause lässt nichts unbeantwortet. Die Euro-Einführung habe die Menschen überfordert: „Alle haben so weitergemacht, wie bisher.“ Seine größte Sorge: „Was machen Frankreich und Italien, wenn die Zinsen steigen?“

Die Türkei sieht Krause auf dem Weg in die Diktatur, weist aber auf eine jahrzehntelange Unehrlichkeit des Westens hin, die sich nun räche. Weiter miteinander reden, meint er. Mit der Trump-Wahl stehe die EU zwischen unberechenbaren USA und einem aggressiven Russland. Moskau wirft er besonders die Krim-Annektion als Völkerrechtsbruch vor. Das habe nicht einmal die Sowjet- union fertiggebracht. Krauses Folgerung für die EU: „Die Reihen schließen. Das sehe ich aber noch nicht.“

Als Politik-Kenner ist der Ex-Studioleiter auch Politiker-Kenner. Besonders schätze er Wolfgang Schäuble wegen seines Veranwortungsbewusstseins, sagt Krause. Von den deutschen Kanzlerkandidaten liegt bei ihm Martin Schulz vor Angela Merkel. Eine persönliche Sache: Krause und Schulz sind befreundet und duzen sich.