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Flüchtlingskrise Vorzeigelager ohne Insassen

Ungarn gibt erstmals Einblick in eines seiner umstrittenen Internierungslager für Flüchtlinge. Doch die Bewohner sind nicht anwesend.

Von Gregor Mayer 06.04.2017, 23:01

Budapest l Die Container riechen nach frischem Lack. Die Laken auf den Stockbetten in den Wohneinheiten leuchten weiß und sind glattgestrichen. Im Hof, den drei Containerreihen und ein Zaungitter umschließen, stehen Kinderspielgeräte: eine Rutsche, ein Sandkasten, ein Ständer mit Basketball-Korb. Alles ist perfekt arrangiert: der Ball unter dem Basketballkorb, die Schläger und Bälle auf dem Tischtennis-Tisch, die adretten Blumentöpfe auf den Holztischen.

Einzig die Stacheldrahtrollen, die die Containerreihen und das Zaungitter krönen, trüben das Idyll. „Der Kinderspielplatz entspricht ganz den EU-Normen“, sagt dennoch Jozsef Seres, der Direktor des Einwanderungsamtes für die Region Südostungarn, stolz zu seinem Innenminister Sandor Pinter. Der Herr über Ungarns Polizei und Grenzschützer besucht am Donnerstag die sogenannte Transitzone bei Tompa unmittelbar an der Grenze zu Serbien. Erstmals hat er dazu auch Medienvertreter eingeladen.

Die beiden „Transitzonen“ bei Tompa und dem 30 Kilometer entfernten Röszke sind Lager, in denen Ungarn neuerdings Asylbewerber für die Dauer ihres Verfahrens festhält. Allein, im Camp Tompa fehlt am Donnerstag etwas Wesentliches: Niemand springt von den Stockbetten, niemand drängelt in den Speisesaal, niemand hält Andacht im Gebetsraum, kein Kinderlachen erklingt auf dem Spielplatz.

„Die 32 Bewohner wurden gestern in die Transitzone Röszke gebracht“, klärt der Asylbeamte Seres den Sachverhalt auf. „Die Anwesenheit von so vielen Kameras würde ihre Persönlichkeitsrechte verletzen.“ So kann man das wahrscheinlich auch sehen. Möglicherweise sollte aber auch verhindert werden, dass sich Flüchtlinge vor dem Minister und den Fernsehkameras zu lautstarken Protestchören formieren.

Bislang hatten die „Transitzonen“ lediglich dazu gedient, um an der durchgängigen Sperranlage, die Ungarn im Jahr 2015 an der Grenze zu Serbien errichtet hat, rund zehn Asylbewerber am Tag einzulassen. Sie wurden dort registriert und dann in andere, meist offene Lager geschickt. Im Vormonat trat aber ein neues Gesetz in Kraft: Dieses schreibt vor, dass Asylbewerber nunmehr bis zum Ende ihres Verfahrens in den Containerburgen festzuhalten sind.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und Menschenrechtsorganisationen halten dies für eine juristisch nicht vertretbare Internierung. Selbst unbegleitete Minderjährige über 14 Jahre müssen in die Container. „Die pauschale Festnahme von Asylbewerbern ohne richterlichen Beschluss und ohne Recht darauf, gegen die Festnahme zu berufen, stellt einen klaren Verstoß gegen (...) die Europäische Menschenrechtskonvention dar“, hielt Human Rights Watch (HRW) am Mittwoch fest.

Innenminister Pinter hat hingegen die Abschottungslogik vor Augen, die der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban propagiert und der mehr oder weniger unverhohlen gerne auch so manche westliche Regierung folgen möchte. „Die Erfahrung hat gezeigt“, sagt Pinter vor dem Medientross in Tompa, „dass fast alle Asylbewerber in den Lagern im Inneren des Landes ihr Verfahren nicht abwarten, sondern weiterziehen.“

Tatsächlich wollen Flüchtlinge in der Regel nicht in Ungarn bleiben. Ihr Ziel sind die wohlhabenderen Länder Westeuropas, vor allem Deutschland, Schweden und Österreich.

Orbans Polizeiminister legt großen Wert auf die Feststellung, dass niemand in Tompa und Röszke interniert sei: „Die Menschen sind aus freien Stücken hier, und sie können die Transitzone jederzeit in Richtung Serbien verlassen.“ Kritiker dieser Praxis empfinden das als zynisch.

Die Asylbewerber in den beiden Lagern müssen also Geduld haben, denn die Verfahren können mehrere Monate dauern. Am Ende steht außerdem meist ein negativer Bescheid, denn Ungarn hat Serbien – anders als Deutschland oder das UNHCR – zum sicheren Drittland erklärt. Die Flüchtlinge werden dann zum Verlassen der „Transitzone“ aufgefordert - in die einzige für sie offene Richtung nach Serbien.

Diese Aufforderung werde aber nicht mit Polizeigewalt durchgesetzt, stellt Zsuzsanna Vegh, die Generaldirektorin des ungarischen Einwanderungsamtes, am Donnerstag vor den Journalisten klar. „Wir streben die Abschiebung in ihre Herkunftsländer an, aber das ist bekanntlich sehr schwierig“, sagt sie. Für die Dauer des Wartens werde den abgewiesenen Asylbewerbern ein Aufenthaltsort im Landesinneren zugewiesen, meist ein offenes Lager. Praktisch bedeutet das aber, dass man wieder dort ist, wo man schon einmal war: Die Flüchtlinge setzen sich in aller Stille in den Westen Europas ab.